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REPORT: Schneckenzucht kehrt zurück ins Lautertal
Eile mit Weile
Manche Dinge dauern lange, kehren aber wieder. Wie die Schneckenzucht
ins Lautertal. SPHÄRE heftet sich an eine Kriechspur zum Erfolg.
Rita
Goller lehnt am Rande eines eingezäunten kleinen Gartengrundstücks
und guckt ins Grün. Was sich dort im Zeitlupentempo bewegt, sieht
man kaum. Es blökt nicht, mäht nicht, muht nicht und ist doch
ein echtes Lebewesen. Gestatten: Helix pomatia", landläufig
Weinbergschnecke"; bei Kindern beliebt wegen des Aussehens,
bei Feinschmeckern wegen des Geschmacks. Sieben Jahre ist es her, da ließ
sich Rita Goller zum Alb-Guide" ausbilden. Seither führt
die dreifache Mutter, die aus der Landwirtschaft stammt, naseweise Kinder-
und Touristenscharen durch das Lautertal. Burgen und Schnecken"
heißt ihre Marschroute. Erst interessierten sich die Leute
eher für die Burgen. Heute gilt die Aufmerksamkeit mehr den Schnecken",
strahlt die 48-jährige, die sich intensiv der in Vergessenheit geratenen,
jahrhundertealten Tradition der Schneckenbauern verschrieben hat.
2002 traf Rita Goller Roman Lenz. Der Professor an der Fachhochschule
Nürtingen war von den Schilderungen der Züchterin begeistert.
Also gründete er mit ihr zusammen das mit Plenum-Geldern geförderte
Albschneck-Projekt (www.albschneck.de).
Auch das Freilichtmuesum Beuren konnte man vor zwei Jahren für den
Plan gewinnen. 84000 Besucher haben im letzten Jahr den dortigen Schneckengarten
angeschaut.
Wie viele Schnecken Rita Goller hegt, kann sie nur schätzen. Einige
tausend wohl." Das ist meilenweit entfernt von den riesigen Zuchten,
von denen es mittlerweile wieder einige in Baden-Württemberg und
im Elsass gibt. Doch von diesen Großbetrieben und ihrer Mast will
sich Rita Goller bewusst unterscheiden. Der wirtschaftliche Erfolg
ist uns zweitrangig", sagt die Frau aus Weiler im Lautertal, einem
Ortsteil von Hayingen, ehemalige Hochburg der Schneckenzucht. Die ganz
Alten erinnern sich noch gut daran, wie ihre Väter die Weinbergschnecken
en gros zu den Gourmets nach Frankreich und Österreich verkauften.
Mönche hatten die Delikatesse einst zu züchten begonnen und
in der Fastenzeit als Fleischersatz verspeist. Während
Schneckenzüchter meist im Frühjahr zur Ernte" schreiten,
tut es Rita Goller ausschließlich im Winter. Dann, wenn sich ihre
Lieblinge zum Winterschlaf ins Schneckenhaus eingerollt und die Haustür
per Kalkdeckel verschlossen haben. Wir würden doch auch am
liebsten im Schlaf sterben, oder?", schmunzelt die 48-jährige.
Der plötzliche Schocktod im Kochwasser sei für die schlafende
Schnecke viel humaner als sie im Sommer auszuhungern, damit sie ihren
Darm entleert und Salz gegen ihren Schleim einzusetzen.
Die
Schnecken von Rita Goller und ihrem Bruder sind gefragt. Und sie sind
von der italienischen Feinschmecker-Verbindung Slow food" (Wappentier
Schnecke) bei einem Testessen geadelt worden. Das Hotel Graf Eberhardt
in Bad Urach zählt zu den Abnehmern. Das Hotel Autenrieth in Münsingen
ebenso. Und Senior-Wirt Adolf Kloker vom Hirsch" in Hayingen-Indelhausen
hat sogar eine eigene Schneckenkarte aufgelegt. Schneckenspießle
und -suppe stehen darauf, außerdem Alblinsen und ein Salat, dem
die nach zartem Kalbfleisch schmeckende Spezialität beigemengt ist.
16 Euro bezahlt der Gastronom fürs Kilo Ware. Die naturnah gehaltene
Alb-Schnecke mit Kräuter(knoblauch)butter zu überdecken, ist
unnötig. Anders als bei Massenware aus Polen, der Türkei oder
Asien, die es tiefgekühlt im Supermarkt gibt, leben Rita Gollers
Schützlinge besser. Klar füttern wir auch Salat oder Kraut
zu", sagt sie. Doch der Super-Geschmack entstehe dadurch, dass sich
das Kriechtier an Wiesenkerbel, Thymian, wildem Dost und Löwenzahn
laben kann. Altholz und Moos zieren das wilde Gehege. Versteckmöglichkeiten
bietet es reichlich. Auch Steine sind darin, die zusammen mit dem kalkhaltigen
Albboden den Grundstoff dafür liefern, dass die Schnecke zum schwäbischen
Häuslesbauer werden kann.
Rita Gollers Schnecken dürfen sich bis zur Geschlechtsreife dreieinhalb
Jahre Zeit lassen. Und auch bei der Fortpflanzung gilt: Eile mit Weile.
Deren kleine Farm ist ein Beitrag, dass die Schnecken nicht mehr als Zubrot"
oder zur Taschengeld-Aufbesserung der Natur geraubt werden. Bis vor ein
paar Jahren war das noch erlaubt. So kommt die Weinbergschnecke vielleicht
raus aus der Roten Liste gefährdeter Arten. Ihr Bestand kann
sich erholen", lacht Rita Goller. Auch wenn das dauern wird. Der
Fortschritt ist bekanntlich eine Schnecke. (2007)
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