Feindbilder

Gesellschaft: 2-Meter-Regel diskreditiert Biker

Böse Blicke und Beschimpfungen – die mit Vorurteilen beladene Diskussion um die umstrittene 2-Meter-Regel im Ländle stempelt Mountainbiker zu Rowdies. Doch das Gegenteil ist der Fall. Diese ökologisch wertvolle Freizeitbeschäftigung verdient keine boshafte Diskriminierung, so dachten 58000 Bürger im Jahre 2014 und hofften per Petition an den Landtag auf sachkundiges Gehör für ihren CO2-neutralen Sport.

Rad_MTB_3BFW2039

Livigno (Italien), Sommer 2013: Skiroller-Athleten, Inliner, Spaziergänger, Wanderer, Shopping-Touristen und die im Schwabenländle als Umweltrowdies gebranntmarkten Mountainbiker rollen, surren, schlendern, schleppen Einkaufs­tüten oder schieben Kinderwagen entlang des tosenden Gebirgsflusses Spöl. Viel Lachen im Gesicht. Die Atmosphäre in dieser grandiosen Hochgebirgswelt ist: locker, neugierig, entspannt. Obwohl dort der Massentourismus jeden Winkel des 1816 Meter gelegenen Hochtals erzittern lässt, pendelt das Stimmungsbarometer auf Rekordhoch. Die zollfreie Zone lockt tausende Schnäppchenjäger täglich, die einmalige Bergwelt zieht Einsamkeit suchende Naturgenießer an – welch ein surrealer Kontrast.

Die 6000 Einwohner samt ihrer Tourismusprofis aber haben etwas geschafft, was den Schwaben seit 1995 nicht mehr gelingen will: Sie sind Meister der Toleranz. Miesepeter-Urlauber mit dem alles strafenden Oberlehrerblick sind schnell enttarnt und fühlen sich im hellen Sonnenschein der umwerfend Gute-Laune-Sportler schnell isoliert. So wie der mit Wanderabzeichen hochdekorierte Spazierstockgänger – natürlich im sichtbaren Karo-Gewand. Mit drohender Mine stellte er sich – wie wohl so oft auch zu Hause – auf einem sandigen Trail hoch über dem pulsierenden Livigno (Foto oben) einer fröhlich plaudernden Radlergruppe entgegen. Seine krebsrote Haut markiert ihn als Neuankömmling unter der UV-starken Sonne hier oben, sein Dialekt als Schwabe, sein derber Wortschatz als Besserwisser. Einer, der als Fußgänger auf Autofahrer schimpft, als Autofahrer den Fußgänger verbal attackiert und natürlich die Mountain-Biker. Denn seit 1995 gibt ihm in Baden-Württemberg – und nur in Baden-Württemberg – eine rechtlich fragwürdige Zwei-Meter-Regel das gefühlte Recht, jedem Biker die Nutzung schmalerer Wege zu untersagen. So manch selbsternannter Hilfssheriff gar übte Selbstjustiz. Es häuften sich über Waldwege gespannte Stahlseile oder im Laub versteckte Nagelbretter (siehe QR-Code rechts).

Die braven PR-Schreiber der Tagespresse vernebelten fortan auch die Sinne jenes Wandersmanns: Biker zerstören Wanderwege, fahren zu schnell, rasen kreuz und quer über Wiesen und durch Wald, verjagen das Wild, sodass des Jägers Büchse nicht mehr so oft knallt.

Da kam unserem Livigno-Urlauber die Festrede von Prof. Dr. Werner Mezger wohl gerade recht. Dieser goss im Mai 2013 zu Ehren des 125-jährigen Jubiläums Schwäbischer Albverein erneut Öl ins Feuer. Große Worte, viel Publikum aus Politik und Presse hörten aufmerksam zu, wie Menschen Menschen diskreditieren. Zitat: „Für einen wachsenden Teil unserer Zeitgenossen ist die Natur längst kein Bild mehr für Harmonie und Schönheit der Schöpfung, sondern nur noch eine Ressource, die man eben nutzt. Die modernen Trendsportarten degradieren die Landschaft gar zum bloßen Sportgerät: Beim Gleitschirmfliegen zum Beispiel – neudeutsch: Paragliding – verliert der Albtrauf seinen Zauber. Man bedient sich des Steilabfalls nur noch, weil man von dort, indem gegebenenfalls noch ein paar Bäume niedergemacht werden, gut starten kann und Thermik hat. Noch drastischer beim Mountainbiking – ohnedies ein paranoider Unsinn, weil man hier genau dort Fahrrad fährt, wo es jeder Vernunft widerspricht. In bewusster Opposition zur Natur sucht man Extremrouten über Stock und Stein, die eigentlich nicht befahrbar sind oder man funktioniert Wanderwege um und ruiniert sie. Beim Free Climbing richtet man den Tunnelblick auf die Felsen im Donautal ohne Rücksicht auf Verluste. River Rafting erledigt sich bei uns zum Glück von selbst, weil – der Wasserarmut sei Dank – die Flüsse sind nicht reißend genug sind. Und endlich noch das Letzte: Geocaching – Schnitzeljagd mit GPS. Ein Verzicht auf jedes natürliche Orientierungsvermögen, eine Schmuseaffäre mit der digitalen Demenz nach der Devise: Ich weiß nicht wohin, aber mein Navi sagt mir, wo es lang geht. Und dann trampelt man kreuz und quer die Natur nieder, nur um irgendeine versteckte oder versenkte Box mit einem Un­sinns­inhalt zu finden.“

„Scusi“, mit einem entwaffnenden Lächeln deutete der Älteste der Radgruppe auf ein Schild: „Für Wanderer und Mountain-Biker, bitte Rücksicht.“ Dieses Biker-Problem ist wohl ein schwäbisches. Denn andere Bundesländer motivieren zur Diskriminierung per Gesetzesverordnung nicht.

Es gibt mehr Bikes als Wanderschuhe, in jedem Haushalt gehört das Geländerad quasi zur Grundausstattung so wie der Kühlschrank oder ein Flachbildfernseher. Fortschrittliche Tourismusregionen setzen mit Erfolg auf die Zielgruppe der Biker – allen voran die schon immer fahrradfreundliche Schweiz. Um dies endgültig zu ändern, auch weil Hoffnung auf radlerfreundliche Gesinnung unter grün-rotem Regiment bestand, erreichte 2013 eine Petition das baden-württembergische Parlament. Über 58000 Bürger haben mit ihrer Unterschrift gebeten, dass die grün-rote Landesregierung doch endlich Frieden stiften möge, in diesem schon seit 1995 schwelenden Konflikt. Doch seit dem 20. Februar 2014 ist klar: Alles bleibt wie es ist. Einzig ein Handlungsleitfaden für Ausnahmeregelungen kam dabei heraus, der „zur verstärkten Ausweisung von Mountainbike-Strecken“ motivieren soll. Wenig Hoffnung also besteht, dass der nach den Sommerferien zu verabschiedende Beschluss des Landtags über die Petition doch noch gegenseitiges Verständnis stiften wird.

Dazu Heiko Mittelstädt, Sprecher und Koordinator der Deutsche Initiative Mountainbike (DIMB) für Baden-Württemberg: „Die in dem Handbuch angesprochenen Ausnahmen sind von vornherein auf maximal 10 Prozent gedeckelt und müssen mit einem erheblichen Aufwand jeweils einzeln vor Ort beantragt, geprüft und genehmigt werden.“

Dazu Minister Alexander Bonde: „Wir wollen keinen pauschalen Plan vorgeben, Interessenkonflikte lassen sich am besten vor Ort lösen.“ Die DIMB ärgert sich, dass weiterhin ein pauschales Verbot vorgegeben wird und die Lösung vor Ort ein kompliziertes Genehmigungsverfahren durchlaufen muss. Da wird sich kein Ehrenamtler freiwillig diesem Verfahren unterwerfen.

Das Paradoxe: „Weder die Radsportverbände, die DIMB noch der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) wurden beteiligt“, beklagt die DIMB. „So bestimmt ein Konsortium aus Tourismus-, Forst- und Wanderverbänden von oben herab über den Freizeitsport von vielen Tausend Einheimischen.“

Alle anderen Bundesländer, so weiß die DIMB, fixieren sich unabhängig von der Gesetzesformulierung nicht auf die Wegbreite. So hatte Thüringen die Zwei-Meter-Regel schon vor Jahren abgeschafft, ohne negative Folgen. Hessen hatte die Einführung restriktiver Regeln gekippt und am runden Tisch mit allen Interessenverbänden eine allseits zufriedenstellende Lösung gefunden: Das Befahren von Singletrails ist dort erlaubt.

 

Vorbildlich: Städtischer Singletrail Laichingen eröffnet

Der erste von Stadtbe­diens­teten initiierte Singletrail-Kurs auf der Schwäbischen Alb ist eröffnet. Im Laichinger Erholungswald Westerlau erfreut sich seit 17. Mai 2014 die Bevölkerung und vor allem Nachwuchsradler des „Ski & Bike-Team Laichingen“ (Foto) an einem superschmalen Single-Trail. Den 4,4 Kilometer langen Kurs gespickt mit 100 Höhenmetern hatte Bürgermeister Klaus Kaufmann feierlich am 17. Mai eröffnet. Die Idee zum Trail war umgesetzt worden, noch bevor Minister Bonde die Petition-Zeichner mit einem Handlungsleitfaden zu beschwichtigten suchte. Weil Revierförster Alfred Daiber erkannte, dass die 50 Biker-Kids ein Trainingsrevier brauchen und die Spazierwege sich wenig dafür eignen, besitzt die Stadt nun eine Attraktion mehr, neben Tiefenhöhle-Höhle, Kletterwald, Tiergehege, Motocross-Strecke. In Laichingen schimpft nun kein Spaziergänger mehr über Biker, kein Biker über Jogger, kein Jogger über Hundehalter – ein kleines „Livigno-Idyll“ auf der Schwäbischen Alb.

mehr Info >>

 

Interessante Links zum Sphäre-Artikel „Außer Spesen nichts gewesen – 2-Meter-Regel hetzt weiterhin Hiker auf Biker“ (Heft 2/2014, Seite 20) 

PDF-Download: Print-Artikel runterladenPrintartikel-Download >>

————————————-

Mehr Infos zum Artikl

Die Folgen der 2-Meter-Regel

Festrede von Prof. Dr. Werner Mezger im Mai 2013 zu Ehren des 125 jährigen Jubiläum Schwäbischer Albverein –> Mountainbiking – ohnedies ein paranoider Unsinn >>

 

Erster offizieller Single-Trail auf der Schwäbischen Alb

 

Ärgernis: 2-Meter-Regel hetzt Wanderer gegen Biker

Rad_Bike

Vor über 25 Jahren erblickte das erste BIKE-Magazin das Licht der Zeitungswelt. So lange ist es also her, dass der Outdoor-Fahrrad-Trend aus den USA auf grobstolligen Reifen auch unsere Republik überrollte. Es gibt mehr Bikes als Wanderschuhe, in jedem Haushalt gehört das Geländerad quasi zur Grundausstattung so wie der Kühlschrank oder ein Flachbildfernseher. Fortschrittliche Tourismusregionen setzen mit Erfolg auf die Zielgruppe der Biker – allen voran die schon immer fahrradfreundliche Schweiz. Und trotzdem: Naturradler werden immer noch mit bösen Blicken gejagt, angepöbelt, diskriminiert – besonders im Grün-Rot-regierten Ländle. Grund: In Baden-Württemberg – und nur in Baden-Württemberg – gibt es eine rechtlich fragwürdige Zwei-Meter-Regel, die Bikern die Nutzung schmalerer Wege untersagt. Selbsternannte Hilfssheriffs werden aktiv. Es häufen sich über Waldwege gespannte Stahlseile oder im Laub versteckte Nagelbretter.

Ende 2013 forderte nun eine Petition, von rund 58.000 Bürgern gezeichnet, dass die Grün-Rote Landesregierung doch endlich Frieden stiften möge, in diesem schon seit 1995 schwelenden Konflikt. Weitreichende Änderungen allerdings folgten keine. Einzig ein am 20. Februar 2014 von Forstminister Alexander Bonde vorgestellter Handlungsleitfaden soll die angespannte Gemütslage beruhigen. Am 16. Juli berieten sich die Abgeordneten des Landtags mit dem Ministerium ländlicher Raum. Einen Beschluss über die Petition wird der Landtag nach den Sommerferien verabschieden (Stand 1. August 2014).

Sphäre skizziert in der August-Ausgabe 2/2014 den Stand der Diskussion.

Leitfaden zur Entwicklung von MTB-Strecken und -Trails

Mountainbike-Handbuch –>PDF-Download >>

Seit Februar 2014 steht das neue „Mountainbike-Handbuch“ zur Verfügung, das einen Leitfaden zur Entwicklung von MTB-Strecken und -Trails darstellt. Es informiert über Qualitätskriterien, Prozessabläufe, Beschilderung, Streckenerfassung, Rechts- und Haftungsfragen. Darüber hinaus liefert es verschiedene Checklisten und Musterverträge.

So dient es als Grundlage zur Überarbeitung und Erneuerung des MTB-Netzes im Schwarzwald.

Erarbeitet wurde es von einer Arbeitsgruppe bestehend aus den Naturparken Südschwarzwald und Schwarzwald Mitte/Nord, der Schwarzwald Tourismus GmbH, ForstBW, dem Schwarzwaldverein und dem Institut für Forst- und Umweltpolitik der Universität Freiburg in Zusammenarbeit mit dem Institut für Natursport und Ökologie der Sporthochschule Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Ralf Roth.

Deutsche Initiative Mountainbike (DIMB) kommentiert –>Bike-Handbuch ohne Biker >>

————————————-

 

Die Kommentare sind geschlossen.