Wir sind älter als gedacht

Paläoanthropologie – die ersten unserer Art: Der Homo sapiens ist älter als gedacht.

Forscher entdecken in Marokko die bislang ältesten Fossilien anatomisch moderner Menschen.

Neue Fossilien und Steinwerkzeuge aus der Fundstelle Djebel Irhoud (Marokko) belegen den Ursprung des heutigen Menschen vor etwa 300.000 Jahren in Afrika. Diese Fossilien sind rund 100.000 Jahre älter als die ältesten bislang bekannten Homo sapiens-Funde und dokumentieren, dass bereits vor rund 300.000 Jahren wichtige Veränderungen im Aussehen und Verhalten des modernen Menschen in ganz Afrika stattgefunden haben.

Der älteste Homo sapiens. Zwei Ansichten einer Computer-Rekonstruktion des ältesten bekannten Homo sa- piens vom Djebel Irhoud (Marokko). Die Funde sind auf 300 000 Jahre datiert und zeigen einen modernen Gesichtsschädel, aber einen archaisch anmutenden Gehirnschädel. Die Gestalt des Gehirns (blau), und mög- licherweise auch die Funktion des Gehirns, evolviert innerhalb von Homo sapiens. Bildquelle: Philipp Gunz, MPI EVA Leipzig (Lizenz CC-BY-SA 2.0).

Der älteste Homo sapiens: Zwei Ansichten einer Computer-Rekonstruktion des ältesten bekannten Homo sa- piens vom Djebel Irhoud (Marokko). Die Funde sind auf 300 000 Jahre datiert und zeigen einen modernen Gesichtsschädel, aber einen archaisch anmutenden Gehirnschädel. Die Gestalt des Gehirns (blau), und möglicherweise auch die Funktion des Gehirns, evolviert innerhalb von Homo sapiens. Bildquelle: Philipp Gunz, MPI EVA Leipzig (Lizenz CC-BY-SA 2.0)

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Professor Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Leipzig) und Dr. Abdelouaded Ben-Ncer vom Nationalen Institut für Archäologie (INSAP, Rabat, Marokko), an dem auch Professorin Katerina Harvati vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen beteiligt war, hat bei archäologischen Ausgrabungen am Djebel Irhoud (Marokko) fossile Knochen des Homo sapiens sowie Tierknochen und Steinwerkzeuge entdeckt und analysiert. Die Funde sind rund 300.000 Jahre alt und damit die ältesten sicher datierten fossilen Belege unserer eigenen Art – 100.000 Jahre älter als die bis dato ältesten Homo sapiens-Funde in Äthiopien. Zwei Artikel in der Fachzeitschrift Nature vom 8. Juni 2017 (Hublin et al. 2017 und Richter et al. 2017) beschreiben eine komplexe Evolution des modernen Menschen auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.

Sowohl genetische Daten heute lebender Menschen als auch Fossilien weisen auf einen afrikanischen Ursprung unserer Art hin. Die ältesten bisher bekannten Homo sapiens-Fossilien stammen aus Äthiopien: Die Fundstelle Omo Kibish ist 195.000 Jahre alt, Herto wird auf 160.000 Jahre datiert. Die meisten Forscher gingen deshalb davon aus, dass alle heute lebenden Menschen von einer Population abstammen, die vor etwa 200.000 Jahren in Ostafrika lebte. „Wir dachten lange Zeit, dass die Wiege der Menschheit vor etwa 200.000 Jahren irgendwo in Ostafrika lag“, erklärt der Leipziger Paläoanthropologe Jean-Jacques Hublin. „Unsere Daten zeigen aber, dass Homo sapiens bereits vor etwa 300.000 Jahren auf dem gesamten Kontinent zu finden war. Lange bevor der moderne Mensch Afrika verließ, hat er sich bereits innerhalb Afrikas ausgebreitet.“

Die Fundstelle von Djebel Irhoud in Marokko ist bereits seit den 1960er Jahren für menschliche Fossilien und Steinwerkzeuge bekannt. Die Interpretation dieser Funde wurde allerdings durch eine unsichere Datierung erschwert. Neue Ausgrabungen seit dem Jahr 2004 führten zur Entdeckung weiterer Skelett-Reste des Homo sapiens (die Anzahl der Fossilien wuchs so von ursprünglich 6 auf 22 an). Die Funde von Djebel Irhoud umfassen die versteinerten menschlichen Überreste von Schädeln, Unterkiefern, Zähnen, und Langknochen von mindestens fünf Individuen und dokumentieren eine frühe Phase der menschlichen Evolution. Das Team um den Geochronologie-Experten Daniel Richter vom Max-Planck-Institut in Leipzig (jetzt bei Freiberg Instruments GmbH) bestimmte das Alter erhitzter Feuersteine aus den archäologischen Fundschichten mithilfe der sogenannten Thermolumineszenzmethode auf rund 300.000 Jahre. Daniel Richter erklärt: „Gut datierte Fundstellen aus dieser Zeit sind in Afrika außergewöhnlich selten. In Djebel Irhoud hatten wir Glück, dass so viele Steinwerkzeuge erhitzt worden waren. Deshalb konnten wir die Thermolumineszenzmethode anwenden, um die Fundschichten genau zu datieren“.

„Diese Analysen und neuen Funde, vor allem die neu erhobene, sehr alte Datierung der Fundstätte Irhoud, zeigen, wie weit die Abstammungslinie der modernen Menschen zurückgeht. Sie weisen auch darauf hin, dass die Forschung bisher vielen Regionen, die wichtig für die menschliche Evolution gewesen sein könnten, zu wenig Beachtung geschenkt hat. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass viele Populationen vom ganzen afrikanischen Kontinent an der Geschichte unserer Vorfahren beteiligt waren“, sagt Katerina Harvati. Die Tübinger Wissenschaftlerin hat in dem Projekt die Analyse der äußeren Anatomie der Schädel von der Fundstätte Irhoud übernommen.

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