Staubtrocken

Albleben: Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck

Staubtrocken – der glühend heiße Sommerwind treibt welkes Laub über den Dorfplatz. Das Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck zeigt vergangenes Albleben in Echtzeit. Die mit Feingefühl authentisch arrangierten 25 Gebäude holen nicht nur alte Bilder, sondern auch Emotionen zurück.

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Liebe zum Detail: 25 Häuser aus den Landschaften Schwäbische Alb, Schwarzwald, Bodensee, Hegau, Baar und Oberer Neckar holen das ländlich-bäuerliche Leben ins Heute zurück. Authentische Möbel und Einrichtung zeigen die Wohn- und Arbeitsstätten.

Es gibt Freilichtmuseen, da wandelt man von Gebäude zu Gebäude, ähnlich wie man in einer Kunstausstellung von einem Objekt zum nächsten voranschreitet. Dann gibt es Neuhausen ob Eck. Eine Extraklasse an Museumsdorf, das wie ein fotorealistisches Gemälde die Ausstellungsstücke als gestochen scharfes Detail eines Ganzen inszeniert – eines ganzen Lebens in der Vergangenheit.

Abhängig von der Vorstellungskraft des Betrachters steigen virtuelle Gerüche auf, Gefühle und Stimmungen keimen mit jedem Schritt. Kleine Wirbelwinde schrauben trockenes Laub vom staubigen Dorfplatz in den heißen Sommerhimmel über dem Rathaus (großes Foto). Ein für seine realistischen 3-D-Effekte preisgekrönter Film über verblasste Generationen läuft hier vor dem geistigen Auge ab.

Die Zeit steht still. Straßenränder, Sträucher und Wegesgrün wuchern im Sinne alter Ästhetik. Alles ist eingewachsen in diesem Dorf, dessen flimmernde Straße in der Mittagssonne nur darauf zu warten scheint, dass die Abendkühle die Bauern vor die Türen lockt. Das Bänkle vor dem Haus: Unser Kopfkino platziert ein dösendes beschürztes Großmütterlein auf die abgewetzten Sitzlatten. Das schwarze Kopftuch flattert leise im schweren Sommerwind.

Der Süßigkeitenautomat: Fünf bis sechs Dreikäsehochs in kurzen Hosen und Ledersandalen kreisen den roten Kasten ein. Einer hält ein Zehnerle in der Hand, als hüte er einen Schatz. Zehn Pfennig – was für ein Reichtum. Dieser mechanische Wunderapparat wird die Münze vor leuchtenden Kinderaugen in einen Kaugummi verwandeln.

Selbst der unscheinbare, grobe, graubraune Putz an der Wand des historischen Kaufhauses Pfeifer holt alte Szenen in die Gegenwart (Foto rechts). Werden heute Häuser nicht strahlend weiß verkleidet, mit Hilfe von Pumpen und Schlauch aus einem Silo voll Fertigputz? Pfeiffers aber gefiel einst der „Kellenwurf“. Ein Meisterstück der Gipser, die das grobe mit Kiesel durchsetzte Gemisch Kelle um Kelle zwar mühsam, aber mit viel Geschick und Können aus dem Handgelenk gegen die Hauswand warfen.

Überhaupt war ein Dorf meist autark, die Bürger hatten alle Gewerke im Griff: Als Selbstversorger konnten Bauern nicht nur Feldfrüchte anbauen oder den Bauerngarten ertragreich pflegen, sondern konnten natürlich selbst schlachten und backen. Andere Aufgaben, die Energie, Spezialwissen oder besondere Werkzeuge benötigten, erledigten Berufsständler innerhalb der Dorfgemeinschaft: Müller, falls Bäche vorhanden, Schmid, Köhler, Schreiner, Schuhmacher, Schneider (für die Trachten), Flaschner und Wagner. Der Einzelhandel, das Tante-Emma-Lädle im Dorf konnte sich erst spät etablieren, als ein gewisser Wohlstand es erlaubte, für Dinge zu bezahlen, die man nicht unbedingt brauchte.

Im 30 Kilometer entfernten Stetten am kalten Markt löste schon früh vor 150 Jahren der Luxusfaktor die Gründung eines Kaufhauses aus – das Kaufhaus Pfeiffer, das nun als Perle des Freilichtmuseums mit dem Glanz vergangener Epochen unsere Gegenwart erhellt. Stetten war einst als Garnisonsort vom typischen Soldatenleben bestimmt. Anders als Bauern waren Söldner nicht produktiv, also auf Einkaufsgelegenheiten angewiesen. Wie in Europas Großstädten boomte daher in diesem Albörtchen plötzlich der Konsum. Nicht nur Dinge für den Alltag waren von den Heerscharen gefragt, sondern Geschenke als Mitbringsel für deren Familien zu Hause. So entwickelte sich Stettens kleiner Tante-Emma-Laden zum großen Kaufhaus. Die Pfeiffers bedienten Kunden über drei Generationen. Kittelschürzen, Knöpfe, Lebensmittel, Schrauben, Uhren, Kleider, Postkarten, Rasierpinsel, Geschirr oder Spielzeug. Einen Stock höher fanden Damen, was ihr Herz begehrte: Die „Konfektion“ – Bekleidung und Stoffe. Ab 1920 gab es sogar extra Umkleidekabinen wie in Großstädten üblich.

Als nun 1995 Franz Pfeiffer, der letzte Besitzer des Kaufhauses, im Alter von 82 Jahren starb, hinterließ er seinen Kunden nicht nur unvergessliche Einkaufserlebnisse, sondern der Nachwelt ein unvorstellbar großes Lager an antiker Ware. Die Pfeiffers pflegten seit 150 Jahren die Angewohnheit, alle nicht verkauften Produkte einzulagern. Diese Schätze hatte Pfeiffer dem Freilichtmuseum vermacht. Die Museumsleitung wusste zuerst nicht wohin mit den Raritäten. 2009 dann holte man die Sammlerstücke samt Kaufhaus Stein um Stein ins Museum.

www.reilichtmuseum-neuhausen.de

Service: Alternative in Beuren

Entdecken Sie die schwäbische Kraft der Handarbeit und Sparsamkeit. Ob Schreinerwerkstatt oder Schlafkammer, ob Stall oder Scheune, ob Weberhaus, Back- und Waschhaus, Rathaus oder Fotoatelier: Die 23 Häuser im Freilichtmuseum Beuren, Museum des Landkreises Esslingen für ländliche Kultur, kennen viele Geschichten aus dem früheren Alltag der Landbevölkerung. Die authentisch wiederaufgebauten Originalgebäude stammen aus den Regionen Mitt­le­rer Neckar und Schwäbische Alb. Die historischen Wohn- und Wirtschaftsgebäude spiegeln das Wohnen, Arbeiten und Leben vergangener Tage wider.

www.freilichtmuseum-beuren.de

Ausgabe 2/2016

WEBcode #172152

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