Flüssiges Gold

Tradition & Handwerk: Mostkrug – eine Besen-Wirtschaft als lebendiges Museum

 Die Alb ohne Apfelmost ist wie Winter ohne Schnee, wie ein Kaminofen ohne Holz. Most gehörte schon immer zum Leben – früher weil´s billig war, heute aus Tradition.

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Zehn Jahre ist es nun her. Thomas Dieterich trat das Erbe an. Sein Geburtshaus gehört jetzt ihm. Es war das Heim seines Vaters, seines Großvaters, seiner Tante Mina. Baujahr 1922, niedrige Decken, in jedem Zimmer steht ein Holzofen. Warmwasser – Fehlanzeige, vor dem Heizkessel an der Badewanne wartet ein Korb gefüllt mit staubtrockenem Buchenholz.

Abreißen, neu bauen? Verwandte und Bekannte waren sich einig. Doch die fast antiken Fenster hatten die Zeit überdauert – Eiche ist hart. Dieterich erinnert sich, wie das Kondenswasser an eiskalten Wintertagen mit leisem Plitsch-Platsch die Auffangrinnen auf den Simsen füllte. Er malte mit seinen kleinen Fingern Schneemänner auf das feucht angelaufene Glas. Die Dielen – sie knarzen noch immer. Die Erinnerungen an die Kindertage des heute 57-jährigen Konditors, dann Bäcker und zuletzt Automatisierungstechniker, der Strichcode-Lesegeräte projektierte, hauchten dem Bauernhaus Nummer 9 der Kirchstraße in Erkenbrechtsweiler neues Leben ein.

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„Plötzlich ist der Gedanke wie vom Himmel gefallen“, beschreibt der drahtige Lebenskünstler seine Eingebung. Tage zuvor sinnierte er angestrengt, wie er das Haus erhalten könne. „Besenwirtschaft“, dieses eine Wort kritzelte Dieterich im Mai 2004 auf einen Notizzettel während der Fahrt zwischen zwei Geschäftsterminen. „Diesen Papierschnipsel gibt es noch heute“, freut sich der Besenwirt, genauso wie ihn der Geruch nach kaltem Terrazzo im Flur seines Großelternhauses noch immer empfängt. Das Fachwerk atmet. Die Wände verströmen den Duft von bald 100 Jahren harten Alblebens – Heu, Korn, Schweiß im Angesicht des Arbeitsalltags seiner Großeltern. Das Wirken und Leben von Opa Karl Theodor übrigens hinterließ nicht nur eine charakteristische Patina in den winzigen Räume des heutigen „Mostkrug“, sondern auch Spuren im ganzen Dorf: Dereinst lenkte er von 1945 bis 1954 als Bürgermeister die Geschicke der Gemeinde. Daneben verdingte er sich als Landwirt und Papierarbeiter bei Scheufelen im Lenninger Tal.

„Jedes Mal, wenn ich die Haustüre öffne, spielt mir die Nase immer denselben Streich. Es riecht etwas erdig, nach Rüben“, wundert sich Dieterich über die Sinnestäuschung und schiebt nach: „Bestimmt weil ich schon als Kind dem Opa in der Landwirschaft half. „Neu aber ist“, schmunzelt der urige Älbler und genehmigt sich einen herzhaften Schluck aus dem goldgelben Glas, „dass es heute in meinem Bauernhaus etwas vergoren duftet.“

Zehn Jahre nun ist das Gekritzel auf ominösem Notizpapier alt, aus dem großelterlichen Bauernhaus ist ein lebendiges Freilichtmuseum geworden. Die Kirchstraße 9 zählt zu den ersten und auf der Alb nur wenigen Adressen in Sachen authentischer Gastronomie, abgesehen von den „Besen“ im Lautertal und Häringen.

In Erkenbrechtsweiler auf 702 Meter Höhe geben sich die Gäste zwischen Oktober und Februar die Klinke in die Hand. Dieterich ist stolz auf sein internationales Publikum. Im ersten Jahr kam die Firma Heller aus Nürtingen mit 20 Geschäftsmännern aus China zu ihm. „Das war verrückt“, erinnert er sich. Sie wollten die Schlachtplatte nicht auf Tellern, sondern jeweils in einen großen Topf. Ein Kübel Blutwurst, einer mit Leberwurst, einer mit Siedfleisch. Und dazu feuriges Tabasco. „Also machte ich mich noch am selben Abend mit dem Auto auf die Suche nach dem scharfen Gewürz“, grinst Dieterich und fügt gespielt nachsichtig hinzu: „Immerhin verdanke ich den chinesischen Gästen meinen Einfall, die Speisekarte multilingual zu präsentieren – heute in zwölf Sprachen.

Solch Marketing-Finessen sprechen sich herum, auch dass man im „Mostkrug“ als Wandersmann mit dreckigem Schuhwerk einkehren kann. Den urschwäbischen Stil, Volkstum und Tradition bei Feiern und geschlossenen Gesellschaften bekommt man frei Haus dazu. Der Besen bewirtet bis zu 65 Mostliebhaber in der Albgartenwirtschaft und in den Zimmern des Hauses. Nein, nicht in irgendwelchen Räumen, sondern im „Sofazimmer, in der Schlafstube, im Nähzimmer“, erklären kleine Schilder an massiven Zimmertüren.

Das Haus also leibt und lebt wie einst vor bald hundert Jahren. Doch auch die Ware – der Most – wird traditionell produziert. Im ersten Jahr „drei Fässle“, heute „acht“, beziffert der Gastwirt den Erfolg, den er irgendwie auch Peter Schmid verdankt. Denn in dessen Mosterei (Bild unten) hatte Dieterich schon als Bub am Hahnen gezapft – in dessen Betrieb zapft Dieterich noch heute. Dazu noch ein wenig Querdenker, liebe zur Alb und feine Sinne für die Nuancen an Apfelgeschmack – fertig ist das Geheimrezept für feine Variationen des  goldenen Safts: Zehn Aromen hat er in Anlehnung an Zehn-Jahre-Mostkrug kreiert. Wie wär es mit: Apfel-Quitten-Most, Jägermost oder die Jubiläums-Geschmacksnote Apfel- mit Holunderblüten im goldenen Glas?

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Printausgabe: Sphäre 3/2014, Seite 4-5

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