Zeitmaschine

Freizeit: Campus Galli – Mittelalter hautnah erleben

1200 Jahre alte Stadtbaupläne werden wahr. In einem Waldstück bei Meßkirch im Landkreis Sigmaringen entsteht Tag für Tag ein Stück Mittelalter.

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Alle Mann zugleich!“ Auf das Kommando des Zimmermanns hin knarzt es im Gebälk. Knapp 20 Handwerker stemmen sich mit all ihrer Kraft gegen Stangen und Taue, um die schweren Eichenbalken aufzurichten. Sie stöhnen und keuchen. Doch die massiven Holzrahmen für die Kirche bewegen sich nicht – keinen Millimeter. In der sonnenüberfluteten Waldlichtung bei Meßkirch wird´s ruhig. Nur der beschleunigte Herzschlag der Helfer pocht in die Stille der Enttäuschung hinein.

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„Auch vor 1200 Jahren klap­pte sicher nicht alles auf Anhieb“, kommentiert Dr. Hannes Napierala, Geschäftsführer von Campus Galli, eine seiner mittlerweile zahlreichen Anekdoten über die kleine Insel Mittelalter in unserer Neuzeit. Unter seiner Führung entsteht seit zwei Jahren Tag für Tag ein Stück 9. Jahrhundert. Handwerkprofis und Freiwillige erschaffen ausschließlich mit den technischen Möglichkeiten der Vergangenheit eine Klosterstadt im Landkreis Sigmaringen.

Ochsen ziehen Steinladungen zur Baustelle, Holzbalken werden mit Äxten behauen. Aus der Schmiede klingt der Hammer auf glühendem Stahl.

Doch der Zimmermann lässt sich nicht entmutigen, er grübelt: Wie haben die das früher hinbekommen? Der Zeitsprung 1200 Jahre zurück entlarvt das digitale Zeitalter. Der moderne Mensch muss erst wieder langsam das „HANDwerk“ im Wortsinne erlernen, Maschinen und Motorenlärm sind hier nicht zu hören. Viele Techniken sind in den letzten Jahrhunderten verloren gegangen. „Die Technik stimmt, wir brauchen einfach mehr Leute.“ Es klappt. „Fast 30 Helfer waren schlussendlich dafür nötig“, erinnert sich Napierala.

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Vier Jahre nun sind seit den ersten Gesprächen mit dem Meßkircher Gemeinderat vergangen, 2013 war die mittelalterliche Baustelle zum Leben erwacht. Das, was Besucher heute bestaunen können, ist nicht nur Handwerkskunst in Reinkultur, sondern diese Stätte umweht auch ein Hauch vergangenen Lebensgefühls. Im letzten Jahr haben schon 37000 Neugierige durch das Zeitfenster geschaut. Sie durften live erleben, wie unsere Vorfahren die Pfeiler unserer heutigen Kultur nicht mit Öl, Gas oder der Spaltung von Atomkernen zementierten, sondern mit Schweiß, Muskelkraft, und einem unbeugsamen Willen zum Durchhalten.

In Europa gibt es einige solcher Bauprojekte (siehe Kasten). Aber nur Campus Galli arbeitet nach einem historischen Originalplan. Außergewöhnlich detailreich sind in diesem Dokument sogar die Anzahl der Schreibpulte, Betten und Bierfässer der Klosteranlage dokumentiert. Mit Vorfreude und Leidenschaft sinnieren Napierala und seine Mitarbeiter nach Feierabend manchmal, wie es denn sein mag, in vielen Jahren, wenn sie im Schatten der Kirchtürme der nächsten Generation den Bau zur Fertigstellung übergeben. Ganz wie es auch vor 1200 Jahren gewesen wäre!

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Liebe zum Detail: Aus dem Fachwerk (Hintergrund) wird das erste größere Gebäude werden – eine kleine Holzkirche. Der Plan für die Klosterstadt Campus Galli wurde vor 1200 Jahren gezeichnet.

 

Freilichtlabor Vergangenheit

Seit 1997 entsteht im tiefsten französischen Burgund eine 4200 Quadratmeter große Ritterburg (Foto) aus dem 13. Jahrhundert. Das anfangs belächelte Projekt Guédelon trägt sich mittlerweile selbst. www.guedelon.fr

Auch das österreichische Friesach betreibt seit 2009 Experimentalgeschichte. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht, wie mit einfachen Mitteln solch gewaltige Konstruktionen möglich waren. www.burgbau.at

Den Grundstein für den Campus Galli legten die Meßkircher 2013. Unterschied zu den anderen Projekten: Hier liegt ein realer mittelalterlicher Bauplan zu Grunde. www.campus-galli.de

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Sphäre-Magazin 3/2015; WEBcode #182466

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