Null Bock auf Schule

Jede fünfte Schulleitung will ihre Schule verlassen

Forschungsteam befragte Führungskräfte an Schulen in ganz Deutschland: Ideal und Berufsalltag klaffen oft weit auseinander.

Jede fünfte Schulleitung in Deutschland würde lieber den Arbeitsplatz wechseln. Dies zeigt die für Deutschland repräsentative Studie „Leadership in German Schools (LineS2020)“ zu den Karrieren von Schulleiterinnen und Schulleitern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Tübingen, Lüneburg und der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz hatten 405 Schulleitungen an allgemeinbildenden Schulen befragt. Unter anderem wollten sie herausfinden, warum Menschen eine Schulleitung annehmen (oder eben nicht), ob und warum sie einen Arbeitsplatzwechsel in Betracht ziehen und in welchem Maße dies einen Einfluss darauf hat, Schulen in Deutschland fit für die Zukunft zu machen.

Deutschlandweit sind derzeit etwa 1.000 Schulleitungen unbesetzt, insbesondere an Grundschulen. Aber auch vergebene Stellen sind oft Wackelkandidaten: Die Studie zeigt, dass 20 Prozent aller Schulleiterinnen und Schulleiter darüber nachdenken, nochmals die Stelle zu wechseln. Insbesondere an Haupt- und Realschulen (24%) sowie an Grundschulen (23%) ist die Wechselbereitschaft hoch. Als Gründe gaben die Befragten einen Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung an (52%), aber häufig auch die als unangemessen erachtete Bezahlung (44%) oder fehlende Unterstützung (31%).

„Unsere Befragung zeigt: Die Gründe für die Berufswahl und die Arbeitsrealität von Schulleitungen klaffen weit auseinander“, sagt Professionsforscher Professor Colin Cramer, der an der Universität Tübingen für die Studie verantwortlich ist. Mit 93 Prozent hätten nahezu alle Schulleitungen in Deutschland als Motivation für ihre Tätigkeit angegeben, das Amt eröffne die Möglichkeit, neue Ideen zu entwickeln und zu erproben. In der Praxis verbrächten sie jedoch die meiste Zeit damit, einen reibungslosen Alltag an Schulen sicherzustellen, so 67 Prozent der Befragten. Nur 16 Prozent bestätigten, ausreichend Zeit für neue Ideen und die Umsetzung von Innovationen zu haben.

Die Motivation scheint hoch: 95 Prozent der Schulleitungen berichten, Freude an ihrer Arbeit zu haben, 88 Prozent erleben ihre Tätigkeit als inspirierend. Dennoch gibt mehr als die Hälfte (53%) an, unter Stress und Überlastung zu leiden. Rund jede vierte Schulleitung (24%) empfindet ein Missverhältnis von beruflicher Verausgabung einerseits und beruflicher Entlohnung durch Einkommen und Anerkennung andererseits ‒ die Wissenschaft spricht hier von einer „beruflichen Gratifikationskrise“. Bei etwa jeder sechsten Schulleitung (16%) fand das Forschungsteam darüber hinaus Hinweise auf einen Burnout.

„Schulleitungen in Deutschland sind grundsätzlich zufrieden mit ihrer Aufgabe und haben Freude daran. Es bleibt ihnen angesichts vielfältiger Verwaltungsaufgaben aber wenig Zeit, ihre Schule weiterzuentwickeln und sie damit auf künftige Herausforderungen vorzubereiten“, sagt Cramer. So nehme die Arbeitszufriedenheit gerade in besonders fordernden Situationen wie der Corona-Krise merklich ab. Innovationen, beispielsweise im Bereich der Digitalisierung, müssten unter Hochdruck nachgeholt werden. „Zukunftsfähige Schulen brauchen offenbar Schulleitungen, die mehr Freiraum für die erforderlichen Innovationen haben ‒ hier kommt Schulleitungen in Deutschland eine besondere Chance und zugleich Verantwortung zu.“

Die Studie
Grundlage der Studie Leadership in German Schools (LineS2020) ist ein für Deutschland repräsentativer Datensatz (n = 405) zu Schulleitungen an allgemeinbildenden Schulen, der über den Felddienstleister forsa GmbH von Oktober bis November 2019 durch eine Online-Befragung erhoben wurde. Das Projekt nutzt ein Messwiederholungsdesign, um Schulleitungen wiederholt zu befragen. Eine erste Folgeerhebung wurde während der bundesweiten Schulschließungen im April und Mai 2020 realisiert. Verantwortet wird die Studie von Forschenden an den Universitäten Tübingen (Prof. Dr. Colin Cramer, Dr. Jana Groß Ophoff) und Lüneburg (PD Dr. Marcus Pietsch) sowie von der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (Prof. Dr. Pierre Tulowitzki).

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