Fiebrige Finanzen

Klima-Finanz-Ranking: Klimaschädliche Aktiendepots von Bund und Ländern

● 13,2 Milliarden Euro aus Steuerkassen fließen an 1.700 Börsenunternehmen – fast immer ohne Prüfung der Klimawirkung
● Schlechteste Ranking-Ergebnisse für Baden-Württemberg, Bayern und NRW
● Klimaschützer fordern “Abkühlung” durch Aktienverkauf von Total, RWE & Co.

21.09.2020 / Berlin: Rund 13,2 Milliarden Euro lassen Bund und sieben Bundesländer aus Beamtenpensionskassen in Börsengeschäfte fließen, die die Erderwärmung auf einen “Heißzeit-Kurs” von 4,0°C treiben. Staatliche Aktiendepots, in denen Ende 2018 rund 1.700 Unternehmen lagen, sind von der Einhaltung des Pariser Klimaabkommens mit Temperaturobergrenzen von 1,5 bis 2,0°C weit entfernt.

Zu diesem Ergebnis kommt das Forschungsprojekt “Fiebrige Finanzen” der Initiative ‘Fossil Free Berlin’ [1]. Sie ließ die Klimawirkungen aller Unternehmen wissenschaftlich untersuchen, in die Bund und Länder zum 31.12.2018 an der Börse investierten.

Die Fokusfrage lautete: Wenn die Unternehmen in staatlichen Aktiendepots ihren bisherigen Kurs von Wirtschaftswachstum und Treibhausgas-Ausstoß weiter halten, und alle anderen Unternehmen weltweit ebenso wirtschaften würden, wie sehr würde sich die Erde bis zum Jahr 2050 aufheizen?

Die Berechnungen zeigen: Ausnahmslos alle Aktiendepots der untersuchten Finanzministerien waren “zu heiß”. Sie überschritten mit 10% bis 35% die Grenzen für ein 1,75-Grad-Szenario und werden deshalb als “nicht Paris-kompatibel” bewertet. Schlechteste Ergebnisse im “Klima-Finanz-Ranking 2020” erzielten Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, Schlusslicht ist Bayern.

Mathias von Gemmingen von ‚Fossil Free Berlin‘ sagt: “Sie glühen und brennen, die Aktiendepots von Olaf Scholz und den anderen Finanzministern. Diese Art von Börsengeschäften sind mit dem Pariser Klimaabkommen unvereinbar. Wir brauchen dringend eine Debatte darüber, dass viel zu viele Unternehmen auf einem lebensgefährlichen Heißzeit-Kurs sind – und dass der Staat als Aktionär auch noch davon profitieren will.”

Valerie Giesen von ‘Fossil Free Berlin’ kommentiert: “Wir rufen die Finanzministerien auf, ihre klimablinden Investitionen sofort zu beenden, um abzukühlen. Die Aktien der fossilen Brennstoffkonzerne sind besonders überhitzt und müssen am schnellsten verkauft werden.”

Allein der Bund investierte über 800 Millionen Euro in Aktien des Fossil-Sektors [2]. Dazu zählen Fracking- und Erdöl-Riesen wie Total und ENI, obwohl diese über die Temperaturgrenzen ihres Wirtschaftssektors hinausschossen und 16% bzw. 30% zu heiß waren. Noch schlimmere Ergebnisse produziert RWE. Zu deren Aktionären gehörten Ende 2018 die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen. Der Kohlekonzern verfehlte seine Sektor-Temperaturgrenze um mehr als 165% und lag auf einem Erderhitzungskurs von über 13°C.

Untersucht wurde auch die Wertentwicklung einzelner Aktiendepots – mit einem interessanten Ergebnis: Der Ausschluß besonders klimaschädlicher Fossil-Konzerne hielt die Gesamtrendite stabil oder sorgte für leichte Steigerung. So halten Finanzministerien in Berlin und Schleswig-Holstein ihre Aktiendepots seit 2017 fossilfrei und profitieren davon. Etwas mehr verdient hätte auch der Bund, wenn er seine Fossil-Aktien vor fünf oder drei Jahren verkauft und auf den kühleren Teil seines Aktiendepots umgeschichtet hätte, ergab die Analyse. “Selbst aus finanzieller Sicht sind klimablinde Investitionen also sinnlos” , so Valerie Giesen von Fossil Free Berlin. [3]


Alle Ergebnisse des “Klima-Finanz-Ranking 2020”

(abrufbar unter „fiebrige Finanzen“)

Kategorie “Paris-kompatible Finanzen”: innerhalb eines 1,75-Grad-Szenarios

  • Ränge 1 bis 3 werden von keinem Finanzministerium bzw. staatlichen Aktiendepot erreicht.

Kategorie „Fiebrige Finanzen” bis: zu 20% zu heiß

  • Rang 4 — Berlin + Schleswig-Holstein (identische Werte): 11 % zu heiß –> 3,4 °C Erhitzungskurs / 0,3 °C über Sektor-Grenzwert von 3,1 °C
  • Rang 5 — Bund: 18 % zu heiß –> 4,0 °C Erhitzungskurs / 0,6 °C über Sektor-Grenzwert von 3,4 °C

Kategorie „Stark überhitzte Finanzen”: mehr als 20% zu heiß

  • Rang 6 — Sachsen-Anhalt: 27,6 % zu heiß –> 4,3 °C Erhitzungskurs / 0,9 °C über Sektor-Grenzwert von 3,4 °C
  • Rang 7 — Hessen: 28,1 % zu heiß –> 4,1 °C Erhitzungskurs / 0,9 °C über Sektor-Grenzwert von 3,2 °C
  • Rang 8 — Baden-Württemberg: 30 % zu heiß –> 4,0 °C Erhitzungskurs / 0,9 °C über Sektor-Grenzwert von 3,1 °C
  • Rang 9 — Nordrhein-Westfalen: 31 % zu heiß –> 4,2 °C Erhitzungskurs / 1,0 °C über Sektor-Grenzwert von 3,2 °C
  • Rang 10 — Bayern: 34 % zu heiß –> 4,3 °C Erhitzungskurs / 1,1 °C über Sektor-Grenzwert von 3,2 °C

Kategorie „Black Box“:

  • Brandenburg und Saarland antworteten nicht auf Anfragen nach ihren Aktienanlagen: Sind sie Paris-kompatibel?

Über Fossil Free Berlin:
Klimaschützer:innen gründeten 2014 ‚Fossil Free Berlin‘ als überparteiliche, nicht-kommerzielle und 100% ehrenamtliche Initiative und erzielten 2016 einen ersten großen Erfolg: Als Reaktion auf öffentlichkeitswirksamen Druck und eine dauerhafte Divestment-Debatte beschloss das Parlament des Landes Berlin, 823 Mio. Euro Versorgungsrücklagen aus Unternehmen abzuziehen, die mit fossilen Brennstoffen, Atomkraft und Kriegswaffen Geschäfte machen. Das Berliner Team ist Teil der internationalen Klimabewegung ‚Fossil Free‘, die von der Klimaschutz-Organisation ‚350.org‘ und Bill McKibben (Träger des Alternativen Nobelpreises 2014) initiiert wurde. Weltweit sind über 1.000 Fossil-Free-Gruppen aktiv und konnten bis heute über 1.200 Großanleger von Divestment überzeugen. Sie setzen sich für eine Abkehr von der fossilen Brennstoff-Industrie und für 100% erneuerbare Energien ein.


FAQ zur Methodik und Hintergrund des Projekts: https://fossilfreeberlin.org/fiebrige-finanzen-faq


Quellen & Anmerkungen:

[1] Die Studien-Anfrage an Finanzministerien wurde unterstützt vom ‚Institut für ökologische Wirtschaftsforschung‘ in Berlin. Mit der Analyse der Klimawirkung wurde das Frankfurter Unternehmen ‚right. based on science‘ beauftragt.

[2] Antwort der Bundesregierung 19/6247 auf die Kleine Anfrage 19/5819 vom Dezember 2018: dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/062/1906247.pdf Zum 31.10.2018 betrug der Bestand der vier Sondervermögen des Bundes zur Finanzierung von Pensionsansprüchen von Bundesbeamten, Richtern, Soldaten sowie der Pflegeversicherung 31,5 Mrd. €. Davon waren bis zu 20% in Aktien des Euro Stoxx 50 investiert (ohne Airbus). Die Investitionen in acht Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen Geschäfte machen, beliefen sich laut Hochrechnung von Fossil Free Berlin auf 667 Millionen Euro. Durch die Erhöhung des Investitionsvolumens der Sondervermögen und Umschichtung im Aktiendepot des Bundes bzw. der Zusammensetzung auf Basis des ‘Euro Stoxx 50’ hat sich die Investitionssumme des Bundes in den Fossil-Sektor zwischenzeitlich im Jahr 2019 auf über 800 Millionen Euro und ab dem Jahr 2020 auf über eine Milliarde Euro erhöht. Wegen Atomkraft-Geschäften ausgeschlossen wurden Ende 2019 Enel, Engie und Iberdrola; der Erlös des Aktienverkaufs wurde laut Information des BMI reinvestiert in die verbliebenen Aktien im Portfolio. Zum 30.5.2020 weiterhin enthalten im Aktiendepot des Bundes sind Total, ENI, Vinci, Linde und BASF, die emissions-intensive Fracking- bzw. Erdöl-Geschäfte betreiben.

[3] Finanzanalyse für Berlin und Schleswig-Holstein : Vergleich des fossil-freien Index (1) “Solactive Oekom ESG Fossil Free Eurozone 50”, in den beide Bundesländer seit 2017 investieren, mit ihrer Benchmark, dem fossil-haltigen Index (2) “Euro Stoxx 50”, in dem z.B. RWE und Total enthalten sind. Quelle: Senatsverwaltung für Finanzen Berlin . Finanzanalyse für den Bund : Im Auftrag von Fossil Free Berlin führte die Non-Profit-Organisation “Facing Finance e.V.” eine Backtesting-Analyse durch.

Details siehe Frage 6 in den FAQ: https://fossilfreeberlin.org/fiebrige-finanzen-faq/


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