Natur als Lehrmeister

Freizeit & Sport: Die Alb gilt als Wiege des Segelflugs.

Die Alb gilt als Wiege des Segelflugs. Ein Kirchheimer Tüftler entdeckte die Kräfte der Thermik. Seine Entwicklung prägt bis heute die Welt und die Region.

Flügel an Flügel mit einem Adler in dünner Luft zu schweben, was für ein Traum – ein Menschheitstraum. Solch ein Erlebnis ist kaum einem Segelfliegerpiloten vergönnt. Und doch gibt es jemanden, der sich auf Augenhöhe mit diesem königlichen Greifvogel im Aufwind drehen durfte. Uli Schwenk (großes Foto). Noch heute blitzen die blauen Augen des Münsiger Geschäftsmannes vor Ehrfurcht auf, wenn er an sein einmaliges Rendezvous der Lüfte denkt.
In 3000 Metern über den österreichischen Alpen gleiten zwei Wesen lautlos durch die Luft. Zwei Meter und achtzig Spannweite genügen dem gefiederten Abkömmling der Dinosaurier. Mindestens 15 Meter hochglanzpolierter glasfaserverstärkter Kunststoff müssen es sein, damit die Thermik die rund 500 Kilogramm schwere Einheit Maschine-Mensch in die Wolken treibt.
Der Homo sapiens stammt vom Affen ab, gefesselt an den Boden. Doch er denkt und lernt. Er kopiert die Experimente der Evolution und ist erfolgreich.
Auch Flieger Schwenk hat Erfolg, nicht nur die Modegeschäfte der Gebrüder in Münsingen und Bad Urach zählen zu den ers ten Adressen, auch seine segelfliegerischen Qualitäten sind gefragt. Weltweit. Der 48-jährige Sportsmann holte sich 2007 den Vizeweltmeistertitel im Grand-Prix in Neuseeland.
Sein Erfolgsrezept: „Beobachten. Man muss sich als Flieger im Rhythmus der Natur bewegen“, philosophiert Schwenk. Tagesablauf, Sonnenstand – der analytische Blick des hageren 1,82 Meter großen Mannes saugt während seiner Flüge über die Schwäbische Alb jedes Detail dieser urigen Landschaft auf. Rübenacker, Getreidefeld, Südhang oder Nordhang, Wald oder eine scharf abgegrenzte Lichtung – das bizarre Profil, die wechselnde Vegetation bieten nicht nur Auftrieb für die Entwicklung einer besonderen Tier-, Vogel- und Insektenwelt auf der Alb, sie bedeuten auch ungewöhnlichen Aufschwung für die Segler.


Vorbilder: Gleiten im Rhythmus der Natur. Dies ist
Uli Schwenks Schlüssel für sportlichen Erfolg.

Temperaturdifferenzen von nur einem halben Grad katapultieren die lautlosen Piloten in die Wolken. Ein Rübenacker ist kalt, ein Getreidefeld von der Sonne hoch erhitzt. Und schon kreisen an dieser Stelle die modernen Zugvögel in die Höhe. Die Kapitäne der Lüfte heben aber nicht nur körperlich ab, sondern auch mental. „Und wieder schwärmt der Vizeweltmeister: „Wissen Sie wie hoch die Schwalben fliegen?“ Haushoch, kirchturmhoch? Nein, Schwenk trifft diese kleinen Flugkameraden nicht selten in 3000 Meter Höhe an. „Der gigantische Sog, die brutale Energie unserer Sonne schleudert ein Meer von Insekten manchmal bis in die Stratosphäre“, erklärt Schwenk, der diese flinken Flugkünstler oft bei ihrem Mittags tisch bestaunt.
„Doch“, so wettert Schwenk und seine Miene wird ernst, „dieses Naturschauspiel der Kräfte entlarvt auch fadenscheinige Umweltpolitik“. Das sei doch ein Witz – die neuen Umweltplaketten für´s Auto. Ein Aufwind etwa über Reutlingens Stadtautobahn reißt in einem Umkreis von bis zu einem Kilometer wie ein gigantischer Staubsauger den Dreck nach oben. Der Wind beschert den vermeintlich sauberen Umweltzonen in Städten und der Biosphäre dicke Luft. „Umweltschutz ist ein globales Problem“, ergänzt Schwenk, der mit seinen bislang 6000 Lebensflugstunden schon lange den Tellerrand der Schwäbischen Alb überblickt.


Ehemaliger Reuppenübungsplatz Münsingen

Grenzenlos: Die ungewöhnliche Thermik über dem ehemaligen Truppenübungsplatz begeistert die Münsinger Segelflieger. Trockener Boden, heiße Steinriegel und das nach Süden abfallende Hügelgelände sorgen für gigantische Aufwindreihen.

Doch abgehoben ist Schwenk trotz sportlicher Erfolge und erhabener Perspektive noch lange nicht. Ist Segelfliegen nicht ein elitärer Sport? Nein. Im Gegenteil. Er sei vergleichsweise preiswert. Jugendliche könnten mit Eigen leistung wie Wartungsarbeiten ihren Sport selbst finanzieren. Eine echte Herausforderung für die Jungaktiven stellen die für den Flugbetrieb geforderten und möglichen Qualifizierungskurse. „Nur ein Beispiel“, schiebt der Münsinger dazwischen. „Ein Passagierflug im Doppelsegler ist in Münsingen schon ab 15 Euro zu haben. Eine Woche Fliegerlager für den Sportlernachwuchs kostet gar nur 250 Euro, inklusive Flugzeug, Kost und Übernachtung in einfachen Unterkünften.“ Doch spartanische Lebensführung sind die Piloten gewöhnt. Das kinderwagenkleine Cockpit wird für WM-Teilnehmer zu einer Art zweiten Heimat. Eine Woche lang verbrachte auch Vizeweltmeister Schwenk unter der beengten Glaskuppel bis zu zehn Stunden am Tag.
Doch ein Segelpilot kennt seine Grenzen und fühlt sich dennoch grenzenlos frei. Denn er gleitet mit dem Wind – Schwenk sogar schon mal in einem Rutsch von Münsingen bis Polen. Der hartnäckige Widerstand gegen Restriktionen und eine Portion schwäbischen Tüftlergeist verdankt es die Alb, dass die Biosphäre 1928 das Wiegenlied des Segelflugs summte: Der Kirchheimer Wolf Hirth war es, der die Vorzüge der Alb für den Flug ohne Motor entdeckte. Die Alliierten hatten nach dem ersten Weltkrieg den Motorflug verboten. „Der Wunsch der Menschen, in die Luft zu gehen, lässt sich durch Vorschriften nicht ausbremsen“, grinst Schwenk. Also hat Hirth eben den Flug ohne den Motor erfunden. Wie Schwenk hatte auch der Kirchheimer stets die Natur im Blick, beobachtete die ausschweifenden Schrauben der Milane. Hirth erkannte: Die schroffen Felsbrüche der Alb, der trockene Boden durch das Karstgestein erzeugen Aufwinde, die nicht nur die Vögel in den Himmel heben.

 Hirth jedoch flog nicht nur, sondern baute die Segler selbst – später für die ganze Welt. Noch heute zählt der Nachfolgebetrieb Schempp-Hirth zu den drei bes ten Segelflugzeugbauern der Erde – und das nur einen flügelschlagweit entfernt von der westlichen Grenze der Biosphäre am Ende des Lenninger Tals.
Diese Tradition prägt bis heute die Schwäbische Alb. Elf Flugplätze sind mit der Albhochfläche der Biosphäre verwachsen, wie die Horste der Bussarde in den Kronen der Buchen oder die Schwalbennester unter den Dachvorsprüngen von Bauernhäusern auf der Alb. Schwenks Verein in Dottingen zählt mit 60 Aktiven und 15 Seglern zum Mittelfeld, was die Größe betrifft. Die Nummer eins der Flugplätze liegt auf dem Übersberg, hoch über den Talsohlen Reutlingens.
Die lautlosen Meister der Lüfte aber haben auch Neider. Manche gar sehen so etwas wie eine Kollisionsgefahr. Doch darüber schmunzelt Schwenk und meint: „Tiere sind wie Menschen, sie lernen wie wir auch.“ Dabei denkt er an seine himmlischen Begegnungen mit Schwalben und Greifvögeln auf höchsten Ebenen. Er beschreibt, wie spielerisch ihn die kleinen Insektenjäger umkreisen, empfindet bei den gemeinsamen Steigflügen mit den gefiederten Räubern etwas von deren Glück: „Da oben in 3000 Metern gibt es für einen Adler nichts zu jagen, sie haben bei diesen Flügen einfach nur Spaß“, folgert Schwenk aus seinen Erlebnissen, wenn Bussarde und Habichte verspielt seinen Raumgleiter auf Augenhöhe Flügel an Flügel begleiten.

Printausgabe: Sphäre 3/2008 Seite 12-13

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