Vampire zum Anfassen

Erster Streuobstwiesentag in Kirchheim Teck: Lebendiger Naturschutz

Auch Tierschutz will gelernt sein: „Wenn ihr eine Fledermaus findet, hüllt sie in ein Tuch ein und haltet sie nicht mit bloßen Fingern, dann beißen sie nicht. Und redet immer mit euren Tieren. Das mögen sie“, rät Ilona Bausenwein. Die Fledermausschützerin aus Tübingen und ihre possierlichen Tierchen namens Madame Näschen,King Kong und Balou sind die tierischen Stars des Ersten Streuobstwiesentages in Kirchheim/Teck. Etwa 90 Kinder und Erwachsene hängen an den Lippen der begeisterten Fledermausfrau und dürfen die harmlosen Minivampire im leicht gruftigen Teckkeller streicheln, ihre faltbaren Flügel und messerscharfen Eckzähne bewundern.

Derweil bringt eine Kutsche mit zwei kräftigen Kaltblütern die ersten Gäste in die Streuobstwiesen bei Kirchheim: „Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren hier überall Weinberge statt Wiesen. Aber der Wein war so schlecht, dass ihn nur die einfachen Leute getrunken haben. Die Obrigkeit ließ ihren Rebensaft lieber aus dem Remstal kommen. Und 1740 gab die Reblaus den Weinbergen den Rest. Seitdem stehen hier Wiesen, die mit Gras und Früchten Mensch und Vieh ernähren“, erklärt Martin Kirschmann. Der Kutscher aus Jesingen hat mit 48 anderen naturbegeisterten Frauen und Männern bei der Stiftung Naturschutzfonds eine zehn Monate dauernde Ausbildung zum Obstler gemacht. „Unsere Obstler sind so bunt und verschieden wie eine Streuobstwiese. Entsprechend vielfältig sind ihre Angebote an Führungen, Aktionen, Events und Gruppenveranstaltungen. Das reicht vom Märchenerzählen bis zur fachlichen Beratung im Sensenmähen und Obstbaumschnitt oder im Steinkauzröhrenbau. Ein wichtiger Schwerpunkt liegt auch in Bildungsveranstaltungen für Kinder und Jugendliche sowie regionalen Kostproben und „“Versucherla“ von der Streuobstwiese. Allein 100 Führungen haben unsere Obstler schon angeboten“, erklärt Monika Baumhof-Pregitzer. Die Projektleiterin der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg freut sich nach mehr als sechsmonatiger Vorbereitung, dass die erste gemeinsame Veranstaltung mit den Obstlern in Kirchheim stattfindet.

Die Stadt Kirchheim ist eine der Modellgemeinden im Gebiet des Life+-Projektes „Vogelschutz im Albvorland“ und verfügt über einen wunderschönen Streuobstwiesengürtel. „Kirchheim hat schon früh die Wertigkeit dieser Landschaft entdeckt und möchte die erhalten, um damit vor Ort Wertschöpfung zu erreichen“, sagt Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker. Sie selbst geht mit gutem Beispiel voran und hat von älteren Kirchheimern eine Wiese übernommen.

Dass mehr junge Menschen wieder die Streuobstwiesen für sich entdecken, hofft auch Ministerialdirigent Sven Hinterseh vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. „Im Life+-Antrag heißt es, ’wir wollen über die Botschafter ihrer Heimat zur Bewusstseinsförderung und Akzeptanzsteigerung für Arten und Lebensräume von NATURA 2000 im Life+-Projekt einen Beitrag leisten’. Genau dieses Ziel erfüllt der erste Streuobstwiesenaktionstag.“ Solche Aktionen macht das zu 50 Prozent von der EU finanzierte Naturschutzprojekt unter Federführung des Regierungspräsidiums Stuttgart finanziell erst möglich.

Schade nur, dass es am Sonntag den ganzen Tag regnet. So drängen sich die Besucher unter den überdachten Ständen im Markt der Vielfalt im Garten des Gasthofs Teckkellers der Familie Kälberer. Nur die wirklich wetterfesten Menschen machen sich auf die Zick-Zack-Entdeckertour oder die Genießerführung. Auch Obstler Dieter Bässler schaut sorgenvoll in den Himmel. Denn ihm ist es einfach wichtig, dass mehr Menschen wieder einen Blick dafür bekommen, was im Lebensraum Streuobstwiese so alles kreucht und fleucht. Besser haben es die Kollegen Thomas Brischar und Bodo Kablau getroffen. Die Pfullinger bauen im Zelt mit Jung und Alt Holzhäuser – natürlich für Fledermäuse. Mit dem perfekt vorbereiteten Bausatz haben auch Kinderhände im Nu eine Wohnung für die magischen Mäuse fertig. Helen und Nikolai versprechen fest ihren Kasten Zuhause aufzuhängen. „Aber macht alle Ritzen zu. Denn Fledermäuse hassen Zugluft“, gibt ihnen Ilona Bausenwein mit auf den Heimweg.

Für andere bleibende Erinnerungen an den ersten Streuobstwiesentag sorgt die sogenannte Obstlerbank. Diese massive Sitzgelegenheit enthüllt Oberbürgermeistern Matt-Heidecker gemeinsam mit Anja I, der Blumenwiesenkönigin von der Alb feierlich. Ihr wahrer Bestimmungsort ist der Höhenweg in Kirchheim. „Möge die Bank die Spaziergänger einen Moment innehalten lassen, um den Blick in die wunderschöne Landschaft zu genießen“, hofft Ruth Wagner-Jung. Die Vorsitzende des Vereines Die Obstler e.V. verweist noch auf den nächsten Aktionstag. Der findet im Remstal statt. Schließlich müssen auch dort die Streuobstwiesen aufblühen.

Sphäre-Wissen

LIFE+-Projekt „Vogelschutz in Streuobstwiesen des Mittleren Albvorlandes und des Mittleren Remstales“

Mit dem LIFE+-Projekt unter Federführung des Regierungspräsidiums Stuttgart sollen die Lebensräume für zahlreiche gefährdeten Vogelarten deutlich verbessert und langfristig gesichert werden. Der größte Teil des Projektgebietes liegt am Nordrand der Schwäbischen Alb im EU-Vogelschutzgebiet des Natura 2000-Netzes. Es erstreckt sich von Geislingen an der Steige bis nach Reutlingen. Ein weiterer, kleinerer zusammenhängender Teil befindet sich im Remstal bei Schorndorf und nördlich davon im Wieslauftal. Insgesamt umfasst das Projektgebiet 450 km², davon sind über 150 km² Streuobstwiesen.

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