Vorleben statt reden

Umwelt & Verkehr

Beispiele gesucht: Stellen Sie sich vor, Ihr Biosphärenbürgermeister radelt zur Gemeinderatssitzung oder Ihr Chef in den Betrieb. Hut ab. Modellregion heißt, nicht nur alternative Verkehrskonzepte bereden, sondern sie zu leben. Sphäre suchte authentische Verkehrsexperten und wurde fündig.

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 Foto: Fahrradhersteller Giant präsentiert 2011 größtes Hybrid-Bike-Programm der Firmengeschichte

Das Klima kippt, der Energiemix wippt – der exorbitante Verbrauch der fossilen Brennstoffe unserer Erde konfrontiert uns dieser Tage mit seinen dramatischen Folgen.

Dass Erdölvorkommen endlich sind, wie übrigens auch die Wirtschaftsleistungen der Menschen in Griechenland, ja in Europa, wissen wir spätestens seit dem Sonntagsfahrverbot 1973. Trotzdem aber leben wir weiter auf Pump – Regierungen machen fleißig Staatsschulden, die Schornsteine und Auspuffanlagen beatmen sich mit dem schwarzen Gold – ebenfalls eine Hypothek ohne Refinanzierungsplan auf unser aller Natur.

Wer soll die Verschwendung bezahlen? Das kleine Deutschland verbraucht 2,8 Prozent des Welt­energiebedarfs (Platz 7). Ein Viertel davon bläst der Personenverkehr in die Luft. Wie komme ich energiegünstig von A nach B? Das ist die Frage der Zukunft und auch der Biosphärenverwaltung, die dies am Infoabend in Bad Urach am 27. September erörterte.

Die Modellregion Schwäbische Alb will ihrer Verantwortung für eine Mobilität mit Weitblick gerecht werden. Doch die Marsch- und Denkrichtung ist noch nicht geklärt. Bad Urachs Bürgermeister Elmar Rebmann beispielsweise, schwärmt von den E-mobilen Errungenschaften, die die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt der Welt präsentiert. Zweifelsohne: Die Technik von Opels Ampera und Co. kann begeistern. Das erste reinrassige Elektroauto mit guter Reichweite aber wiegt satte 1732 Kilogramm. Wo bleibt der Wirkungsgrad? Nach wie vor werden 80 Kilogramm menschliches Lebendgewicht mit dem 21,65-fachen an technischer Masse bei zeitvernichtendem Stop-and-Go beschleunigt und abgebremst. In Deutschland werden pro Person und Tag durchschnittlich 3,3 Fahrten zurückgelegt, pro Fahrt 11,2 Kilometer. Die Republik im europäischen Vergleich ist im absoluten Schneckentempo unterwegs. Mit schlappen 27,6 Kilometern pro Stunde beziffert die Eurostat in ihrer Statistik 2007 den gebremsten Bewegungsdrang der Deutschen. Man stelle sich vor: 80 Minuten tägliche Lebenszeit opfern wir der aktuellen Mobilitätsstruktur und müssen dafür auch noch bezahlen – Steuern, Versicherung und oft auch mit dem Leben.

Giant Roam XR Hybrid kostet 2200 Euro

Ein herkömmliches Auto mit E-Motor herausgeputzt ist nicht sauberer als ein Benziner. Denn Strom muss erzeugt werden. Berücksichtigt man die Verluste in einem Kraftwerk und in den Hochspannungsleitungen, so liegt der Primärenergieeinsatz für den Verbrennungs- und E-Motor gleich auf. Pluspunkte sammeln die Stromer nur, wenn sie endlich leichter würden oder mit regenerativer Energie gespeist werden. Hier könnten künftig die Auto-Akkus der Nation quasi als Energiespeicher dienen. Sobald zu viel Wind weht oder nachts die Industriemaschine steht, gibt der E-Versorger per Fernsteuerung den Strom für die Batterieladung frei. So kann er die Auslastung der Kraftwerke ähnlich beeinflussen wie mit einem Pumpspeicherwerk.

Ein interessanter Lösungsansatz des Infoabends für die Mobilitätsfrage steckt im Apell von Jessica Le Bris, Geographin von der Uni Tübingen: Für kurze Strecken das Fahrrad nutzen. Wer schon ein paar Trainingskilometer in den Beinen hat, hängt dann mit einem 28er-Schnitt die Statistik der Autofahrer locker ab. Ein leichtes Fahrrad wiegt heute 10 Kilogramm, eines mit elektrischem Hilfsmotor rund 25 Kilogram. Das ist Wirkungsgrad pur: Um die Durchschnittsgeschwindigkeit der Deutschen Autofahrer zu erreichen benötigt ein Radler unter 100 Watt, ein Liegeradler noch weniger (siehe Kasten). Fantastisch. Wäre da nicht der Imageverlust. Wer radelt, hat kein Geld, wer radelt gilt als grüner Spinner. Belächelt, schräg beäugt und von der Straße gehupt – das ist die Realität der Alltagsradler. Umdenken, vordenken, Beispiel geben? Dies wäre das Gebot der Stunde. Nicht nur reden, sondern leben. Sphäre schaute sich im Biosphärenland um, auf der Suche nach Querdenkern, die im Zeichen der Energiewende nun Vordenker sind? Es gibt sie, die radelnden Vorbilder auf der Alb: Ein waschechter Bürgermeister aus Grabenstetten, ein Doktor der Medizin und Leiter der Stabsstelle des Klinikumsvorstands der Uni Tübingen, zwei Juniorgeschäftsführer und ein Marketing-Leiter der Traditionsfirma Alb-Gold verwandeln jene statistisch ermittelten 80 Minuten Totzeit in Lebzeit und in beste Gesundheit (siehe Kasten unten).

 

 

Neue Mobilität: Menschengehen mit gutem Beispiel voran

Wir sollten mehr Beispiele leben statt reden:

Die irrationale Nutzung des Autos im Verhältnis zur Fahrstrecke ist der Statussymbolik geschuldet. Wer zu Fuß geht oder gar zur Arbeit radelt, wird immer noch mehr belächelt als für seinen Lebenswirkungsgrad geschätzt. Daher sind in einer Modellregion Biosphäre echte Vorbilder ebenso wichtig wie technische Innovationen.

Eigentlich bin ich Egoist:

Harald Steidl: Bürgermeister

„Ich fahre schon seit 20 Jahren mit dem Rad in mein Amt.“ Grabenstettens Bürgermeister Harald Steidl ist immun gegen den Standesdünkel, den gerade politische Kreise pflegen. Mit Chauffeur, oder ohne, Audi A8, A6 oder nur ein Kadett – Rang und Position dokumentiert das Blech. Steidl ist sich seiner Vorbildfunktion bewusst, in seinem Amt und im Ort gibt es tatsächlich Nachahmer. Aber er bekennt auch freimütig seine egoistische Motivation: „Ich sitze viel im Büro und brauche die Bewegung.“ Es macht ihm Spaß mit dem Radl zum Spatenstich zu fahren, oder zur Sitzung des Gemeinderats.

Die Krawatte im Wind:

Jens Maschmann: Arzt

Ob es regnet oder schneit, Jens Maschmann radelt täglich aus der Biosphärenstadt Reutlingen hinüber zur Uni-Klinik Tübingen. 19 Kilometer einfach, also mehr als der statistische Durchschnitt einer Autofahrt, legt er mit seinem Liegerad zurück. Der 41-jährige Leiter der Stabsstelle des Klinikumsvorstands bewältigt die Strecke in knapp einer dreiviertel Stunde. Sein Rekord: 37 Minuten – also schneller als Autofahrer im Bundesschnitt. Er macht aus der Not eine Tugend – Stressabbau, Fitness und täglich ein großes Stück Erlebnis mit der Natur verbucht Maschmann als Haben. Dass er daneben eine Menge Sprit spart, etwa 700 Liter, ist ein willkommener Effekt.

Wer sich bewegt, denkt:

André (3. v. re.) und Oliver Freidler (re): Juniorchefs von Alb-Gold

Alb-Gold leistet sich die Kür und verbindet wirtschaftliche Ziele mit zukunftsweisenden gesellschaftlichen Denkmodellen. So positioniert sich die Geschäftsleitung schon seit Jahren gegen Gen-Technik und schafft damit in politischen Kreisen einen Trend. Alb-Gold plädiert für gutes Essen, treibt das Thema Kräuter auf der Alb voran und kümmert sich auch aktiv um das sportliche Wohl der Alb: Als Ausrichter eines international bekannten Bike-Marathons bringt diese Firma in Trochtelfingen mehr Menschen aufs Rad, als die meisten politischen Sonntagsredner. Daher wundert es nicht, dass die Juniorchefs André und Oliver Freidler mit 1400 Bikern bei der ALB-GOLD Mountainbike Trophy um die Wette radeln. Marketing-Chef Matthias Klumpp gar leistet sich wie schon Grabenstettens Bürgermeister Steidl oder der Klinik-Arzt Maschmann die Kür. Er fährt täglich, bei fast jedem Wetter mit dem Rad zur Arbeit auf die Alb. 300 Höhenmeter überwindet er auf der 20 Kilometer langen Geschäftsstrecke.

Zur Umfrage: Bürgermeister gehen mit gutem Beispiel voran >>

 

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Printausgabe: Sphäre 3/2011, Seite 34-35

 

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