Edelstein

Wissen & Geologie

Wo ist Gauingen? Die kleine Straße bergan, dann rechts. Kaum zu glauben, aber der Name dieses Albdörfleins bei Zwiefalten ist Nobelarchitekten ein Begriff. Gauinger Travertin – die Urgeschichte schwäbischen Albsteins hatte selbst den Berliner Olympiastadionbauer Werner March inspiriert.

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Tonnenschwer grüßt die Steinzeit der Schwäbischen Alb herab von den Fassaden berühmter Prunkbauten. Oder hätten Sie gewusst, dass für die monumentale Architektur des Berliner Olympiastadions gebrochener Fels aus dem kleinen Steinbruch hinter dem Örtchen Gauingen bei Zwiefalten verbaut wurde? Nein, denn die Zeiten, in denen Verwaltungsresidenzen und Häuslesbauer auf heimische Natursteine schwören, sind vorbei. Nicht nur der Gauinger Travertin hat schon bessere Zeiten erlebt, als die schweren Sägeblätter in der historischen Werkshalle (Foto ganz unten) Stunde um Stunde diesen Alb-Kalkstein in mächtige Scheiben zersägten.

Naturstein aus Deutschland ist wieder im Kommen, Imitate aus Beton oder Billigimporte aus China drücken mit großer Macht auf den Markt. So importierte die Republik 2007 rund 4,1 Millionen Tonnen Rohblöcke und Steinfertigwaren, während aus den deutschen Steinbrüchen nur 420000 Tonnen kamen. Folge: Die Zahl der Naturwerksteinbetriebe sinkt. Von den rund 1600 Steinbrüchen in Baden-Württemberg im Jahre 1900 sind im Jahre 2008 nur 45 in Betrieb. Auch im Gauinger Steinbruch herrscht Grabesruhe. Wird dieser edle Kalkstein aus Gauingen nachgefragt, für beispielsweise die Sanierung des Olympiastadions im Jahre 2004, so werden die steinernen Zeitzeugen dort gebrochen, abtransportiert und in Maulbronn weiterverarbeitet.

Der Gauinger Travertin entstand durch Ablagerungen eines Süßwassersees am Rande der Schwäbischen Alb. Der im Wasser gelöste Kalk ummantelte die im See enthaltene abgestorbene Tier- und Pflanzenwelt und bildete eine Gesteinsschicht, einen Travertin. Er ist hellbraun, stark gemustert und porös. Dieser Kalkstein eignet sich für Massiv­arbeiten wie zum Beispiel als Bausteine, Bodenplatten, Treppen- und Bodenbelag, Fassadenplatten, Denk- und Grabmäler sowie für die Steinbildhauerei. Die Barockkirche im Kloster Zwiefalten erstrahlt im Gauinger Travertin, die Fassadenplatten an der Galeria Kaufhof in Berlin am Alexanderplatz und an der Sparkasse in Amsterdam sind ebenfalls made in Biosphäre Schwäbische Alb. Aber auch die Neubauten der Volksbanken Bad Urach und Münsingen zeigen sich heimatverbunden in Gauinger Travertin.

Gauinger Steinbruch bei Zwiefalten.

Vielleicht könnte der Gauinger Travertin mit zwei UNESCO-Labels im Rücken wieder die Nachfrage beleben? Der UNESCO-Geopark Schwäbische Alb thematisiert den Naturstein ohnehin. Zwiefaltens Bürgermeister Hubertus-Jörg Riedlinger will im Steinbruch gar eine Geopark-Info­stelle einrichten. Das Konzept dafür schlummert schon in seiner Schublade. Zwischenzeitlich haben Künstler diese historische Stätte bereits belebt. Mit Erlaubnis des Besitzers, der Firma Lauster (laustersteinbau.de), hält ein Kreativ-Quintett Seminare ab unter dem Titel: www.ab-in-den-steinbruch.de.

Das Biosphärengebiet könnte mit Schlagworten wie Ökologie (siehe Kasten unten) und Regionalität das Wertgefühl für diese Rohstoffe aus der Heimat steigern. Denn: „Die am meisten besuchten und bewunderten Bauwerke des Landes sind ganz oder überwiegend aus Naturwerksteinen errichtet – Schlösser, Burgen, Kirchen, historische Bürgerhäuser. Städte und Gemeinden, die über historische Bauwerke verfügen, werben mit ihrer durch haltbaren Stein „begreifbaren“ Geschichte“, schwärmt Dr. Wolfgang Werner, Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau aus Freiburg. Naturwerksteine verleihen modernen Repräsentativbauten eine individuelle Note und seien langlebig wie kein anderes Baumaterial.

Ökologie: Muschelkalk und Travertin

Kalksteine sind im Laufe von Jahrmillionen entstanden. Nahezu die ganze Erdkruste besteht aus Natursteinen. „Der Energieaufwand für die Gewinnung ist günstig. Muschelkalk und Travertin müssen lediglich auf das gewünschte Maß geschnitten oder gespaltet werden. In vielen Fällen wird dann noch die Oberfläche mechanisch bearbeitet“, erläutert Ulrich Klösser von Traco, einem Unternehmen, das auf Kalk- und Sandsteine spezialisiert ist. Beispielsweise beträgt der Energieaufwand für die Zementherstellung in etwa 1800 Kilowattstunden pro Kubikmeter, bei Muschelkalk und Travertin nur etwa 200 Kilowattstunden pro Kubikmeter. Als natürliche Baustoffe enthalten Muschelkalk und Travertin keinerlei Schadstoffe. Kurze Transportwege zu den Bauwerken sind ökologisch sinnvoll und sparen C02. Natursteine benötigen auch keine chemische Behandlung oder Oberflächenbeschichtungen aus Kunststoffen. Die Lebensdauer ist extrem hoch, wie wir aufgrund der alten römischen und ägyptischen Bauten wissen.

 Kulturgeschichte trifft Erdgeschichte: Die vor rund 10 Millionen Jahren abgestorbene Tier- und Pflanzenwelt ist in den Travertin-Stufen und im Portalgemäuer des Zwiefalter Klosters sichtbar verewigt.

 Gegenwart trifft Vergangenheit: In der Oberamtsbeschreibung Münsingen aus dem Jahre 1912 ist der Gauinger Steinbruch erwähnt. Er brachte Arbeit und Baustoff für die nähere Umgebung. Heute dient die mit massiven Travertin-Blöcken errichtete Werkshalle als Zwischenlager. Bei Nachfrage werden Steinblöcke geholt und andernorts verarbeitet. Zwiefalter Bürgermeister Hubertus-Jörg Riedlinger plant, eine Geopark-Infostelle in der historischen Halle zu installieren.

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Printausgabe: Sphäre 3/2010, Seite 14-15

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