Achtung Baum

Biosphärenwald: Wie viel Sicherheit brauchen wir?

Respekt vor hohem Lebensalter ist heute ein angestaubter Wert. Produktivität ist Trumpf – auf dem Arbeitsmarkt wie auch in der Holzwirtschaft. Den Menschen bleibt am Ende das Altersheim, betagten Baumriesen dagegen nur die Kettensäge.

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Dabei stehen die Bäume oft „mitten im Leben, “ weiß der Reutlinger Landschaftspfleger Luis Sikora. 140 Jahre sei für Buchen kein Alter, wenn sie stolze 300 Lenze zählen könnten. In dieser Zeitspanne haben vier Förs­tergenerationenihren Dienst getan, mit vier verschiedenen Auffassungen von Waldästhetik und Sicherheit. Sind heute Bäume gefährlicher als vor 100 Jahren? Die Verkehrssicherungspflicht nimmt die Förster in die Pflicht. Sicher ist sicher: Die Unsicherheit darüber wächst, wie viel Lebensrisiko kann man Bürgern zumuten? Wie wenig Eigenverantwortung und Umweltintelligenz lenkt den modernen Homo Sapiens vielleicht gerade bei Sturm unter jenen Greisenbaum? So wie Zivilisationsängste einst Wölfen und Luchsen – wie man heute weiß zu unrecht – das Fell über die Ohren zog, so geht die scharfe Gesetzeslage und das Diktat der Ökonomie den letzten Baumriesen ans Leder, beziehungsweise an die Rinde. Im Biosphärengebiet gebe es weniger als ein Prozent Buchenwälder (nur 100 Hektar), die mehr als 180 Jahre zählen, bedauert Sikora.

Ende einer 70-jährigen Pappel an der historischen Allee des ehemaligen Truppenübungsplatzes bei Feldstetten.

Auch Georg Herrendorf, seines Zeichens Förster auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz, sieht Handlungsbedarf. Anders als in Privatwäldern, finden sich in seinem Revier auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz überdurchschnittlich betagte Baumriesen (leider für Besucher unzugänglich, Anmerkung der Redaktion). Stolz verweist er auf eine mehrere hundert Jahre alte hohle Buche am Turm B3 bei Heroldstatt. Dieser Baum stand auf der roten Risikoliste. „Doch wir haben ihn per Maschendraht ausgegrenzt“, skizziert er seine Rettungsstrategie. „Der Wind kommt von Westen, wenn er mal stürzen sollte, dann nicht in Richtung Besucherareal.“

Ebenso verantwortungsvoll aber entschied er sich im Frühjahr für das Ende einer 70-jährigen Pappel an der historischen Allee des ehemaligen Truppenübungsplatzes bei Feldstetten (Foto oben). Nicht nur einmal lag ein mächtiger Ast auf dem Asphalt. Der 1,70 Meter durchmessende Baumstumpf bleibt als Zeugnis der Naturkräfte dort liegen. Vielleicht als Denkanstoß, dass es gerade in der Biosphäre erlaubt ist, Standards zu hinterfragen und neu zu bewerten.

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Printausgabe: Sphäre 1/2010, Seite 47

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