Nationalpark Cevennen

Podcast_radio_logoNationalparkportrait: Cevennen in Südfrankreich – ein Stück wilde Vergangenheit

Faszination der Ursprünglichkeit: Die Parallelen zum UNESCO Biosphärenreservat Schwäbische Alb verblüffen. Das Cevennen-Gebirge in Südfrankreich ist ebenso karg, wasserarm und von Schluchten und Höhlen zerklüftet. Karstgestein prägt diese Landschaft in Frankreich, weswegen die lieblichen Bruchsteinhäuser aus hellem Kalkstein eher vertraut als fremd wirken.

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Ein bisschen wie die Alb

Faszination der Ursprünglichkeit: Die Parallelen zum UNESCO Biosphärenreservat Schwäbische Alb verblüffen. Das Cevennen-Gebirge in Südfrankreich ist ebenso karg, wasserarm und von Schluchten und Höhlen zerklüftet. Karstgestein prägt diese Landschaft in Frankreich, weswegen die lieblichen Bruchsteinhäuser aus hellem Kalkstein eher vertraut als fremd wirken.

Der August neigt sich dem Ende zu. Trotzdem ließ die gewaltige Kalkplatte der Hochebene „Causse Méjean“ (Foto oben) den Abend bei hitzigen 26 Grad Celsius ausklingen. Völlig normal. Denn: Die südöstliche Nationalparkgrenze liegt über das Rhonetal hinweg nur einen Steinwurf vom Mittelmeer bei Marseille entfernt.

Wie hier am Hérault oder auf der Tarn können Kanuten unberührtes Land entdecken.

Doch plötzlich: Erst ein Tropfen, dann monotones Prasseln. Der Wind presst den Regen in die staubige Erde dieses karg-wüsten Landstrichs. Kaum ein Baum bremst die Böen, geschweige denn Häuser. Wo kein Wasser fließt, siedelt auch kein Mensch. Auf dieser 340 Quadratkilometer mächtigen Causse Mejean leben nur 450 Cevenneser. Zum Vergleich: Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb umfasst 850 Quadratkilometer und bietet rund 150000 Einwohnern eine Heimat. Wie auf der Alb verrinnt auch dieser Regensturm in diesem rund 1000 Meter hohen Karstgebirge haltlos wie durch ein Sieb. Umso mächtiger schwellen die Flüsse im Tal, gespeist von hunderten Quellen, die wie am Fuße der Alb scheinbar aus dem Nichts der Felsen zu kommen scheinen. So wird dieses Plateau oder „Causse“ wie die Franzosen sagen, von den 600 Meter tiefen Schluchten der Flüsse Tarn, Taron und Jonte vollständig umrahmt (siehe Karte) – eindrucksvoll – zur Freude der Kanufahrer, die ein wildes Frankreich aus der Wasserperspektive erleben dürfen (Foto rechts).

Wild-West-Kulisse – es fehlen nur die Cowboys.

Diese Kalkplatte ist nur ein Teil des Nationalparks, der seit 1970 besteht (Kernzone 935 km2). Dieser wiederum bildet seit 1985 das Herzstück eines größeren Biosphärenreservats, gerahmt von einer besiedelten Pufferzone (2785 km2). Als jüngste Auszeichnung adelte die UNESCO in 2011 den größten Teil dieser faszinierenden Flora und Fauna zum „Welterbe der Menschheit“.

Die Idee dazu hatte schon 1913 ein gewisser Edouard-Alfred Martel angedacht – seines Zeichens Höhlenforscher. Seither ist viel geschehen. 430 verschiedene geschützte französische Pflanzenarten gedeihen hier – 2300 Arten sind gezählt. Doch noch mehr feiern die Cevennen ihre spektakuläre biologische Erholung bei den Tierarten. 2410 sind inventarisiert, einst ausgestorbene Spezies wieder eingebürgert: So drehen die Gänse- und Mönchsgeier im Aufwind über der Jonte-Schlucht weitläufige Schleifen, ja über das ganze Plateau hinweg, ohne einen Flügelschlag, alleine von ihrer bis zu 2,80 Metern Spannweite getragen. Den letzten dieser stolzen Riesen der Lüfte nahmen Bauern und Jäger 1940 aufs Korn. Doch der Geist des Nationalparks beruhigte die Gemüter, so dass hier 1981 die ersten fünf Geier-Paare über der Jonte-Schlucht angesiedelt wurden. Futter gibt es mehr als genug. Dank des berühmten Roquefort-Käses weiden 30000 Schafe auf dem Méjean-Hochplateau, 600000 im Departement Aveyron. Man muss die Kadaver eben einfach liegen lassen.

Die Zeit steht still im Städtchen Florac.

Doch an diesem Morgen bleiben die Könige der Lüfte in ihren Horsten. Es fehlt die Thermik. Der Nacht­regen kühlte empfindlich ab – von den über 30 Grad Celsius verbleiben morgens nur noch kühle acht. Dafür aber lacht die Sonne. Fast den ganzen Sommer trübt die Dunst geschwängerte Luft die Fernsicht. Doch dank des ungewöhnlichen Temperatursturzes schenkt heute der „Mont Aigoual“ einen kristallklaren Tag. Das Mittelmeer blitzt am Horizont wie sonst nur im Frühjahr oder Herbst. Dieser Berg ist nach dem Mont Lozère (1700 m) mit 1567 Metern zwar nur der zweithöchste der Cevennen, aber dafür der schönste. Viele Urlauber nutzen die Wettergunst und pilgern auf diesen kahlen Gipfel. Wenige tatsächlich per Pedes, beispielsweise vom 1200 Meter tiefer gelegenen Örtchen Vallerauge im engen Tal des Flusses Hérault. „4000 Marches“ heißt ein spektakulärer Wanderweg, der alleine auf den ersten drei Kilometer 600 Höhenmeter bezwingt – und das auf der prallen Südseite. Da haben es die Rennradler schon leichter, die sich durch nicht ganz so wie in den Alpen steilen Kehren nach oben schrauben. Ganz leicht, aber ohne jeglichen emotionalen Höhenflug, haben es die zu vielen Auto- und Wohnmobil-Touristen. Sie schlendern mit etwas fröstelnder Mimik über das Parkplatzgelände, um schließlich im Kiosk-Gebäude zu verschwinden.

Natur Aktiv: In den Cevennen werden Mountain-Biker, Wanderer, Schwimmer und Kanuten mit vielfältigen Angeboten herzlichst hofiert.

Stop und Fotoklick – vielleicht noch ein Café Crème. Diese mild-wilden Wasser in den Schluchten der Cevennen sind bei den Durchreiseurlaubern eben sehr beliebt. Zwei Millionen Besucher jährlich zählt die Nationalparkverwaltung, wobei der Löwenanteil zwei bis drei Tage bleibt. Zum Vergleich: Das Tourismuspotential der Biosphären-Alb beschreibt der UNESCO-Antrag mit etwa 630000 Übernachtungen bei geschätzten rund 6,5 Millionen Tagesgästen.

Malerisch liegt Meyrueis an der jungen Jonte.

Wie auf der Schwäbischen Alb, sind im Cevennen-National­­park die Höhlen und Schluchten gefragte Ausflugsziele. Was Freunde der Unterwelt in der Schertels-, Nebel- oder Bärenhöhle finden, kann der Cevennen-Urlauber in der „Grotte de Trabuc“ (12 km Länge) oder in der rosa Grotte „Dargilan” mit rötlich schimmernder Stalagmiten entdecken. In der Grotte „Aven Armand” führt sogar eine Seilbahn 200 Meter tief hinab, und in die „Grotte des Demoiselles” gar eine Schwebebahn. So wie viele Täler in Bad Urach zusammenlaufen, zentrieren Cevennen-Täler eindrucksvoll die Örtchen Meyrueis (Foto rechts) oder Sainte Enimie. So wie am Albrand schlängeln sich dort ebenso Passsträßchen vom Karstgebirge herab entlang der steilen Hangkanten ins Tal. Und schließlich: Was für schwäbische Paddler das Lautertal ist, bedeudet für die Cevenneser die „Gorges du Tarn“ und die vielen anderen beeindru­ckenden Schluchten. Nur dass im Nationalpark der Cevennen alles ein bisschen monu­mentaler ist, gewaltiger, ruhiger, einsamer als auf unserer schönen Alb.

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Übersichtskarte

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Doppelspitze: Nationalpark trifft Biosphärenreservat

Giftige Karstotter – auch vom Aussterben bedroht.

Cevennen-Nationalpark: Was für die Biosphären-Alb das Infozentrum im Alten Lager bei Münsingen ist, finden die Besucher des Nationalparks und Biosphärenreservats der Cevennen in einem richtigen Schloss mitten im verträumten 2000-Seelen-Örtchen Florac (siehe Foto oben und rechts). Die Besucher-Räumlichkeiten wirken vergleichsweise beengt, die Ausstellung dort spartanisch. Bescheiden

Nationalparkinfo: In Florac an der Tarnon residiert die Nationalpark-Verwaltung im Schloss.

eben. Und doch: Die Entwicklung in den Cevennen an der Natur, am Image in Sachen Tourismus können Beispiel geben. Riesige zukünftige Urwälder bedecken den Nationalpark. In 68 Prozent der üppigen Kernzone (935 km2) wachsen bis zur Meereshöhe von 500 Meter Steineichen, Esskastanien bis 900 Meter und darüber die Buchen. Dem natürlichen Alterungsprozess überlassen sind sechs Wälder (950 Hektar) und 350 Inseln von durchschnittlich 3 Hektar.

Rund 11000 Pflanzen und Pilze sind registriert, darunter 2300 Blütenpflanzen und 48 endemische Arten, die nur hier gedeihen. 2400 Tierarten demonstrieren das hohe Maß an Ursprünglichkeit.

Das Abendrot bringt in den Cevennen kaum Kühle.

Naturtouristen finden eine starke Infrastruktur. Wichtige Fernwanderwege, sogenannte GRs durchziehen das Gebiet. Mit einfachen aber effektiven Markierungen sind 3600 Kilometer gekennzeichnet, davon 400 Kilometer Reitwege, 200 Kilometer für Mountain-Bikes und 100 Kilometer für Skilangläufer. 100 Gîtes d’Étapes bieten Übernachtungsmöglichkeiten für Wanderer, Reiter und Radfahrer. Der Komfort reicht vom einfachen Matratzenlager bis zum gehobenen Jugendherbergenstandard.

Nationalpark/Biosphärenreservat: 935/3720 km2 (Vergleich: Schwäbische Alb: 853 km2) / Höhe: 110 (Les Vans) bis 1699 m (Finiels-Gipfel)  

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Printausgabe: Sphäre 3/2012, Seite 28-31

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