Naturtheater Hayingen

Alb & Kultur: Theater in einsamer Natur

In den späten vierziger Jahren war es keineswegs selbstverständlich, dass auf der abgelegenen Südostalb ein hochkreatives Freilufttheater entsteht. Über eine Million Menschen haben seither das Naturtheater Hayingen besucht.

 Foto: Naturtheater Hayingen

Hayingen, am südlichen Tor zur Biosphären-Alb wird umtanzt vom Reigen der Natur. Lachende Bächlein springen aus Karstquellen und rauschen dem ehrwürdigen Kloster Zwiefalten entgegen. Gewaltige Felsformationen werfen ihren Schatten in den Wald, bevor der Blick sich öffnet zu einer der schönsten Wacholderheiden der Alb. Zur anderen Seite des städtebaulichen Kleinods auf freier Höhe fällt das Gelände ab, mündet in der wilden Stein- und Burgenwelt des großen Lautertals. An diesem Abhang reiht sich in die Perlen der Natur ein Hort der Kultur: Das Hayinger Naturtheater ist weit über die Alb hinaus bekannt.

Hier spielen, tanzen und singen Menschen auf höchstem Niveau. Jährlich pilgern rund 16000 Besucher zur Idylle des Gebäude- und Bühnen-Ensembles mitten im dunklen Wald, das sich so in die Alblandschaft einfügt, als sei es immer schon da gewesen. Das Umfeld voller Karstgestein, Wald und Heide hilft der Regie, den Schauspielern und Beleuchtern, unvergessliche Abende kunstvoll zu inszenieren.

In den späten vierziger Jahren war es keineswegs selbstverständlich, dass hier auf der abgelegenen Südalb ein hochkreatives, gut besuchtes Freilufttheater das Licht der Alb erblickt. Das Leben war noch geprägt von den Traumata des Krieges, von Hunger und Mangel an allen Gütern des Alltags. Es war aber auch eine Zeit des Mutes, des kreativen Aufbruchs. Manche Idee entwickelte wie Samen zarte Triebe, deren Blüten uns noch heute erfreuen: So sinnierten schon 1947 die Hayinger über ein Naturtheater, das ihr 700-Jahre-Jubiläumsfest krönen sollte. Martin Schleker Senior schrieb die ersten Stücke für das noch junge Theater. Sein Heimatspiel „Die Orgelmacher“ setzten die Laiendarsteller zur Eröffnung des Hayinger Naturtheaters am 19. Juni auf der Bühne höchst professionell um. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen und das Naturtheater gewann an Fahrt. Bis in die siebziger Jahre schrieb Schleker etwa 20 Stücke, fast jährlich stand ein neues zur Uraufführung an. Später übernahm dessen Sohn Martin Schleker junior, der schon seit den Sechzigern Regie führte, die Rolle des Autors. Der deutschlandweit renommierte Schauspieler galt als gute Seele des Theaters. In seinem Buch „Der Schneckenfänger“ schildert er eindrucksvoll die Schwernisse des Neubeginns, aber auch die kreative Kraft des Aufbruchs der Nachkriegsjahre und wie man sich auch ohne Reichtümer viele Freuden macht.

So spielt sich das Naturtheater in diesem Sommer bereits in seine 64. Saison. Von kleinen Enttäuschungen und Krisen abgesehen, die im Kulturbetrieb nicht ausbleiben können, lief in Hayingen alles glatt. Die Zuschauerzahlen von der Gründung bis heute überschreiten längst die Millionengrenze. Das einzigartige Ambiente im dichten Hayinger Wald ist allergrößten Teils das Ergebnis ehrenamtlichen Einsatzes. Etwa hundert begeisterte Schaffer halten den Betrieb am Laufen. Neben Schauspielern sind immer auch Näherinnen, Bühnenbauer und Requisisteure gefragt. Ebenso stellt die Pflege der vierbeinigen Darsteller eine gewisse Herausforderung. Schließlich traben in Hayingen echte Pferde über die Bühne und keine Attrappen. Während einer Aufführung kam es sogar zur Geburt eines Lammes – für Mitwirkende und Publikum völlig unerwartet.

Hier spielt das richtige Leben, das Theater prägt den Hayinger Freigeist. Darum packte Sohn Martin Schleker schon früh das Bühnenfieber. Als 14-jähriger schlüpfte er in sein erstes Rollenspiel: „Ein toller Job, ein guter Job“, schwärmt Schleker. Und wie hoch war die Gage? „Eine Rote und ne Flasche Limonade.“

Wer glaubt, solch Freude am brotlosen Tun gibt heute der von seichten Ablenkungen erschlafften Konsumgeneration keinen ultimativen Kick, der irrt. Das beweisen auch 2013 die vielen Ehren­ämtler aus Hayingen und Umgebung. Die Älbler sprechen mit ihrer lokalen Arbeit durchaus überregionales Publikum an. Marc-Philipp Knorr, Geschäftsführer, ebenfalls ehrenamtlich, skizziert das Einzugsgebiet vom Enzkreis über den mittleren Neckar zur Ostalb bis hin zum Bodensee. Auch bayrische und badische Freunde hätten die urschwäbischen Theaterdialoge schon genossen – und verstanden. Schon Philosoph Martin Heidegger wusste: „Der Dialekt ist Sprache der Mutter und Mutter der Sprache.“

Die Hayinger Theaterschaffenden haben bewiesen, dass auch klassische Stoffe, etwa vom großen Shakespeare, auf Schwäbisch nicht provinziell wirken, sondern weltmännisch an neuer Farbe und Ausdruck gewinnen. Aber auch regionales Geschehen wird vom Naturtheater in Szene gesetzt – aktuelle wie historisch Ereignisse. Martin Schlekers Stück „Der Älblerkönig von Hayingen“ begeisterte seine Zuschauer ebenso wie das fürs Theater bearbeite Steinzeitepos „Rulamann“ von Weinland.

Heute leitet Jürg Schlachter als Regisseur und Autor das Theater-Ensemble. Uli Bühl komponiert zu den Stücken den musikalischen Rahmen. „Der gehört schon zum Inventar“, freut sich Marc-Philipp Knorr über Bühls Taktgefühl.

Doch plagen den Geschäftsführer hin und wieder auch Krisen. Das liebe Geld: GEMA-Gebühren, Druckkosten für Broschüren, Futterkosten für Tiere. Manchmal fühlt er sich „abgezockt“, wie er formuliert. Schließlich machen wir das alle aus Spaß an der Freude. Auch bürokratische Hürden ärgern den Kulturschaffenden wie auch der Gedanke an die subventionierte Großstadtkonkurrenz. „Wenn bei denen dem Regisseur etwas nicht gefällt, wird mal schnell das Bühnenbild getauscht – was kostet die Welt? Zwar gehören auch wir der Stadt, müssen aber mit den Eintrittsgeldern wirtschaften.“ Zum Glück weiß Knorr in Robert Riehle einen „supertollen Bürgermeister“ hinter sich, der auch in Zeiten knapper Gemeindekassen Theater nicht vergisst.

So konnte 2005 das Theater barrierefrei umgebaut werden – 999 bequeme Schalensitze sind nun komplett überdacht, was nun Aufführungen bei schlecht Wetter ermöglicht.

Die Hayinger spielen zwei Stücke pro Saison – für Erwachsene und Kinder. Dieses familienfreundliche Konzept wird sehr gut angenommen. So blickt Knorr zuversichtlich der neuen Spielzeit entgegen. Ab dem 23. Juni 2013 unterhält Jürg Schlachters „Älles wa du wit“, frei nach Shakespeares Komödie „Alles was du willst“ die Großen. Lachen dürfen die Kleinen über Carlo Collodis „Pinocchio“, der seine freche Holznase diesmal in die frische Albluft bei Hayingen reckt.

 

Sphäre-Wissen: Naturtheater-Szene auf der Schwäbischen Alb Hayingen:

Buchtipp: Martin Schleker jun. hat zwei Bücher geschrieben, die in wunderbaren Miniaturen das Leben auf der Alb in der Nachkriegszeit zeichnen:

  • „Der Schneckenfänger – wie ein Älbler doch noch Schauspieler wurde“ ISBN_13: 978-3-87107
  • „Das Vespertäschle – eine Jugend, meine Jugend“ ISBN 13: 978-3-87407-580-0

Beide vom Silberburgverlag Tübingen.

Printausgabe: Sphäre 1/2013, Seite 36

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