Geplantes Biogas-Projekt in Münsingen von Bürgern kritisiert
- Rund 500 Bürger diskutieren auf Info-Veranstaltung in Münsingen-Dottingen
- 1400 Unterschriften gegen Biosgas-Projekt gesammelt
- Geplante Biogasanlage fällt 70 Prozent kleiner aus, als von Gegnern angenommen
- Effizienzsteigerung bestehender Biogas-Anlagen um 100 Prozent möglich
Mitschnitt der Originalargumente
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Dottingen, 18. Juli 2008: Landwirte und Bürger machen mobil gegen die geplante Biogas-Anlage in Münsingen. Große Transparente vor Landmaschinen und hitzige Statements auf der Info-Veranstaltung in der Föhrenberghalle in Dottingen am Freitag Abend zeigen, dass Verunsicherung und ein Informationsbedarf besteht.
Das Reutlinger Energieunternehmen Fair-Energie plant, im Industriegebiet Münsingen eine Biogas-Anlage zu errichten. Auf der Informationsveranstaltung in der Föhrenberghalle nun hat Fair-Energie das während des letzten halben Jahres ausgearbeitete Konzept der Bevölkerung vorgestellt: Nicht zwei Megawatt wird die Biogasanlage leisten – so lauteten die Gerüchte im Vorfeld – sondern nur 0,6 Megawatt. Zum Vergleich um welche Größe es geht: Derzeit muss das Landratsamt jedem Landwirt, der einen Antrag stellt für eine Anlage von bis zu 0,5 Megawatt die Genehmigung erteilen. Im Landkreis Reutlingen werden derzeit 21 Anlagen betrieben.
Parallel zur 0,6 Megawatt-Biogas-Anlage der Fair-Energie soll eine spezielle Aufbereitungsanlage errichtet werden, die das sogenannte Bio-Rohgas zu Erdgasqualität veredelt. Diese Anlage soll 2 Megawatt leisten. Um diese Aufbereitungsanlage auszulasten, können die schon bestehenden, umliegenden Biogas-Anlagen über ein sogenanntes Micro-Gasleitungsnetz angeschlossen werden. Sowohl die Fair-Energie, als auch Bürgermeister Mike Münzing und Landrat Thomas Reumann betonten, dass die zur Auslastung fehlenden 1,4 Megawatt schon bestehen. Also werden dafür keine zusätzlichen Ackerflächen benötigt.
Solch eine Veredlung hätte zudem den Vorteil, dass der schlechte Wirkungsgrad der klassischen Biogas-Anlagen der Landwirte von 40 Prozent auf bis zu 80 Prozent gesteigert werden können. Dies sei ökologisch sinnvoll, betonten die Redner. Denn nicht alle Landwirte können die bei der Verstromung anfallende Abwärme auch tatsächlich nutzen. Sie entweicht in die Umwelt.
Doch die im Vorfeld kursierenden Betriebsdaten verunsicherten die Bevölkerung derart, dass sich 1400 Bürger an einer Unterschriftenaktion beteiligten. Nachdem an diesem Abend die Fair-Energie klar stellte, dass es sich um Gerüchte handle, führten die Redner eine Grundsatzdiskussion zum Thema Biogas, genährt aus den aktuellen Statements und Ängsten.
„Teller statt Tank“? Trotz dieser Fakten der tatsächlich nur 0,6 Megawatt-Anlage befürchten Diskussionsteilnehmer, dass im Umkreis von Münsingen künftig energiereiche Mais-Monokulturen das liebgewonnene, kleingliedrige Landschaftsbild der Biosphäre verändern könnten. Auf der Strecke blieben dann die Artenvielfalt der ökologisch wertvollen Wiesen. Auch die Milchbauern geraten, so die Befürchtungen, durch diesen von Fair-Energie initiierten Strukturwandel unter Druck. Das Futter für das Vieh werde wegen des neuen Abnehmers in Gestalt eines Energieunternehmens teurer werden. Als Beispiel: Der Energiepreis für Getreide liegt bei 25 Euro pro Doppelzentner. Getreide als Lebensmittel verkauft, bringt nur rund zehn Euro.
Besonders beim Spannungsfeld „Tank oder Teller“ schieden sich die Geister. Es gab Landwirte, die sich vehement weiter gegen Biogas aussprachen. Aber auch jene, die die Gewissensfrage stellten: „Würden alle 1400 Bürger, die eine Protest-Unterschrift leisteten, auch bereitwillig gerechte Löhne für Milch und Fleisch zahlen, so müssten die Bauern ihre Ernte nicht in Kraftwerken verheizen. Dieser Apell richtete sich gegen die Geiz- und Billigmentalität der qualitätsresistenten Gesellschaft.
Emotionsgeladen führten die Diskussionsteilnehmer allerdings auch die Fragen des Umweltschutzes. Mit Pfiffen wurde ein Beitrag des Vertreters des BUND quittiert, der an die globale Erwärmung und die Debatte über den CO2-Ausstoß erinnerte. Biogas-Anlagen arbeiten CO2-Neutral, reduzieren die Abhängigkeit von Fernost und schaffen Wertschöpfung in der Region. Für neutrale Beobachter entstand durch die für diesen konstruktiven Dialog nicht angemessene Reaktion eine nicht nachvollziehbare beklemmende Stimmung. Bürgermeister Mike Münzing betonte, dass man eine Debatte nicht ideologisch führen solle, sondern man müsse sich schon an den Fakten halten.
Insgesamt jedoch hatte dieser Abend seinen Zweck erfüllt. Engagiert haben die Teilnehmer noch bis nach 24 Uhr diskutiert – lauschten also gespannt mehr als vier Stunden. „Gelebte Demokratie“ wie ein Redner betonte, bei der die Sorgen der Bürger mit in die Ausarbeitung der Konzepte einfließen können. Ein fairer, offener Meinungsaustausch, der viel Licht ins Dunkel der Verordnungen, Techniken und politische Planspiele für jeden intressierten Bürger brachte. Ende 2008 soll erneut eine Bürgerversammlung zur Information stattfinden.