Ortsportrait Gruorn – verlassenes Dorf


Gruorn

Soldaten verschanzten und kämpften sich durch die gemütlichen Stuben der 235 Häuser. Geschosse setzten die Dachstühle in Brand. Selbst die Stephanus-Kirche hatte der Munitionshagel nicht verschont. Heute aber herrscht dort Frieden.

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Die Einsamkeit verdichtet sich zwischen den historischen Hausruinen des verlassenen Albdörfleins Gruorn zu einer körperlich spürbaren Realität. Die Albmenschen hier mussten 1941 ihre Heimat verlassen, weil Kriegsspiele zum Staatsgeschäft gehören. Gestern wie leider auch noch heute. Der steile Giebel der Stephanuskirche neben dem altem Schulhaus erhebt sich wie ein mahnender Finger in den Himmel, der sich über das von Granaten und Geschossen über das unsichtbar vernarbte Stück Schwäbische Alb spannt.

Heute sind die beiden restaurierten Gebäude – das alte Schulhaus und die Staphanuskirche – ein viel besuchter Ort. Seit November 2011 führt ein mit 15 Infotafeln bestückte Rundweg durch die Häuserreste des verlassenen Dorfs Gruorn. Hierdurch wird ein Stück Albdorfgeschichten lebendig.

Der Truppenübungsplatz selbst ist so verletzt, dass kein Mensch die Wege ohne Gefahr für Leib und Leben verlassen darf. Explosive Blindgänger aber nützen, denn sie schützen das sogenannte Münsinger Hardt vor Völkerwanderungen. Denn: Der ehemalige Truppenübungsplatz hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem der attraktivsten Ausflugszielen der Schwäbischen Alb gemausert. Und dies, weil hier gerade und besonders nichts passiert, außer alleine sein.

So schnell die Soldaten vor 100 Jahren auf die Alb schwärmten, so unerwartet zogen sie zur Jahrtausendwende wieder ab. Noch in den Jahren 1997 bis 2001 investierte der Bund rund 18 Millionen in diesen Standort. Die historischen Gebäude des „Alten Lagers“ haben die Feldherren restauriert, ebenso wie in neue Gebäude und Betriebshallen investiert. Und dann? 2001 verkündete das Verteidigungsministerium das Aus. Dieser unplanwirtschaftliche Zickzack-Kurs löste entsprechende Empörung aus – heute ebenso wie in der Vergangenheit. Den schauerlichsten Klageruf stießen 1941 die Bewohner der Gemeinde Gruorn in die klare, kühle Luft der Schwäbischen Alb hinaus. Der Truppenübungsplatz sollte im Bereich dieser Gemeinde vergrößert werden. Ihr geliebtes Dorf stand als Bauernopfer für größere politische und militärische Winkelzüge zur Disposition. Schach matt – bereits zwei Jahre später mussten Bauern und Vieh gehen. 665 Einwohner verloren Haus und Hof. Kein Geld der Welt für die Umsiedlung ersetzt Heimat und tiefe Wurzeln.

Soldaten verschanzten und kämpften sich durch die gemütlichen Stuben der 235 Häuser. Geschosse setzten die Dachstühle in Brand. Selbst die Stephanus-Kirche hatte der Munitionshagel nicht verschont. Das Gotteshaus und das alte Schulgebäude durfte der Gruorner Verein wieder aufbauen. Seit 1950 hebt sich der lichte und gleichzeitig unüberwindlich dichte Vorhang um das Hardt jährlich für nur einen Tag. Erinnerungen erwachen beim traditionellen Treffen am Pfingstsonntag auf dem Gruorner Dorfplatz. Um das Gelände rankten sich Mythen und Phantasien wie eine Rosenhecke um Grimms Dornröschen. Doch hier handelte es sich nicht um ein Märchen, sondern für die Bewohner am Rande des Truppenübungsplatzes um ernste Realität. Denn: Wie die spitzen Dornen in Grimms Märchen hielten die Verbote und Schilder die Bewohner über 100 lange Jahre auf Distanz.

 


 

Wandertipp: Militärtürme auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz

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Rosarote Aussichten zeigt die Schwäbische Alb, nicht nur von seinen gewaltigen Stahlgittertürmen. Der Abzug des Militärs vom Truppenübungsplatz Münsingen Ende 2005 eröffnete für dem Tourismus neue Perspektiven: Der letzte Soldat ging, das Biosphärenreservat kam.

Fast wäre es schiefgegangen. Das Kleinod ehemaliger Truppenübungsplatz hätte heute keinen der faszinierenden Stahlgittertürme mehr, dafür vielleicht eine Autostraße zwischen Zainingen und Münsingen. Nicht auszudenken, was dies für das in den Startlöchern kauernde Biosphärengebiet bedeutet hätte.

Doch engagierte Bürger verhinderten, dass diese einmalige, über 100 Jahre konservierte Kulturlandschaft von einem Asphaltband durchschnitten worden wäre. Heute redet keiner mehr darüber, das mächtige Gelände schweigt – wohltuend. Die fast schon mystische Ruhe, die wie ein schwerer Teppich störende Laute dämpft, dringt über die sanften Erhebungen in die zivilisationslose Weite. Einzig Schafe achten darauf, dass die kargen Magerrasen nicht verwildern, verbuschen, zu einem Wald werden.

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