Ein Leben in Albnatur

Landleben: Tierische Landschaftsarchitekten prägen die Ästhetik der Schwäbischen Alb

Das Schaf gilt als das Gesicht der Schwäbischen Alb. Dessen Fressgewohnheit gestaltete die markante Heidelandschaft dieses Gebirges. Ab dem späten Mittelalter sicherte die Wolle der Tiere das Überleben auf dem Land. Die Wanderschäferei aber begründete auch den industriellen Aufschwung im Tal. Textilzentren entstanden am Nordrand der Alb.

Die Abendsonne streift die Wipfel der Buchen auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen. Lange Schatten stehen im Kontrast zum gold schimmernden Licht. Gedämpftes Blöken von 600 Mutterschafen und 350 Lämmern erfüllt die schwere Abendluft nach einem warmen Frühlingstag.

Zwei Hütehunde treiben wild bellend die Herde zusammen. Die tierischen Landschaftsarchitekten der Schwäbischen Alb begeben sich nach ihrer Wanderung nun zur Ruhe. Der Schäfer pflockt einen mobilen Zaun, der die Herde auf dem Pferchacker zusammendrängt.

 

Diese Prozedur wiederholt sich jeden Tag schon seit mehreren hundert Jahren. Fressen, wandern und wieder fressen. Auf den wenig ertrag­reichen, aber würzigen Kalkmagerweiden der Alb fühlen sich Schafe wohl. Auch halten sie den Wald in Zaum, denn gerne naschen sie an Blättern und jungen Trieben. Gäb´s die Schafe nicht, gäb´s nur Wald. Die über 30000 Tiere auf dem alten Militärgelände halten dort die Steppen frei. Es sieht dort aus wie früher. Die Wanderschäferei konservierte im Herzen des Biosphärenreservates ein Landschaftsbild, das für Menschen vor 100 Jahren alltäglich war. Der Militärbetrieb bis 2005 verbot Ackerbau – das 6700 Hektar große Areal blieb von Flurbereinigung und den Folgen intensivierter Landwirtschaft verschont: Endlose Weiten, keine begradigten, begrenzten Waldränder, stattdessen lockern wild versprengte Baumgruppen das fahlgrüne Heideland auf. Streng nach Planquadraten asphaltierte und geschotterte Störungslinien sind diesem selten schönen Gelände fremd. Diese Landschaftskunst ist den Albschäfern und deren genügsamen Wolltieren geschuldet.

Schafe sind in der Tat nicht anspruchsvoll, einzig Wacholder, Enzianarten und stachelige Gesellen wie Disteln oder Giftpflanzen wie Zypressen-Wolfsmilch verschmähen sie. Diese Überlebenskünstler geben als markante Pflanzengesellschaft dem rauherben Heideland ihr Gesicht. Wacholderheiden genießen heute Schutz und bilden als seltenes Biotop wertvollen Lebensraum für viele Insekten und Vögel.

Diese typische Kulturlandschaft dieses spröden Karstgebirges geht also sprichwörtlich durch den Magen: Durch den Magen der Schafe einerseits und anderseits durch den Magen jener Älbler, die einen bewussten Umgang mit hochwertigen Lebensmitteln hegen und pflegen. Der Genuss von heimischem Lammfleisch gestaltet das Landschaftsbild der Alb, befördert die wenig rentable Schäferei, aber auch die eigene Gesundheit. Das in Folge der naturnahen Tierhaltung durchaus ein naturnahes Lebensmittel entsteht, ist allerdings bislang nur dem querdenkenden Genussmensch bewusst. Der Rest isst, wie er immer isst: Viel Rind und noch mehr Schwein. In Zahlen: Schaf- und Ziegenfleisch verzehrt die Bevölkerung 0,6 Kilogramm pro Kopf, Rind und Kalb 9 Kilogramm und Schwein satte 39 Kilogramm. Dabei ist das Risiko von Rückständen aus Tierarzneimitteln im Lammfleisch geringer als bei anderen Fleischsorten aus der Massentierhaltung. Denn: Schafe auf der Weide leiden weniger unter Stress als die vielen Schweine im Stall. Lämmer und Schafe aus traditioneller Hütehaltung erfreuen sich daher einer höheren Vitalität. Das Fleisch von Schafen, die auf Magerrasen und Wacholderheiden mit vielen Kräutern weiden, sind schmackhafter und auch gesünder. Doch gibt es Ausnahmen, bisweilen haben Lämmer nie das Sonnenlicht gesehen. Deshalb scheuen Sie sich nicht, beim Metzger nach der Schäferei, deren Haltung und Futterquellen zu fragen.

Schäferei auf der Alb _Schaf

Doch steigt das Image der Schafe nur und somit der Lammfleischkonsum, wenn Umdenken von vertrauensbildende Maßnahmen flankiert wird. Beispielhaft hierfür gilt das Qualitätssiegel Ostalblamm. Der Landkreis Heidenheim initiierte 2004 ein Marketing-Projekt, das Verbrauchern Qualität garantieren soll: Die Marke Ostalblamm steht für traditionelle Hüteschafhaltung zur Pflege wertvoller Wacholderheiden, artgerechte Tierhaltung, Futtermittel aus der Region ohne gentechnisch veränderte Bestandteile, ausgezeichnete Fleischqualität von jungen Schlachttieren mit feinem aromatisch-mildem Geschmack und Herkunftsgarantie.

Doch auch traditionelle Veranstaltungen rund ums Schaf rücken das älteste Nutztier des Menschen im Bewusstsein zurecht. Alle zwei Jahre – und zwar in den Jahren mit den ungeraden Zahlen – feiert Urach seinen Schäferlauf, in diesem Jahr am 13. Juli. Der Heidenheim Schäferlauf fand mangels Organisatoren zum letzten Mal 2008 statt. Dafür hat Münsingen 2010 den Schafauftrieb ins Leben gerufen. Als Huldigung für einen wertvollen Berufsstand feiert Münsingen den Schaftrieb des Stadtschäfer Stotz von seinen Ställen auf die Gruorner Sommerweiden auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz.

 

Schäferidylle: Viel Herz bei der Arbeit für wenig Lohn

Schäferei auf der Alb _Schaf

Schafschur: Eine fünfköpfige Scherkolonne schafft 800 Schafe am Tag. Früher stapelten sie die Wolle vorsichtig als ganzes Vlies. Heute stopft und stampft man Wolle einfach in den Sack.

Der Schein trügt. So malerisch Herdenszenen anmuten, so hart verdient der Schäfer sein Brot. Der Tag ist lang, wenn´s einem in den Kragen regnet. Man muss immer da sein – 365 Tage im Jahr. Im Winter von vier Uhr in der Früh bis neun Uhr am Abend, im Sommer von fünf bis zehn Uhr nachts. Mit Wolle und Milch ist nichts verdient und auch die Fleischproduktion mit nur rund 50 Euro pro Muttertier füllt die Haushaltskasse kaum. Deshalb bessert die EU die Einkommen der Schäfer mit bis zu 40 Prozent auf. Wenn wir immer nur billig kaufen, müssen die Schnäppchenjäger eben per Subvention die nötige Landschaftspflege bezahlen. Das Agrarministerium errechnet einen durchschnittlichen Gewinn pro Betrieb von 27500 Euro. Das ergibt weniger als fünf Euro pro Arbeitsstunde. Alleine in den letzten zehn Jahren ging deshalb die Zahl der Schäfer und Schafe in Baden-Württemberg um 28 Prozent zurück. Heute weiden im Ländle nur noch 221300 Schafe, davon rund 100000 auf der Alb. Früher lebten die Schäfer von der Wolle, heute ist sie meist nur Abfallprodukt.

Dies lässt sich ändern. Davon ist Veronika Kraiser überzeugt. In ihrer Textilfirma Flomax in Gächingen denkt die kreative Modedesignerin nicht nur in ausgefallenen Mustern, sondern auch in exotischen Materialien. Kraiser verarbeitet hochwertige Wolle von Albmerino-Schafen. Im Stadtschäfer Stotz aus Münsingen fand die Gächingerin einen Verbündeten.

 

Printausgabe: Sphäre 1/2013, Seite 28

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