Weltstadt der Antike

Geschichte: Heuneburg – antike Metropole an der Alb.

Weiß leuchteten die Stadtmauern am Fuße der Alb in die griechische Geschichtsschreibung hinein. Ein prächtiges Freilichtmuseum widmet sich heute dieser ersten namentlich bekannten Stadt im Ländle.

Um einen Bergsporn hoch über dem Donauufer schlang sich eine Stadtmauer, etwa 600 Meter lang. Zwölf Wachtürme ragten empor, die ein für Feinde unsichtbarer Wehrgang verband. Einzig zwei Tore boten ein Durchkommen. Blendend weiß getüncht strahlte sie ins Alb-Vorland hinaus. Unwillkürlich formten die Lippen des Reisenden den Namen dieser wundersamen Höhenstadt: „Pyrene”, heute als Heuneburg bekannt.

Heuneburg_061

Dieses Pyrene, heute zwischen Ulm und Sigmaringen gelegen, mag ein Traumziel der Antike gewesen sein, denn kein geringerer als der griechische Historiker Herodot schrieb über sie: „Der Istros (Donau) entspringt bei den Kelten und ihrer Stadt Pyrene.“ Man hat entlang der jungen Donau keine andere antike Metropole gefunden, also musste es jene Siedlung auf dem Bergeskeil der Alb sein, nahe Hundersingen.

Der 2867 Kilometer lange Lauf der Donau, der gar nicht weit seiner Schwarzwaldquellen auch die Schwäbische Alb berührt, durchzieht als Lebensader unseren Kontinent. Das war schon so zur frühen Eisenzeit, etwa 2600 vor der neuen Zeitrechnung. Damals gestaltete sich das Reisen auf Booten leichter als in Karren über Land. Trotzdem kam auch ein Flussreisender durch wilde Gegenden, war er nun Soldat, Flüchtling oder Händler, der Amphoren aus Griechenland, Wein aus dem heutigen Südfrankreich, Salz aus den Alpen oder Geflügel aus dem Vorderen Orient transportierte. Er durchquerte riesige Weiten, enge Felstäler und Moore. Hatte er es aber geschafft mit schwerem Ruderschlag an den Südrand des Gebirges, das heute „Schwäbische Alb“ heißt, hob sich sein Blick einem gleißenden Bild entgegen, das ganz einmalig war.

Heraklits historische Betrachtungen beziehen sich auf Beschreibungen von Hekataios von Milet, der 560 vor Christus das Weltgeschehen erlebte und somit, wenn auch aus dem fernen Süden, die Hochzeiten der Heuneburg-Fürsten. Auf der Heuneburg brannten Rennfeuer zur Gewinnung von Eisen. Aus Pyro, dem griechischen Wort für Feuer, ließe sich Herodots „Pyrene“ ableiten.

Schon zur Bronzezeit ragte eine Höhensiedlung hier auf dem strategisch günstigen Hochplateau über der Donau. Fünf Mauern aus verschiedenen Epochen fanden Archäologen, vier davon im üblichen Stil der Pfostenschlitzmauer. Die Blütezeit der Höhenstadt datierten sie ab 600 vor Christi. Allein die monumentale Bauart der Mauer lässt diese Vermutung zu. Eine einfache Pfostenschlitzmauer, wie sie sich Jahrhunderte später noch am Heidengraben auf der Mittleren Alb bei Grabenstetten bewährte, hätte durchaus als Schutz genügt. Doch die Fürsten wollten ihren Reichtum inszenieren. Sie errichteten die Mauer auf einem monströsen drei Meter breiten Sockel. Ebenfalls drei Meter in die Höhe nun schichteten die Arbeiter tausende luftgetrocknete Lehmziegel. Dieser aufwendige, vom Süden kopierte Bau­stil widerstand dem rauen Alb-Klima kaum. Weshalb eine märchenhaft anmutende weiße Kalkschicht die Lehmziegelkonstruktion schützen sollte. Die sonnenhelle Stadtmauer strahlte sich in die Geschichtsschreibung.

Pyrene besaß eine erstaunliche Ausdehnung von rund 100 Hektar, wie neuere Untersuchungen des Bodens ergaben. Archäologen gliederten die Stadt in eine Höhensiedlung, eine Vorhangsiedlung und eine Außensiedlung. Die Dörfer rings um lagen ungewöhnlich dicht. Es wird vermutet, dass die Bauern nicht als Selbstversorger ackerten, sondern vielmehr dieses weit vernetzte Handelszentrum der Antike mit ihrer Arbeitskraft nährten. Die Wirtschaft pulsierte. So wie eine Schlagader Sauerstoff transportiert, lieferte die Donau per Schiff den Großherren ihr nötiges Lebenselexier – allerlei Exotisches für ihren ausschweifenden Daseins-Stil.

Einen Gegenwert musste es doch gegeben haben, den Pyrene in den Kreislauf des Europahandels beisteuerte? Archäologen vermuten, es könne Pökelfleisch gewesen sein. Ganz sicher war Kunsthandwerk im Spiel, das Bronze und Zinn zu Schmuck veredelte. In dieser Mega-Stadt herrschte eine strenge soziale Hierarchie. Oben die Fürsten, deren Prunk Jahrtausende später aus den Gräbern auftauchen sollte. Doch kein Reichtum ohne Armut – die Fürsten hielten ihre Untertanen in festem Griff. So bezahlten sie als Fronarbeiter  an dieser geschichts­prächtigen Mauer mit Schweiß und bisweilen ihrem Leben.

Doch wo sind die Gräber dieser Menschen? Keiner wird sie mehr finden. Dafür aber die der Fürsten. Erstaunlich: Unter den Oberhäuptern waren auch Frauen. Bei Ausgrabungen im Grabhügelfeld Bettelbühl fand man 2005 Überreste eines dreijährigen Mädchens, das wertvollen Goldschmuck trug. Eine früh verstorbene Thronfolgerin? Das Fürstinnengrab, das im Jahre 2010 gehoben wurde, zeigte endgültig: Nicht nur Männer hatten das Sagen.

Doch in jeder Hochkultur ruht schon den Keim seines Untergangs. 200 Jahre später brannte die Heuneburg lichterloh. Ein dramatisches Kriegsereignis? Oder wurde die Albrandstadt aufgegeben, weil Rohstoffe im Hunsrück und der Eifel weit leichter gewonnen werden?

Noch bis ins frühe Mittelalter diente der Bergeskeil ab und an als Ort für ein Festung, dann verwilderte des Gelände. Nur in den Dörfern rundum hielt sich über Jahrhunderte die Legende von einem „Fürsten aus der Fremde“, der einst da oben geherrscht haben soll. Für alles Fremde standen seit dem Mittelalter die Hunnen, der Volksmund formte daraus „Heuen“. So mutierte das keltische Pyrene zur Heuneburg. 1950 begannen systematische Ausgrabungen, man entdeckte Reste einer Stadtmauer. Die Fürstenpracht und die Kunstfertigkeit der frühkeltischen Handwerker jedoch brachte erst die jüngere Zeit ans Licht, als man die Grabhügel rundum untersuchte.

Um das Gestern anschaulich ins Heute zu holen, erstrahlt seit 1997 auf dem Bergsporn wieder das Blendend weiß. Mit 80 Meter Mauer grüßt das Freilichtmuseums Heuneburg. Sie ist originalgetreu rekonstruiert, so wie ein Fürstenhaus, Wohnhaus, Werkstattgebäude und Speicher. 2016 registrierte das Museum stolze 23000 Besucher. Die Heimat liegt wohl derzeit im Trend. Vielleicht, weil Weltreisen nie einfacher war als heute. So suchen Groß und Klein die Distanz zum Alltäglichen nicht in Kilometern gemessen, sondern in Jahrtausenden. So gesehen liegt die Traumstadt der Antike am Fuße der Schwäbischen Alb weiter entfernt als alle Ballermänner dieser Welt.

Text und Foto: Marco Heinz

Zeitreise: Heuneburg – 2600 Jahre mussten vergehen

Heuneburg_040

Zwei Museen zeigen heute die faszinierende Welt der Kelten zur frühen Eisenzeit. In der 1783 erbauten Zehntscheuer zeigt das Heuneburg-Museum originale Funde der Archäologen und visualisiert multimedial die Mensch von damals. 2017 gibt es eine Sonderausstellung zum Thema Keltische Streitwagen. Zwei Kilometer entfernt fasziniert das Freilichtmuseum Heuneburg, ein Gutteil von Pyrene, der ersten namentlich bekannten Stadt unseres Landes ist hier rekonstruiert. Der Besucher taucht beim Gang über die Wehrmauer, durchs Langhaus der Fürsten, entlang der Speicher und Wohnhäuser taucht der Besucher ganz unmittelbar in die faszinierende Welt von damals. Mittels archäologischer Experimente spüren auch Kinder, wie das Leben ihrer Vorfahren war.

Ein acht Kilometer langer Wanderweg zwischen den beiden Museen entlang der Grabhügelketten informiert über die Arbeit der Archäologen und rundet den Erlebnistag Pyrene ab.

Beide Museen geöffnet ab 1. April bis 5. November 2017. Info: www.Heuneburg.de

Sphäre-Ausgabe 2/2017;  S. 30-31

WEBcode 17230

Die Kommentare sind geschlossen.