Hochwasser – Ursachenforschung verärgert Naturschutzverbände
Die Naturschutzverbände reagieren entrüstet: Insbesondere Naturschutzmaßnahmen müsse man neu bewerten, forderte Land- und Forstwirtschaftsminister Peter Hauk als Reaktion auf das verheerende Juni-Hochwasser: Reinigen und Pflege von Bächen und Entwässerungsgräben dürfe nicht an Naturschutzvorgaben scheitern. Ebenso brauche es eine Neubewertung des Bibermanagements an neuralgischen Hochwasserpunkten. „Zu überprüfen sind auch Bannwälder, die vielerorts aufgrund des ausgeschwemmten Totholzes zum Problem wurden. Aus diesem Grund prüfen wir in Hochwasserrisikogebieten, Bannwälder in Schutzwälder umzuwandeln“, betonte Hauk.
Christoph Schramm, Waldreferent des BUND Baden-Württemberg ist entsetzt: „Naturschutzvorgaben dürfen nicht zum Sündenbock für Hochwasserschäden gemacht werden, intakte Natur schützt uns sogar vor Hochwasser.“
Pressemeldung des Ministeriums und Kommentare der Naturschutzverbände
Pressemeldung des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg zu den Hochwasserschäden in der Land- und Forstwirtschaft Baden-Württembergs
Minister Peter Hauk MdL: „Land- und Forstwirtschaft ist bei der Bewältigung der Klimafolgen nicht das Problem, sondern Teil der Lösung“
„Die jüngsten Starkregenereignisse haben vor allem in den östlichen Landesteilen zu großen Schäden in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben geführt. Besonders betroffen sind dabei die Landkreise Bodenseekreis, Ravensburg, Sigmaringen, Biberach, Alb-Donaukreis, Reutlingen, Tübingen, Göppingen, Ostalbkreis, Esslingen und der Rems-Murr-Kreis. Eine erste Schadensabfrage auf Landkreisebene ergab für Baden-Württemberg über 95 000 Hektar starkregengeschädigte und 26 000 Hektar überschwemmte Ackerflächen. Über 85 000 Hektar Grünland waren durch Starkregen geschädigt und über 22 000 Hektar überschwemmt“, sagte der Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk MdL, am Freitag (07. Juni) in Stuttgart, im Rahmen einer Pressekonferenz zu den aktuellen Hochwasserschäden in der Land- und Forstwirtschaft in Baden-Württemberg. Minister Peter Hauk hat sich in den vergangenen Tagen bei betroffenen Betrieben vor Ort über die Schadenssituation in der Land- und Forstwirtschaft informiert.
Die vielen Niederschläge werden nicht überall zu Totalausfällen führen, allerdings ist nach jetzigem Kenntnisstand von erheblichen Ertrags- und Qualitätsverlusten auszugehen. Die erste Grünfutterernte konnte bisher nur von etwa 70 Prozent der Betriebe abgeschlossen werden.
„Besonders Milchviehbetriebe, wie auch Rinder- und Pferdehalter sind hiervon betroffen. Bei den Obst- und Gartenbaukulturen sind insbesondere Schäden durch aufgeplatzte Kirschen und starkregengeschädigte Erdbeeren zu verzeichnen. Punktuell kam es zu Überschwemmungen von Höfen und Ställen. Sofern notwendig, konnten die untergebrachten Tiere alle rechtzeitig evakuiert werden. Eine konkrete Schadenssumme kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden“, betonte der Minister.
„Bei den Schadereignissen im Wald handelt es sich überwiegend um Schäden an den Waldwegen, die ausgespült oder durch Hangrutschungen mitgerissen wurden. Nach ersten Schätzungen ist aufgrund des jüngsten Hochwasserereignisses landesweit mit Schäden im Wald von über drei Millionen Euro zu rechnen“, sagte Minister Peter Hauk.
Klimawandel bleibt Herausforderung
Nach Klimamodelldaten für Baden-Württemberg muss sich das Land auch in Zukunft auf intensivere Niederschlagsereignisse einstellen. Die Land- und Forstwirtschaft ist von der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung des Klimawandels in besonderem Maße betroffen. Daher hat sie bereits Strategien entwickelt, um sich an die geänderten Klimabedingungen aktiv anzupassen. „Unsere heimische Landwirtschaft ist systemrelevant. Dem Erhalt unserer mittelständischen Land- und Ernährungswirtschaft muss daher ab sofort wieder mehr Priorität eingeräumt werden. Die Landwirtschaft ist auch bei der Bewältigung der Klimafolgen nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Landwirtschaftliche Flächen sind essentielle Produktionsstandorte für Nahrungsmittel und tragen als Retentionsräume auch zum Hochwasserschutz bei. Das aktuelle Hochwasserereignis hat uns gezeigt, dass zum Schutz von Leib und Leben sowie zur Sicherung der Nahrungsmittelproduktion eine generelle Neubewertung von Maßnahmen insbesondere von Natur- und Artenschutz vorgenommen werden muss“, betonte Hauk. Beispielsweise darf das Reinigen und die Pflege von Bächen und Entwässerungsgräben nicht an Naturschutzvorgaben scheitern. Ebenso brauchen wir eine Neubewertung des Bibermanagements an neuralgischen Hochwasserpunkten. An vielen Gewässern verringert der Biber mit seinen Dämmen notwendigen Retentionsraum.
„Zu überprüfen sind auch Bannwälder, die vielerorts aufgrund des ausgeschwemmten Totholzes zum Problem wurden. Aus diesem Grund prüfen wir in Hochwasserrisikogebieten Bannwälder in Schutzwälder umzuwandeln, um dann entsprechend reagieren zu können. Auch bei der Gewässerrenaturierung gilt es künftig dem Hochwasserschutz Vorrang einzuräumen, auch zum Schutz landwirtschaftlicher Flächen. Dies haben die aktuellen Ereignisse klar gezeigt: Hochwasserschutz geht vor!“, forderte Minister Peter Hauk.
Ausbau des Versicherungsangebotes notwendig
Die zunehmenden Extremwetterlagen mit hohem Schadensrisiko, bringen die betriebliche Risikovorsorge als auch staatliche Ad-hoc-Hilfen zunehmend an ihre Grenzen. Daher benötigen landwirtschaftliche Betriebe wirtschaftlich tragfähige Versicherungslösungen zum Schutz vor witterungsbedingten Verlusten des Fruchtertrages. Baden-Württemberg hat bereits 2020 als erstes Land ein mit Landesmitteln finanziertes Pilotprojekt zur ‘Förderung von Ertragsversicherungen im Obst- und Weinbau’ aufgelegt, um die Landwirte gegen Risiken wie Starkfrost, Sturm und Starkregen im Obst- und Weinbau finanziell zu unterstützen. „Leider weigert sich der Bund bisher, sich finanziell zu beteiligen. Dies wäre aber geboten. Wir müssen die Risikoabsicherung gegen witterungsbedingte Ertragsrisiken über Versicherungen auf eine breitere Basis zu stellen und auch für weitere Kulturen öffnen“, betonte Hauk. Zudem müsste das Risikomanagement in der Landwirtschaft auch nachträglich noch zu einem zentralen Element im Strategiedialog Landwirtschaft und im Gesellschaftsvertrag werden.
Aus der Hochwassersituation ziehen wir folgende Schlüsse:
- Wir benötigen eine Flächenförderung für die Bereitstellung von Retentionsflächen.
- Wir fordern die rechtliche Anerkennung von produktionsintegrierten Kompensationsmaßnahmen, die dem Hochwasserschutz dienen, in der anstehenden Novelle Ökokontoverordnung.
- Wir fordern mehr Flexibilität der Naturschutzverwaltung in Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Maßnahmen.
- Wir benötigen schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Bau von Hochwasserschutzanlagen.
- Wir müssen die Renaturierung von Gewässern in hochwassergefährdeten Gebieten auf den Prüfstand zu stellen.
- die Versiegelung von Feld- und Waldwegen z.B. zum Bau von Radschnellwegen muss vermieden werden.
- Wir prüfen die Umwandlung von Bannwäldern in Schutzwälder in Hochwassergebieten.
Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten des Landes im Falle von Liquiditätsproblemen:
- Das Land unterstützt die baden-württembergischen Betriebe insbesondere im Rahmen des Agrarumweltprogramms FAKT II.
- Baden-Württemberg unterstützt die Landwirtschaft im Hinblick auf den Ausbau der Klimaresilienz ferner durch verschiedene Förderprogramme, die den präventiven Schutz vor klimatischen Risiken wie Hagel, Starkfrost, Trockenheit und Hitze betreffen.
- Auch im Bereich der Waldwegeinstandsetzung ist eine Förderung mit bis zu 70 Prozent nach Schadereignissen grundsätzlich möglich. Die aktuellen Schäden übersteigen das derzeit verfügbare Mittelvolumen. Daher werden wir aufgrund der Notlage landesseitig prüfen, ob die erforderlichen Mittel für die Hochwasserschäden entsprechend freigegeben werden können. Zudem benötigen wir im Bundeswaldgesetz mehr Flexibilität für Reaktionsmöglichkeiten auf Landesebene.
Darüber hinaus prüft das Land derzeit, ob für vom Hochwasser betroffene Kommunen eine ELR-Sonderausschreibung ‚Unwetterhilfe‘ darstellbar ist. Die Behebung von Unwetterschäden in Flurneuordnungsverfahren werden wir fördern.
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Statement des NABU-Landesvorsitzenden Johannes Enssle zur heutigen Pressekonferenz zu den Hochwasserschäden in der Land- und Forstwirtschaft Baden-Württembergs mit Minister Peter Hauk MdL:
Hochwasserschutz: NABU-Landeschef Enssle widerspricht Agrarminister Hauk vehement
Die Forderungen, die Agrarminister Peter Hauk heute in Bezug auf den Hochwasserschutz formuliert hat, hält der NABU für abwegig und fachlich falsch. „Es macht den Eindruck, dass Agrarminister Peter Hauk versucht, auf Kosten des Naturschutzes ein billiges Wahlkampfmanöver durchzuführen, um damit in Teilen der Landwirtschaft zu punkten“, sagt Enssle. „Unsere Flüsse brauchen nicht weniger, sondern mehr Platz. Genau das ist das Ziel von Gewässerrenaturierungen und von ökologischem Hochwasserschutz. Landwirtinnen sowie Landwirte können mit ihren Flächen Teil der Lösung, nicht Teil des Problems sein. Statt sich gegen den Naturschutz zu stellen, sollte der Agrarminister sich dafür einsetzen, dass nicht immer mehr landwirtschaftliche Flächen entlang von Flüssen versiegelt werden und dem Bau von Gewerbegebieten zum Opfer fallen.
Angesichts tausender Kilometer geteerter Feldwege, die in den letzten Jahrzehnten durch die Landwirtschaftsverwaltung angelegt wurden, wirkt es gerade zu billig, jetzt den Ausbau von Radschnellwegen als Sündenbock heranzuziehen. Auch hier geht es in Wahrheit um die Interessen der Landwirtschaft, die sich darum sorgt, dass sich durch die Umwidmung von Feldwegen zu Radwegen die Anzahl von Wirtschaftswegen für die Landwirtschaft in manchen Bereichen reduzieren könnte. Die Landwirtschaftsverwaltung sollte dringend über Maßnahmen nachdenken, wie die Bodenverdichtung auf Wiesen und Äckern durch schwere landwirtschaftliche Maschinen reduziert und die Wasseraufnahmefähigkeit der Böden verbessert werden kann.“
Zu den Aussagen von Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk zu Hochwasser und Naturschutz
BUND: Intakte Natur schützt vor Hochwasser
Stuttgart. Der BUND Baden-Württemberg ist entsetzt über die jüngsten Aussagen von Landwirtschaftsminister Peter Hauk. „Naturschutzvorgaben dürfen nicht zum Sündenbock für Hochwasserschäden gemacht werden – Intakte Natur schützt uns sogar vor Hochwasser“, kritisiert Christoph Schramm, Waldreferent des BUND Baden-Württemberg. Die Behauptungen des Ministers, wonach Naturschutzmaßnahmen überdacht werden müssten, um Hochwasserschäden zu verhindern, sind nicht nur wissenschaftlich haltlos, sondern irreführend, betont Schramm.
1. Hochwasser und Naturschutz sind keine Gegensätze:
Minister Hauk stellt die Naturschutzvorgaben als Hindernis für den Hochwasserschutz dar. Dabei ist wissenschaftlich belegt, dass intakte Natur- und Artenschutzmaßnahmen langfristig Hochwasserschäden mindern können. Natürliche Überschwemmungsgebiete, Renaturierung von Flussläufen und Schutz von Feuchtgebieten tragen entscheidend zur Wasserregulation bei. Diese Maßnahmen bieten Retentionsräume, also Flächen, die bei Starkregen sehr viel Wasser aufnehmen und dadurch flussabwärts die Hochwassergefahr verringern.
2. Biberdämme helfen Hochwasser abzuflachen:
Der Vorwurf, Biberdämme würden notwendigen Retentionsraum verringern, ist unhaltbar. Biberdämme schaffen vielmehr wichtige Rückhaltebecken, die Hochwasserspitzen abflachen und das Wasser langsam an die Umgebung abgeben. Der Biber ist ein natürlicher Wasserbauingenieur und trägt zur Stabilisierung der Flussökosysteme bei.
3. Bannwälder und Totholz verbessern Wasserrückhalt:
Die Idee, Bannwälder zu Schonwäldern zu machen, weil ausgeschwemmtes Totholz angeblich lebensgefährlich sei, verkennt die ökologische Bedeutung dieser Wälder. Bannwälder sind wichtige Refugien für die Artenvielfalt und tragen wesentlich zum Klimaschutz bei. Totholz ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Waldes, der vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bietet und den natürlichen Wasserrückhalt im Boden verbessert.
4. Naturschutzvorgaben als Sündenbock:
Naturschutzvorgaben als Hemmnis für das Reinigen und die Pflege von Bächen darzustellen, lenkt von den eigentlichen Ursachen ab. Überschwemmungen sind oft die Folge von Fehlentwicklungen in der Landnutzung, wie Flächenversiegelung, Intensivierung der Landwirtschaft und Begradigung von Flüssen. Anstatt den Naturschutz zu schwächen, sollten diese Fehlentwicklungen korrigiert und integrative Ansätze gefördert werden.
5. Anpassungsstrategien an den Klimawandel:
Angesichts der zunehmenden Wetterextreme ist es unerlässlich, Anpassungsstrategien zu entwickeln, die Natur- und Hochwasserschutz verbinden. Dazu gehören die Förderung naturnaher Landbewirtschaftung, der Schutz von Feuchtgebieten und Auen sowie die Wiederherstellung natürlicher Flussläufe. Eine Politik, die auf kurzfristige Lösungen setzt und den Naturschutz schwächt, wird langfristig mehr Schaden als Nutzen bringen.
Der BUND Baden-Württemberg fordert Minister Hauk und die Landesregierung auf, verantwortungsbewusste und wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zu treffen, die sowohl dem Hochwasserschutz als auch dem Naturschutz dienen. „Es darf keine Denkverbote geben, jedoch müssen Lösungsvorschläge auf fundierten Erkenntnissen basieren und nicht auf wilden Behauptungen“, mahnt Christoph Schramm.
Der Landesnaturschutzverband zur Forderung von Minister Hauk, Hochwasser durch Beschneidung des Naturschutzes zu bekämpfen:
Landesnaturschutzverband hält nichts von einer „Neubewertung“ des Naturschutzes.
Um künftig Hochwasserschäden zu vermeiden, schlägt Minister Hauk eine Beschneidung des Naturschutzes vor. Diese Idee hält der Landesnaturschutzverband (LNV) für gänzlich abwegig.
Es stimme nicht, dass die Unterhaltung von Entwässerungsgräben am Naturschutz scheitere. Der Naturschutz gibt nur vor, dass die Entschlammung der Gräben in der richtigen Jahreszeit geschieht (Spätsommer/Herbst) und nicht mit Geräten, die alle Frösche und Fische häckseln (Grabenfräsen).
Und Retentionsraum für Hochwasser falle nicht durch den Biber weg, sondern durch Bebauung in Auen und durch Eindämmung der Gewässer. Die Renaturierung von Bächen, eine gesetzliche Pflicht, bei der das Land im Rückstand sei, führe tendenziell zu einer Verringerung der Hochwassergefahr und nicht zu einer Erhöhung. Dazu gehöre aber auch, den Bächen und Flüssen wieder den Raum zu geben, den sie brauchen.
Dass Hauk kein Freund der Bannwälder ist, ist schon lange bekannt. Sie aber als Risiko für den Hochwasserschutz anzuführen, weil dort Totholz abgeschwemmt werde, ist mehr als an den Haaren herbeigezogen.