Forschung: Biosphärengebiet als Wissenschaftsprojekt
Millionen schwere Langzeitforschung auf der Alb: Erstmalig in Deutschland untersuchen Wissenschaftler großflächig den Einfluss des Menschen auf die Artenvielfalt in Wiese, Feld und Wald.
Ein Computer-Raster überzieht das Biosphärengebiet. Graue Punkte im 200-Meter-Abstand unterteilen die Flurkarte in winzige Segmente. Schließlich projiziert der Rechner das Raster auf das Luftbild.
Die positionierten Planquadrate helfen, die Landschaft in unterschiedliche Lebensräume einzuteilen und dienen der Vorbereitung eines gigantischen, in Deutschland noch nie da gewesenen Langzeitforschungsprojekts. Wissenschaftler untersuchen eine 100 Quadratkilometer große Fläche von Dottingen bis Magolsheim und Buttenhausen bis Zainingen im Biosphärengebiet auf der Alb.
„Wir sehen das Projekt als einmalige Chance“, beginnt Dr. Elisabeth Kalko, Professorin der Universität Ulm, ihre Einführung in das Großprojekt. Acht Millionen Euro lässt sich die Deutsche Forschungsgesellschaft die Ökologische Langzeitforschung in drei Gebieten Deutschlands kosten. Unter der Federführung von Dr. Markus Fischer, Professor der Universität in Jena, arbeiten Wissenschaftler aus vier Universitäten und einem Institut am Aufbau des Projekts. Unter die Lupe nehmen sie neben dem Biosphärengebiet Schwäbische Alb ähnliche Lebensraumtypen im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin in Brandenburg und den Nationalpark Hainich in Thüringen.
„Im Untersuchungsgebiet auf der Alb wählen wir auf der Grundlage der Rasterpunkte die Flächen aus, in denen ab Ende 2007 Biologen Experimente durchführen werden”, beschreibt Dr. Konstans Wells von der Uni Ulm seine koordinativen Aufgaben. Zu diesem Zweck hat ein fünfköpfiges Forscherteam Räume im Alten Lager des ehemaligen Truppenübungsplatzes Münsingen angemietet. „Die Untersuchungen werden Aufschluss geben, welchen Einfluss die Landnutzung auf die Artenvielfalt in der Landschaft hat und welche Folgen sich daraus ergeben“, erklärt die Leiterin des Projekts.
„Biodiversitätsforschung auf Langzeituntersuchungsflächen“, heißt der weltweite Trend in der ökologischen Forschung. In den USA sind diese langfristigen Forschungsplattformen gang und gäbe. Wissenschaftler in Deutschland betreten dagegen Neuland, liefern aber durch die geplanten Experimentierflächen ein neues Konzept. Das Großprojekt hat jeden Grashalm, jede Heuschrecke bis hin zu Molekülen als kleinste Bausteine im Ökosystem im Fokus. Allerdings nicht isoliert, sondern im Gesamtgefüge der Natur. Zunächst hilft das Computer-Raster im Gelände 1000 Untersuchungspunkte festzulegen. 100 von ihnen wählen Biologen als Freiluftlabor aus, als so genannte Exploratorien. Auf vier mal vier Meter großen Wiesenflächen beispielsweise wollen die Wissenschaftler durch veränderte Mähzyklen oder variierende Düngung herausfinden, ob sich die dadurch ändernde Artenvielfalt eine Erhöhung des Grünertrags bewirken kann. Düngung fördert einzelne Arten, die andere Kräuter verdrängen. Folge: die Wiese verarmt. Bienengesumm und Schmetterlingsflattern erlebt der Wanderer nur in Wiesen in denen viele verschiedene Kräuter blühen.
„Durch die Streuung der Forschungsplattform in Deutschland erhalten wir zudem die Möglichkeit Untersuchungen zu vergleichen“, erklärt Kalko. Denn Wald ist nicht gleich Wald. Im Hainich wachsen Buchen auf Lös-Böden, in der Schorfheide auf sandigem Untergrund, auf der Schwäbischen Alb auf Kalkverwitterungsböden. „Das hat beispielsweise Auswirkung auf den Wasserabfluss, der maßgebend für den Nährstoffgehalt ist“, erklärt Dr. Wells die Zusammenhänge. Ein Faktor von vielen, der neben der menschlichen Nutzung über Jahrhunderte große Unterschiede in der Artenzusammensetzung von Flora und Fauna bewirkt und schließlich unterschiedliche Landschaften hervorbringt.
Doch geht das Langzeitforschungsprojekt, das über drei Jahre von der DFG gefördert wird, weit über die Bestandsaufnahme hinaus. „Das Erstellen von roten Listen gefährdeter Tierarten reicht nicht aus“, weiß Kalko. Sie möchte die Zusammenhänge verständlich machen. Warum lohnt es, Artenvielfalt zu erhalten?
Flugkünstler: Der Rotmilan fühlt sich wohl in der abwechslungsreichen Kulturlandschaft auf der Alb.
Den ersten Meilenstein zur Lösung dieser Frage wird das Team um Kalko und Wells Ende nächsten Jahres gesetzt haben. Die Testfelder werden ausgewählt und markiert sein mit versenkten Metallköpfen, die die Wissenschaftler mit Hilfe von GPS-Geräten orten. 50 Wiesen-Experimentierflächen à 4 qm verteilt auf 10 Nutzungsarten wie etwa Magerrasen, Wirtschafts- oder Fettwiese und 50 Wald-Exploratorien à 30 qm stehen für Versuche bereit. Um sie werden sich Fakultäten aus ganz Deutschland bewerben.
Am Beispiel Lebensraum Baum, könnten durch Ausschlussexperimente Insektenfresser wie Vögel und Fledermäuse durch Netze von Einzelbäumen fern gehalten werden. Wie wirkt sich der vermehrte Blattfraß auf die Vitalität des Baumes und den Fruchtertrag aus? Oder was trägt der Mensch zur Artenvielfalt bei?
Eine ganze Menge. „Der Mensch schafft Biodiversität“, betonen die beiden Wissenschaftler. Ohne Bewirtschaftung wäre unsere vielfältige Kulturlandschaft nicht entstanden. Es gäbe nur Wald, so weit das Auge reicht. Menschlichen Ursprung haben auch die Feldgehölze, die das Ackerland gliedern. Auf Lesesteinriegeln, die die Landwirte über Jahre anhäuften, haben sich Weißdorn, Feldahorn und Schlehe angesiedelt. Ein Lebensraum, der Vögeln Schutz und Nahrung bietet. Sie revanchieren sich dafür durch eifriges Picken als Schädlingsbekämpfer.
Der Kreis schließt sich. Das Verstehen der Zusammenhänge weckt Interesse an der Natur und hilft, den Wert der Artenvielfalt als ökonomischen und ökologischen Faktor zu erkennen.
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Altes Lager als Forschungsstation
Experimente
Seit November 2006 nutzt ein fünfköpfiges Forscherteam der Uni Ulm ein kleines Büro im Alten Lager des ehemaligen Truppenübungsplatzes für die Biodiversitätsforschung im Biosphärengebiet. Es dient als Basis für die Feldforschung und Informationsplattform für die Bürger. Die Wissenschaftler planen Informationsabende und Ausstellungen zum Forschungsprojekt.
Lauscht man den Visionen der Experten, versprechen die langfristig angelegten Experimente spannende Fragestellungen: Wie wirkt sich die Klimaerwärmung auf der Alb aus? Wie verschiebt sich das Verbreitungsgebiet von Infektionskrankheiten (Borreliose durch Zeckenstich) durch Veränderungen in der Vegetation? Erhöht die Artenvielfalt einer Wiese den Grünertrag?