Mit Mörike in die Biosphäre

Tourismus: Wandern auf Mörikes Spuren von Stuttgart 106 Kilometer über die Alb nach Ulm

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Der Schwabe Eduard Mörike ist ein Kind der Alb. Nicht nur, dass der Stuttgarter Dichter 1818 ins theologische Seminar in Urach eintrat, er ließ auch seine Buchfigur Seppe im „Das Stuttgarter Hutzelmännlein“ über die Alb reisen. Sphäre-Autor Marco Heinz folgt seinen Spuren.

Eine Wanderung beschert Freude, weil sie zu den ursprünglichen Dingen zählt. Wandern ist tief im Menschen angelegt, jeder beschließt und lenkt seine Schritte ganz von selbst. Die Qualität des Wanderns misst sich viel mehr in Kreativität, als in Raum und Zeit. Eigene Schritte zu tun, von Stadt zu Stadt mitten durch die Biosphäre, mit einem Büchlein von Eduard Mörike als Inspiration, heißt Wege zu gehen, die so nicht mehr vorgezeichnet sind. Aber sie sind möglich – noch heute.
In seiner Novelle vom „Stuttgarter Hutzelmännlein“ lässt Mörike seinen Helden, einen armen Schuster namens Seppe, von Stuttgart über die Alb wandern, um sein Glück zu suchen. Mörikes Phantasiegestalt marschiert durch eine stillere Zeit, als seinerzeit Graf Eberhard das Land regierte. Der moderne Wanderer dagegen flieht vor Großstadtlärm und Verkehr. Doch finden sich selbst in der pulsierenden Landeshauptstadt stille Pfade. Kaum eine halbe Stunde entfernt vom stolzen Schloss in der Stuttgarter City dämpft der Bopserwald das Großstadtleben, man hört nur fernes Grummeln. Die steile Steige zum Fernsehturm zeigt ganz sinnlich die Kessellage auf, die der Schwabenmetropole etwas heimeliges gibt. Auf der Aussichtsplattform der 216,8 Meter hohen Betonsäule wirkt das Biosphärengebiet Schwäbische Alb zum Greifen nah. Der 1956 errichtete Turm ist weltweit der erste seiner Art.
Ein Wanderer hingegen verschiebt sich seinen Horizont aus eigener Kraft. Er begegnet der Alb, sobald er aus dem Körschtal aufgestiegen ist. An klaren Tagen trennt eine messerscharfe Linie die Albhochfläche vom stahlblauen Firmament. Noch vieles aber ist zuvor abzuarbeiten im Rhythmus der Schritte: Die Filder in ihrer Zerrissenheit zwischen Flächenfraß, Fluglärm und Fruchtbarkeit. Die Täler von Aich und Neckar. Markante Kirchtürme, pittoreske Hausfassaden oder wilde Streuobstwiesen machen diese Tour abwechslungsreich. Hinter Neckartenzlingen wartet die Höhe, auf der Mörike so oft weilte, lange sann und rang um jedes Dichterwort. Im Stuttgarter Hutzelmännlein feierte er den Anblick der Alb: „Mit großen Freuden sah er bald von der Bempflinger Höhe die Alb als eine wundersame blaue Mauer ausgestreckt. Nicht anders hatte er sich immer die schönen blauen Glasberge gedacht, dahinter, wie man ihm als Kind gesagt, soll der Königin Saba Schneckengärten liegen.“
Ab Metzingen nimmt die Alb den Fußgänger im tief geschnittenen Ermstal fest zwischen ihre felsigen Arme. Eduard Mörike schrieb weiter in seinem Buch: „Doch war ihm wohlbekannt, dass da oben weithin wieder Dörfer seien, als: Böhringen, Zainingen, Feldstetten, Suppingen, durch welche er sämtlich nacheinander passieren müsste.“ Doch nicht die Schneckengärten der Königin Saba erwarten den Wanderer heute, sondern die Biosphäre.
Mörike gönnt hier seinem Seppe etwas Ruhe und lässt ihn auf dem Wagen eines Suppinger Bäuerleins mitfahren. Wacholderheiden, knorrige Buchen und steinige Äcker geben der Alb ihr herbschönes Flair. Zwischen den bewaldeten Höhen der sanften Kuppenalb rückt jeder Kirchturm in träumerische Ferne.
Das Abendlicht taucht die schroffen Felsen um Blaubeuren herum in ein glühendes Rot. Zeit, um eine Wanderetappe in der historische Altstadt zu beschließen. Verwinkelte Gassen, schiefe Fachwerkhäuser – wie mag sich Seppe wohl gefühlt haben? Früh am Morgen ist es auch am viel bereisten Blautopf noch still. Dieser undurchschaubar tiefe emailleblaue Karstquelltopf hat von jeher die Phantasie der Menschen bewegt – auch Eduard Mörike. In seiner „Historie von der schönen Lau“ wählte er diesen Wassertrichter als Handlungsrahmen (ISBN 3-8052-0274-1). Gleichzeitig ist die weit bekannte Erzählung Kern seiner Novelle vom „Stuttgarter Hutzelmännlein“.
Die Spur Mörikes führt den Wanderer dann durch das Blautal in die nächste Großstadt. Schon bald grüßt der höchste Kirchturm der Welt – das 161,53 Meter mächtige, ehrwürdige Ulmer Münster. Im Schatten dieses Gotteshauses pulsiert eine farbenfrohe Altstadt. Zwischen Dom und Donau liegt das Fischer- und Gerberviertel, deren historischen Gebäude eine intakte Stadtmauer rahmt.
Die Erfahrungen, die Mörike seinen Seppe in Ulm machen ließ, waren allerdings bitter. Aber er läßt ihn auf dem Rückmarsch über die Alb daraus lernen. Beim nächsten Weitblick zum Alb-Gebirge (diesmal von der Oberensinger Höhe) gesundet die Seele des Seppe. In Stuttgart heimgekehrt findet er schließlich sein Glück.


SPHÄRE-Wissen: Eduard Mörike und „Das Stuttgarter Hutzelmännlein“

Eduard Mörike (1804-1875), Dichter und Pfarrer, ist immer biederer häuslicher Schwabe geblieben. Vom Sprachvermögen zählt er sicher zur Riege der Allergrößten. Sein Roman „Maler Nolten“ und die Novelle „Mozart auf einer Reise nach Prag“ zählen zu den Perlen deutscher Literatur. Weit verbreitet ist bis heute auch sein Frühlingsgedicht: „Er ist´s.“ („Frühling lässt sein blaues Band…“). Besonders anrührend ist seine Novelle vom „Stuttgarter Hutzelmännlein“ (ISBN: 3150047552):
Der arme Schuster Seppe aus Stuttgart, beschließt in die Ferne zu wandern, um sein Glück zu suchen. Vor seinem Aufbruch besucht ihn das märchenhafte Hutzelmännlein, rüstet ihn mit Zauberschuhen und einem „Hutzelbrot“ das immer wieder nachwächst, solange man es nicht völlig verschlingt. Seppe bewundert die Schönheit der Schwäbischen Alb („geheimnisvolle blaue Mauer“) und zieht über Metzingen, Blaubeuren nach Ulm. Sobald er dort den Blautopf erreicht wird die erotisch angehauchte Historie von der „Schönen Lau“ erzählt. Die Meerjungfrau aus dem Schwarzmeer ist in den Blautopf verbannt, weil sie zu traurig ist, um lebende Kinder zu gebären. Biedere schwäbische Wirtsleute im Nonnenhof zu Blaubeuren geben ihr das Lachen zurück, glücklich kehrt sie heim. Ein „Klötzle Blei“ lässt sie aus ihrem Schatz zurück, den der Seppe für den Hutzelmann suchen muss. Seppe erlebt allerlei Unglück in Ulm, kehrt aber mit wertvoller Erfahrung Heim, findet anhand eines zweiten Paares Zauberschuhe seine Braut und wird für ein langes Leben glücklich.


SPHÄRE-Wissen: Wegbeschreibung

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© Kartengrundlage: OpenStreetMap.org (CC By SA)

Stuttgart Marktplatz- Charlottenplatz- Charlottenstraße- hinter dem Bethesda-Krankenhaus links über Treppen- Sonnenbergstraße – Im unteren Kienle- Margaretenweg durch den Wald zum Fernsehturm, Weg links der Mittleren Filderstraße – in Riedenberg Hermann- Löns- Straße zum Eichenhein- Weg zwischen Straße und Bach- an der Kläranlage Kemnat rechts über die Körsch- aufsteigen durch den Wald zur Plieninger Str – rechts vorne (Südost)Mobilfunkantennne, dort Autobahn unterqueren, an der Startbahn vorbei – Radweg Sielmingen – Radweg Aichtal, Neckartailfingen, Neckartenzlingen, von da bis Urach Ermstalradweg, mit einem Abstecher: Gegenüber der Festhalle Neckartenzlingen links, Im Rotenbach, Eichendorffstraße, über B312, links am Siedlungsrand, erster Waldweg rechts nach dem Spielplatz führt zur Mörikehöhe.
Ab Urach Wanderzeichen Gelbes Dreieck bis Hengen, Böhringen,gelber Dreiblock bis Zainingen, gelbe Raute (Rand des Biosphäre Kerngebietes), ab Straßenüberquerung gelber Dreiblock bis Feldstetten, über Kläranlage, Hagsbuch, Kaltenbuch bis Suppingen, gelbes Dreieck, Seißen, Blaubeuren. Blautalradweg bis Ulm, alternativ roter Dreiblock am Talrand.

Zum Weg des Seppe: Mörike lässt seinen Schuster über die „Weinsteig“ (heute Alte Weinsteige) aus der Stadt ziehen, Seppe blickte auf das Grafenschloss (heute Altes Schloss), zur Zeit des Grafen im Eberhart im Barte war Stuttgart fast noch ein Dorf. 1875 also ein Jahr nach Mörikes Tod wurde es mit 100 000 Einwohnern zur Großstadt, heute ist es mit 600 000 Ew. die sechstgrößte Stadt in Deutschland. Ich zog wegen des ruhigeren Wanderns den kleinen beschaulichen Stadtteil Bopser vor (Mörike ließ den Seppe hier zurückkehren), um durch den Bopserwald, wo Schiller einst konspirativ die „Räuber“ aufführte, aufzusteigen. Mörike lässt seinen Seppe auf eine Eiche steigen. In der Perepherie Stuttgarts finden wir etwa zwei Hundert dieser Bäume, teils hunderte von Jahren alt, heute im Naturschutzgebiet Eichenhain bei Riedenberg.
Über die Filder schreibt Mörike nichts. Auf der Höhe bei Bempflingen fand er sein berühmtes Zitat von der Alb „als wundersame blaue Mauer“. Ein schönes Relief des Albvereins verdeutlicht hier die Aussicht. Bempflingen hat dem großen Dichter, der hier einst als Vikar hier weilte einen ausgeschilderten Rundweg gewidmet.
Er erwähnt hier schon den Weiterweg: Böhringen, Zainingen, Feldstetten, Suppingen. Zunächst wird der Seppe von Straßenjungen in Metzingen verhöhnt und nächtigt in Urach. Durch die heutige Biosphäre kutschiert in ein Suppinger Bäuerlein und berichtet ihm vom Hanf- und Flachsanbau auf der Alb. Blaubeuren ist mit dem Namen Mörike als Dichter der „Schönen Lau“ im Blautopf noch heute eng verbunden.
In Ulm lässt Mörike seinen Seppe ein unglückliches Liebesabenteuer durchleben, wahrscheinlich mochte der Altwürrtemberger die ehemaligen Reichstädter nicht besonders.

Marco Heinz

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Printausgabe: Sphäre 3/2010, Seite 30-31

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Kommentar

Eben sehe ich hier im Netz Ihren Artikel.
Schade, dass Sie dabei nicht das Mörikehaus in Ochsenwang erwähnen, das ja ebenfalls im Biosphärengebiet SchwA liegt. Unserer Domain können Sie alle wichtigen Infos entnehmen, falls Sie einmal auf dieses Museum beim Nordportal hinweisen – und es vielleicht auch zuvor besuchen.
Herzlichst – Gisa König

1 Kommentar von "Mit Mörike in die Biosphäre"

  1. 4. März 2012 - 12:59 | Permalink

    Eben sehe ich hier im Netz Ihren Artikel.
    Schade, dass Sie dabei nicht das Mörikehaus in Ochsenwang erwähnen, das ja ebenfalls im Biosphärengebiet SchwA liegt. Unserer Domain können Sie alle wichtigen Infos entnehmen, falls Sie einmal auf dieses Museum beim Nordportal hinweisen – und es vielleicht auch zuvor besuchen.
    Herzlichst – Gisa König

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