Steinzeitmensch schlauer als gedacht

Der frühe Mensch wurde lange unterschätzt

Die Fundstelle Schöningen veränderte unser Bild der menschlichen Evolution in der Altsteinzeit  ‒ Im Sonderband des Journal of Human Evolution ziehen Wissenschaftler Bilanz.

Jordi_Serangeli_Schoeningen_Menschheitsgeschichte

Die Schichtenabfolge auf der Fundstelle Schöningen führt bis zu 300.000 Jahre in die Menschheitsgeschichte zurück. Foto: Jordi Serangeli

 

Die Menschen der Altsteinzeit waren dem modernen Menschen sehr viel ähnlicher als lange angenommen: Der Homo heidelbergensis verfügte bereits über die Techniken für ausgefeilte Waffen und Werkzeuge. Er lebte in einem Sozialgefüge, in dem man gemeinsam jagte, Arbeitsteilung praktizierte und kommunizierte ‒ alles Eigenschaften, die sonst nur dem modernen Menschen zugeschrieben wurden. Dass wir den Homo heidelbergensis heute nicht länger unterschätzen, ist einem Fundplatz im niedersächsischen Schöningen zu verdanken: Der ehemalige Braunkohletagebau gilt weltweit als Schlüsselfundplatz für das Paläolithikum und hat unser Bild der damaligen Zeit grundlegend verändert. Seit 1994 geben hier zahlreiche Funde Aufschluss über Klima, Umwelt und Leben vor 300.000 Jahren. Seit 2008 führt die Universität Tübingen unter der Leitung von Professor Nicholas J. Conard und Dr. Jordi Serangeli in enger Kooperation mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege dort Ausgrabungen durch.
Erstmals präsentiert nun ein Sonderband des renommierten Journal of Human Evolution  umfassend die Grabungsfunde. So werden die ältesten, vollständig erhaltenen Speere der Welt, deren Fund als einmalig gilt, einzeln und im Kontext mit Stein- und Knochenartefakten vorgestellt. Sie wurden auf einem altsteinzeitlichen Schlachtplatz gefunden und zeigen, dass die Menschen in Schöningen als erfolgreiche Jäger in der Lage waren, zu planen und gemeinsam vorzugehen.
Holz-, Stein- sowie Tierknochenartefakte geben Aufschluss darüber, wie die Menschen vor 300.000 Jahren wirtschafteten. Unter den bearbeiteten Knochen fand sich auch ein Oberarmknochen der eurasischen Säbelzahnkatze (Homotherium latidens), der als Schlagwerkzeug diente. Damit ist er der weltweit einzige Knochen eines solchen Tieres, der vom Mensch zu einem Werkzeug umfunktioniert wurde. Nicht zuletzt konnten durch die Funde Natur- und Klimaveränderungen über die Jahrtausende hinweg rekonstruiert werden.

Lange ging man davon aus, dass in Schöningen die frühesten Belege für Feuernutzung in Europa gefunden wurden. Die Tübinger Wissenschaftler kommen nach dem Einsatz von modernen Untersuchungsmethoden (Mikromorphologie, Fourier-Transformations-Infrarotspektrometer, organische Petrologie und Thermolumineszenz) nun aber zu dem Schluss, dass es sich bei den Fundstätten nicht um Feuerstellen handelt. „Dies wirft die Frage auf, ob die Menschen das eiszeitliche Mitteleuropa eventuell auch ohne Feuernutzung besiedelt haben könnten“, sagt Professor Christopher Miller vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen und dem Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP).
„Die einzigartigen und in hoher Qualität erhaltenen Grabungsfunde haben zu einem Paradigmenwechsel – dem sogenannten Schöningen-Effekt – in unserer Sicht auf die menschliche Evolution in der Altsteinzeit geführt“, sagt Professor Nicholas J. Conard, Leiter der Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen und Mitglied des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP).

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