Nationalpark: Écrins (Süd), Frankreich

 Nationale Landschaft: Nationalpark Écrins in Frankreich – maximale Kontraste

Seen, Wasserfälle, Gletscher und Almen prägen die atemberaubende Natur im Nationalpark Écrins. Und natürlich die Berge, von denen über 150 höher als 3000 Meter ragen. Wanderer haben in der Kernzone rund 700 Kilometer Wege für sich allein.

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Mehr Höhen als Tiefen

Seen, Wasserfälle, Gletscher und Almen prägen die atemberaubende Natur im Nationalpark Écrins. Und natürlich die Berge, von denen über 150 höher als 3000 Meter ragen. Wanderer haben in der Kernzone rund 700 Kilometer Wege für sich allein.

Wo gibt es das noch: Ein See, himmelblau und durchsichtig bis auf den Felsengrund. Drum herum aber herrscht noch Ruhe. Quasi als Gegenentwurf zu Gardasee, Lago Maggiore oder wie die Touristenmagnete sonst noch heißen mögen, versteckt sich der „Lac de Serre-Poncon zwischen den höchsten Bergen der französischen Alpen.

Individualisten sind die Gäste dieses Juwels. Sie trotzen dem Mainstream aus Prinzip. Grund: Sie suchen stets das Bessere als das, was Otto-Normal-Urlauber gut findet. Klar, am Wasser tummeln – schwimmen, segeln, surfen, Wasserski-, Kajak-, Kanu- und Boot fahren oder angeln muss auch mal sein. Auch Vollzeit-Urlaubsaktivisten brauchen den einen oder anderen Ruhetag dazu. Ansonsten aber locken die Trails in die faszinierend ursprüngliche Natur des Nationalparks Écrins.

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 Skurril – tiefe Furchen säumen das Seeufer.

Ob in Wanderschuhen, Laufschuhen, auf dem Mountain-Bike oder auf dem Rennrad: Entlang des Rings, von Flüssen wie der Durance tief um das Pelvoux-Massiv gegraben, dem Herzen des Nationalparks, kann man optische und kulturelle Highlights erkunden. Das Städtchen Embrun beispielsweise. Eine 871 Meter hoch gelegene Bilderbuchidylle, deren durch enge Gassen getrennte Häuser sich rund um die Cathédrale de Notre-Dame du Réal arrangieren. Nein, nicht für Touristen gemacht, sondern um zu leben wie Gott in Frankreich. Oder besser: Dort wohnen, wo andere sehnsüchtig Urlaub machen und ihrem Sport frönen.

In dieser 6000-Seelen-Gemeinde haben schon viele Herzen von Spitzenathleten auf Hochtouren geschlagen. In den Jahren 2008 und 2013 gastierte die Tour de France mit zwei Etappen. Seit 1983 wird jährlich Mitte August zu Maria Himmelfahrt ein Berg-Triathlon der Extraklasse über die Langdistanz ausgetragen. Beim sogenannten Embrunman müssen die Athleten 3,8 Kilometer im Lac de Serre-Poncon schwimmen, 188 Kilometer Rad fahren und 42,2  Marathonkilometer entlang des Sees laufen. Das Besondere dabei ist, dass die Radstrecke 3800 Höhenmeter sammelt, mit dem Col d’ Izoard (2360 m) als höchsten Punkt. Wohlgemerkt, dieses Event gibt es seit 1983, als die Welt kaum wusste, wie man Triathlon schreibt.

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 Karge Böden – geackert wird nur in kleinem Stil.

Den Begriff Nationalpark perfekt buchstabieren konnten die Franzosen bereits 1973. Zu einer Zeit, da in der germanischen Republik die Fische noch mit dem Abschaum der industriellen Segnungen um das Überleben rangen – auch in Flüssen wie Neckar und Rhein. Anders als bei den vergleichsweise spät entdeckten Liebeleien zu Biosphärenreserva­ten (Schwäbische Alb) oder Nationalparks (Schwarzwald) gaben in Frankreich nicht Politiker und Naturschutzorganisationen alleine Gas. In der Provence trieben auch Bergsteiger und der Französische Alpen-Club federführend die Schutzgebietsidee voran.

Von daher zeigt sich der Franzose anders als der Schwabe für jede Art von Fortbewegung aufgeschlossen. Zumindest kennt man dort die 2-Meter-Regel gegen Mountain-Biker nicht, die hier zu Lande die Gesichtszüge von schlecht gelaunten Wandergenossen oft bitterbös entgleisen lassen. Apropos entgleisen. Auch die Eisenbahn rattert hier in diese abgelegene Region entlang des Ufers des Lac de Serre-Poncon. Dieser 20 Kilometer lange und bis zu 120 Meter tiefe Stausee wurde 1961 fertiggestellt.

1,2 Milliarden Kubikmeter Wasser der Durance stemmen sich gegen einen 124 Meter hohen und 630 Meter langen Damm. Er gilt als Europas größter Erddamm. 1500 Menschen mussten ihre Heimstatt verlassen – schlimm. Auch die Bahnstrecke wurde verlegt. Dieses Opfer allerdings ist auch den katastrophalen Überschwemmungen geschuldet, die in den Jahren 1843 und 1856 den Unterlauf in der Gegend um Avignon trafen.

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 Höchster Alpenpass – Cime de la Bonette (2860 m).

Doch dienen die 29 Quadratkilometer Wasserfläche vor allem der Stromerzeugung von jährlich etwa 700 Millionen Kilowattstunden. Diese Energie deckt komplett den Bedarf der Region Hautes-Alpes. Oder um es mit der Mathematik eines Tour-de-France-Fahrers zu veranschaulichen: Ein Rennfahrer bringt sechs bis sieben Watt pro Kilogramm Leistung auf die Straße. Ein Peloton von etwa 250000 Profis könnten, wenn sie ein Jahr ohne Pause pedalierten, dieses Kraftwerk ersetzen.

Nicht zu ersetzen dagegen ist die positive Energie, die einem eine schweißtreibende Tour schenken kann – sei es in Wanderschuhen oder im Radsattel. Die Kraft, um die mit 2860 Metern höchste Straße Europas, den Cime de la Bonette zu erklimmen, ließe eine LED-Lampe mehrere Tage hell leuchten.


Übersichtskarte

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So schön kann geschützte Natur sein

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Stahlblau, glasklar – der Stausee Lac de Serre-Poncon grenzt den Park nach Süden hin ab.

Nationalpark Écrins: 1973 erhielt das Pelvoux-Massiv mit der „Barre des Écrins“ als südlichster Viertausender (4102 m) das Prädikat „Nationalpark“. Diese Perle der Provence in den französischen Alpen bietet auf 1800 Quadratkilometern Gletscher, Wasserfälle, Seen und Almen. In der 900 Quadratkilometer großen Kernzone genießt die Natur absolute Vorfahrt. Hier fühlen sich Steinadler, das Symbol des Nationalparks, der Lämmer-, Gänse- oder Mönchsgeier wohl. Häufig begleiten die Warnschreie der Murmeltiere den einsamen Wanderer. Seltener dagegen kreuzen Steinböcke, Wölfe und Luchse die wilden Bergtrails. Rund 700 Kilometer Wanderwege erschließen den Nationalpark. Über 2500 Pflanzenarten haben sich an die extremen Wetterbedingungen zwischen gemäßigten 800 Metern bis hinauf zu den eisigen Viertausendern angepasst. 150 Gipfel recken sich über die 3000er-Marke. Zum Vergleich: Deutschland besitzt nur einen einzigen Fast-3000er, die Zugspitze mit 2962 Metern. Ein Schauspiel vergoldet den Herbst: Goldgelb lodern die Lärchen an Talhängen unterhalb der Baumgrenze. Darüber krallen sich die Wurzeln des Zwergwacholders in die dünne Humusschicht. Dazwischen leuchten die weißen Gipfel und eisblauen Gletscherzungen. Mehr als 350 Wirbeltierarten haben die Forscher gezählt. Seit über 40 Jahren sammeln Spezialisten Daten von mehr als 300000 Wildtieren, um Wechselwirkungen auf die Spezies zu erkennen.

Nationalpark Écrins: 178600 Hektar (Kernzone 91800 Hektar) / Höhe: 800 bis 4102 m. Vergleich: Biosphärengebiet Schwäbische Alb 85300 Hektar, Ehemaliger Truppenübungsplatz Münsingen 3700 Hektar.

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 Quo vadis – monumentaler Wandersmann.

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Printausgabe: Sphäre 2/2017, Seite 24-27

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