Werte-Wandel

Leben: Münsingens Parksiedlung lockt Städter in die Biosphäre

Wohnen und arbeiten, wo andere Urlaub machen. Professionelle Vermarktung und ansprechendes  Stadtprofil machen Münsingens Parksiedlung zum Geheimtipp auf der Alb.

Parksiedlung: Die Kasernen weichen, der alte Baumbestand bleibt stehen. Die parkähnliche Landschaft inspirierte Städteplaner, Namensgeber und Häuslebauer gleichermaßen.

Man wächst an seinen Aufgaben. Wer jammert oder den leichtesten Weg begeht, entfaltet niemals seine Potentiale. Auch die Stadt Münsingen hat gestöhnt, als sie das erste Mal im Jahre 2000 die Kunde vom Abzug der Truppen vernahm. Kaufkraftverlust, Verödung des Areals der Herzog-Albrecht-Kaserne mitten in der Stadt. Berufspessimisten stimmten zu lautstarkem Wehklagen an.

Und heute? Im Herzen der Stadt erstrahlt ein kleines Juwel auf den Abbruchtrümmern der Kaserne: Die Parksiedlung. Hundert Jahre alte Buchen rahmen die schmucken ein- und zweigeschossigen Häuser ein. Das Einkaufszentrum erreichen die Bewohner zu Fuß. Drum herum fünf Kindergärten, Hallenbad, Grund-, Haupt-, Real-, und Berufsschulen sowie das Gymnasium. Für den sicheren Weg zur Schule hat Münsingen sogar eine Fußgängerbrücke über die Hauptstraße nach Auingen spendiert, Radwege machen die Kinder mobil.

Für Familien ist dies das Paradies, ebenso wie für Freunde einer regen Stadtkultur. In fast Steinwurfweite der Parksiedlung tauchen die frischgebackenen Bauherren, vorbei an den ersten Fachwerkhäusern, in eine vom Handel pulsierende Altstadt ein. Kampfpreis: „99 Euro pro Quadratmeter – voll erschlossen. In vergleichbaren Städten kostet der Bauplatz 350 Euro und mehr“, präsentiert Bürgermeister Mike Münzing stolz die Fakten. An dieser Stelle des Interviews mit der Redaktion Sphäre huscht ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht, so als hätte er beim Schachspiel eine erfolgreiche Figurenkombination platziert. Nun sind die Anderen am Zug.

Der Handel und viele Kommunalpolitiker befürchteten, dass ihnen der Sold der bis zu 2000 Soldaten von heut´ auf morgen fehle. Das Schlagwort Kaufkraftverlust machte die Runde. Und zu Recht richtete Münsingen die Augen auf den Bund und das Land. Die Konsequenzen derart kurzfristiger politischer Entscheidungen muss und darf nicht Münsingen alleine schultern. Unverständlich: Hatte doch das Militär erst im Jahre ´97 bis 2001 rund 18 Millionen Euro investiert und Teile der Kaserne aufwändig renoviert. Jeder privatwirschaftlicher Betrieb wäre bei solcher Führung Konkurs. Doch am Ende löffelt der Bürger und in diesem Fall auch die Gemeinde Münsingen die Suppe aus.  Alleine dadurch, dass der größte Gas- und Wasserverbraucher, das Militär, wegbricht, „hätte dies beispielsweise die Wasserrechnung der Münsinger um 35 Cent pro Kubikmeter verteuert“, rechnet der Bürgermeister vor. Denn die Fixkosten für Kläranlage, Wasserleitung, Gasversorgung und Instandhaltung bleiben konstant. Dies wird nun durch den Zuzug von neuen Bürgern kompensiert.

Doch schwierige Konstellationen bedeuten noch lange nicht Schach matt. Denn man kann an Aufgaben nur wachsen. Und die ehemalige Garnisonsstadt will wachsen, will Image und Position in den Köpfen korrigieren. Landauf, landab, wo die Industrieschornsteine rauchen, fragen sich die Menschen, was es denn in ländlichen Regionen zu arbeiten gibt. „Wir haben mit 4,4 Prozent Arbeitlosen bundesweit eine der geringsten Quoten“, entgegnet Münzing. Ebenso widerspricht er dem Bild von der rauhen Alb, das die vielen tausend biwakierenden und frierenden Soldaten von ihrer Stationierung ins Land trugen. Die Alb ist nicht kälter als die verträumten, lieblich verschneiten Ausflugsziele der Skifahrer in den Alpen. Mehr noch: Wer liebt schon ein halbes Jahr Schmuddelwetter  und talnasses Kalt? Offensichtlich niemand, sonst wären am Wochenende die Wanderparkplätze, gerade im Winter, hier oben nicht überfüllt.

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Info: Auf der Alb lässt´s sich leben

Grüne Lunge

Handschlag zählt: Ein Anruf Mike Münzings genügte, um Johannes Schwörer von der Idee zu begeistern, ein Musterhaus für den Münsiger Herbst 2004 hochzuziehen.

Mike Münzing witterte im Truppenabzug die Chance. So wie ein Jagdhund mit aller Kraft im Alleingang durchs Unterholz jagt, sobald nur ein Hauch von Wildgeruch die feinsinnige Nase streift, so zielsicher bewegte sich der Bürgermeister auf ihm noch unbekannten Wegen Richtung fiktivem Ziel.

„Wir mussten was tun“, unterstreicht der Bürgermeister die Tatkraft der Stadt. Noch bevor der Kaufpreis für die Herzog-Albrecht-Kaserne feststand, hatte er, entgegen aller Zauderer, die Pläne fertig auf dem Tisch. Nach erfolgreichen Kaufverhandlungen legten die Münsinger Macher auch schon los. Abbruch, Riesenmesse Münsinger Herbst 2004 über neun Tage mit 65.000 Besuchern, Präsentation eines Musterhauses von Schwörer, 30 konkrete Interessenten danach. 100 der 192 Bauplätze sind im Frühjahr 2006 bereits erschlossen, 40 Kaufverträge unter Dach und Fach, weitere 20 reifen in der Pipeline.

Viele Menschen haben das Leben in der City satt. Sie suchen nach neuer Heimat und Arbeit. In und um Münsingen gibt es viel zu tun. „Unsere Stadt führte lange mit der gerings­ten Quote um vier Prozent die Arbeitslosenstatistik des Bundes an“, unterstreicht Münzing die Schaffenskraft auf der Schwäbischen Alb. Zum Vergleich: Die mittlere Quote bundesweit beträgt derzeit 11,1 Prozent. Doch nicht nur Arbeit, sondern auch Heimat hat die Alb zu bieten. Wer sich in die Gemeinschaft der traditionsbewussten Einheimischen einlebt, darf hier einen in Ballungsgebieten nie erfahrenen Schulterschluss erleben. Lokal statt global. Ob in Vereinen, Kirche oder in Kommunalgremien herrscht ein mitreißendes Engagement. In Großstädten konsumiert man, auf dem Land produziert man: Kultur, eigenständiges Lebensgefühl und massenweise Natur, die jetzt sogar mit UNESCO-Weihen unter dem Namen Biosphärengebiet in eine sichere und lebenswerte Zukunft segeln soll.

Biosphäre? Für Münzing ein alter Hut. „Schon 1998 habe ich das Thema aufgegriffen und diskutiert“, erinnert sich der quirlige Bürgermeister. Doch der Funke dieser Visionen bei dieser ersten öffentlichen Veranstaltung in Münsingen entfachte kein Feuer. Jetzt, sieben Jahre später, tobt ein Flächenbrand. Ministerpräsident Oettinger erklärte die Biosphäre zur Chefsache.

Printausgabe: Sphäre 1/2006, Seite 22-23

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