Ortsportrait Münsingen – Biosphärenhauptstadt

Im Herzen der Alb

Das Leben war nicht leicht auf Münsingens karger Alb. Doch weil die Stadt ihre Nachteile sportlich meisterte, ist sie heute bestens in Form.

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So wie eine wundersame Verwandlung die gefräßige Raupe in einen bunt-fröhlichen Schmetterling verzaubert, durchlebte auch das Städtchen Münsingen eine außergewöhnliche Metamorphose: Noch vor 300 Jahren galt die hinter Gräben und Mauern verschanzte Ansammlung von Häusern rund um die schon 804 erstmals erwähnte St. Martin Kirche als eine „der schmutzigsten und trübseligsten Land­städtchen“, notierte die Oberamtsbeschreibung aus dem Jahre 1825.
Heute dagegen erstrahlt der zwischen satten Feldern und dunklen Buchenwäldern eingebettete Ort als touristisches Leuchtturmprojekt. Dessen Strahlkraft als Mittelpunkt des Biosphärengebietes speist sich aus der Kreativität und dem Aktivismus in den Amtsstuben des Rathauses: Wohnen, wo andere Urlaub machen. Mike Münzing heißt der Bürgermeister, der seit der Schließung des Truppenübungsplatzes 2006 ständig Visionen ins Reich der Realitäten hievt. Er verwandelte die Garnisonsstadt in eine Biosphärenstadt. Das Ringen um den Standort für das Zentrum des Großschutzgebietes konnte Münsingen für sich entscheiden. Heute laufen im Alten Lager bei Auingen die Fäden der ersten Modellregion Baden-Württembergs zusammen.

Raupe? Schmetterling? Eine Metamor­phose im Tierreich beschreibt nicht nur einen radikalen Umbruch, was die äußere Erscheinung betrifft. Auch der Lebensraum und die Ernährungsgewohnheiten stehen nach der Verpuppung plötzlich Kopf. Eine Raupe kann als Schädling ganze Wälder vernichten, als Schmetterling beflügelt dieser Bestäuber den Fortbestand der Pflanzen in der Natur. Analog dazu mutierte der Truppenübungsplatz – ehemals als Keimzelle für Krieg und Tod – in eine Oase des Friedens und Lebens.

Münsingen dreht am großen Rad.: Nicht nur mit seinem Mobilitätszentrum am Bahnhof (Footo oben) radelt der Tourismus als sachkundiger E-Bike-Pionier seinen Mitbewerbern davon. Auch als UNESCO Geopark, als Standort des UNESCO Biosphärengebietszentrums (Foto unten) und als Wettbewerbssieger „Nachhaltige Tourismusdestinationen Deutschland 2016/2017“ bringt die Stadt im Herzen der Alb die gesamte Gebirgsregion in Schwung.

Münsingen lebte einst auch von der Kaufkraft der Soldaten, heute bringen Touristen das auf der kargen Alb wichtige Geld. Beispiel Gastgewerbe: Nach der UNESCO-Anerkennung der Schwäbischen Alb als Biosphärenreservat im Jahre 2009 stieg die Zahl der Übernachtungen in nur sieben Jahren um 268 Prozent. Die Zahl der Ankünfte steigerte sich um 275 Prozent. 2018 war für die Stadt Münsingen bislang das erfolgreichste Jahr. Niemals zuvor konnte die Statistik so viele Übernachtungen verzeichnen. 93332-mal erwachten Fremde in einem Gästebett, was einem Plus zum ebenfalls starken Vorjahreszeitraum von 16,6 Prozent entspricht. Der landesweite Zuwachs betrug 2018 lediglich 3,6 Prozent, im Landkreis Reutlingen 5,5 Prozent, auf der Schwäbischen Alb als Ganzes 3,8 Prozent.

Ein kleiner Anteil am Erfolg geht auch auf die Kappe der Hofguts Hopfenburg – ein Renommierprojekt der Stadt. Dem Namen nach firmiert das einst verlassene Gehöft als Campingplatz. Dem Rufe nach aber avanciert das Freiluftareal zum außergewöhnlichsten Urlaubsübernachtungserlebnis der gesamten Biosphäre: Ob Original-Tipis von den Blackfoot-Indianern aus Nordamerika, kasachische Jurten per Auto eingeführt, auch Zirkuswagen und Schäferkarren stehen auf dem zehn Hektar-Gelände unterhalb des Beutenlays, Münsingens Naherholungsberg.
Beutenlay? Dieses kleine Naturreservat ist eine Reise wert. Auf engstem Raum konzentriert es die typische Albvegetation. Nicht nur Schmetterlinge erfreuen sich an der Blütenpracht der Enzianwiese oder flattern durch Lüfte und Düfte der Wacholderheiden. Auch Geschichtsfreunde staunen: Die modellhaft angelegte Dreifelderwirtschaft öffnet ein Fenster zu Zeiten, als Münsingen hinter Gräben und Mauern noch ein armseliges Albstädtchen war.

Hodgut Hopfenburg:
Schäferkarren warten auf den Camping-Urlauber, inklusive Küche, Heizung und Strom. Selbst das fingerdicke Woll­vlies einer kasachischen Jurte lässt das Wetter draußen, die Träume aber drinnen. Im Duft gefilzter Schafwolle schwelen Sehnsüchte unbekannter Hirten – ob von der Alb oder aus dem Nirgendwo zwischen China und Russland.

Beutenlay: Landschaftsbilder der Alb erleben in nur zwei Stunden. Münsingens Hausberg konzentriert Stimmungen, Tiere und Pflanzen typisch für die Biosphäre. „hochgehhütet“ heißt dessen 4-Kilometer-Rundweg, er zählt zu den ursprünglichsten seiner Art.

 


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Printausgabe: Sphäre 2/2019, Seite 18-19


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