Wieviel Gift auf welchem Acker?

Pestizidstreit: Gericht bestätigt erneut Informationsrecht

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat heute in zweiter Instanz den Informationsanspruch von NABU und Landeswasserversorgung im Pestizidstreit bestätigt. „Wir sind froh über dieses klare Urteil. Die Informationsfreiheit ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie und beinhaltet eindeutig auch die Veröffentlichung von Daten zum Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft. Das Urteil ist eine Steilvorlage für die grün-schwarze Landesregierung, in der kommenden Legislaturperiode reinen Tisch zu machen und ein Transparenzgesetz auf den Weg zu bringen“, sagt der Landesvorsitzende des NABU Baden-Württemberg, Johannes Enssle.

Enssle: „Land muss  Mängel bei Transparenz endlich beseitigen.“

Mit seinem Urteil bestätigt der Verwaltungsgerichthof Baden-Württemberg nun fast wortgleich fünf vorangegangene, erstinstanzliche Gerichtsurteile vom vergangenen Jahr. Revisionen gegen die Urteile des VGH wurden nicht zugelassen. Der NABU Baden-Württemberg und der Zweckverband Landeswasserversorgung (LW) hatten in jeweils unterschiedlichen Verfahren geklagt.

Sie wollten wissen, welche Pestizide wo und in welchen Mengen ausgebracht wurden – und zwar in sämtlichen Naturschutzgebieten des Landes sowie in den 800 Quadratkilometer großen LW-Wasserschutzgebieten auf der Schwäbischen Alb im Alb-Donaukreis, dem Landkreis Heidenheim und dem Ostalb-Kreis. „Trotz der eindeutigen Niederlagen vor den Verwaltungsgerichten in Karlsruhe, Stuttgart, Sigmaringen und Freiburg blieb die Landwirtschaftsverwaltung stur und ging in Berufung zum Verwaltungsgerichtshof.

Jetzt kassiert sie vor dem obersten Verwaltungsgericht des Landes Baden-Württemberg die obergerichtliche Bestätigung ihrer Niederlagen. Das ist eine klare Botschaft an die Landesregierung, für volle Transparenz bei den Pestiziddaten zu sorgen. Leider braucht es offenbar manchmal Gerichte, um der Verwaltung die Bürgerrechte zu erklären“, so Enssle.

Auch der Geschäftsführer der Landeswasserversorgung, Prof. Dr. Frieder Haakh, ist hoch erfreut über dieses Urteil: „Um dauerhaft sauberes Trinkwasser zu garantieren, brauchen wir Informationen über den Einsatz von Stoffen, die das Trinkwasser gefährden können. Es ist ein Unding, dass das Land dies bis heute blockiert hat und wir damit erst vor Gericht ziehen mussten. Nach diesem Urteil des obersten Verwaltungsgerichts von Baden-Württemberg erwarten wir einen Kurswechsel von Landwirtschaftsminister Peter Hauk und die Offenlegung der Daten. Liegen die Daten vor, können Wasseruntersuchungen deutlich wirtschaftlicher und effizienter gestaltet werden. Unser aller Trinkwasser kann so besser geschützt werden“, sagt LW-Geschäftsführer Haakh.

Prof. Dr. Haakh: „Der Schutz des Trinkwassers wird deutlich gestärkt.“

 


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Verbände fordern Transparenzgesetz

Gemeinsam fordern NABU und Landeswasserversorgung von der neuen Regierungskoalition ein Transparenzgesetz: „Wir sind froh, dass jetzt das Katz- und Maus-Spiel mit den Behörden ein Ende hat und wir wichtigen Umweltdaten nicht länger hinterherrennen müssen. Grüne und CDU müssen sich nun schleunigst an die Arbeit machen und das im Koalitionsvertrag anvisierte Transparenzgesetz auf die Agenda setzen“, fordern Enssle und Haakh. Solche Transparenzgesetze gibt es bereits in Rheinland-Pfalz und Hamburg. Die Behörden müssten einschlägige Informationen dann proaktiv auf einer Transparenzplattform im Internet veröffentlichen und nicht erst, wenn die Bevölkerung danach fragt.

Pestiziddaten – worum geht es genau?

NABU und Landeswasserversorgung hatten die Landwirtschaftsverwaltung des Landes bereits im Jahr 2018 dazu aufgefordert, die nach Maßgabe des Pflanzenschutzgesetzes (§ 11 PflSchG) ohnehin erfassten Aufzeichnungen der landwirtschaftlichen Betriebe über ausgebrachte Pflanzenschutzmittel anonymisiert weiterzugeben. Bislang wiesen die Behörden jedoch jegliches Informationsrecht in dieser Sache zurück. 2020 gaben vier Verwaltungsgerichte den beiden Verbänden in allen Punkten ihrer jeweiligen Klagen recht. Heute bestätigte das oberste Verwaltungsgericht des Landes die vorangegangenen Gerichtsurteile. Im Tenor stellt es klar: Das Informationsfreiheitsrecht ist ein Jedermannsrecht. Die Landesverwaltung stützt sich mit ihrer ablehnenden Haltung auf einen europarechtswidrigen Paragraphen im Bundespflanzenschutzgesetz und handelt damit selbst europarechtswidrig. An der Informationspflicht gibt es nichts zu deuteln.

Unterstützung im Rechtsstreit kommt vom Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI), Dr. Stefan Brink:
„Das Transparenzprinzip zählt zu den fundamentalen Verfassungsprinzipien der Europäischen Union. Deutschland hat die Aarhus-Konvention unterzeichnet und steht hier in der Pflicht. Baden-Württemberg agiert bislang sehr zögerlich in Sachen Informationsfreiheit. Es wäre gut, die angedachte Einführung eines Transparenzgesetzes nun zügig voranzubringen.“

NABU und LW geht es um Transparenz, nicht um „Bauern-Bashing“
Enssle bedauert, dass NABU und Landeswasserversorgung erst klagen müssen, um diese Fragen zu klären. „Das Insekten- und Vogelsterben ist durch zahlreiche Studien vielfach belegt und es ist klar, dass Pestizide hierbei einen negativen Einfluss haben.“ Selbst den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der vielzitierten Krefelder Studie zum Insektenrückgang sei der Zugang zu Pestizid-Anwendungsdaten bislang verwehrt geblieben. „Das sind doch unhaltbare Zustände“, findet Enssle. Dem NABU gehe es dabei nicht darum, einzelne landwirtschaftliche Betriebe oder die Landwirtschaft im Allgemeinen an den Pranger zu stellen: „Mit pauschalem Bauern-Bashing kommen wir nicht weiter. Wir haben die Daten anonymisiert angefordert, denn es geht uns nicht um Personen, sondern darum, den Einfluss der landwirtschaftlichen Pestizide auf unsere Umwelt besser zu verstehen und Alternativen dafür zu entwickeln“, sagt Enssle.  An die Landwirtschaft gerichtet, sagt LW-Geschäftsführer Haakh: „Wer einen sachlichen Umgang mit dem Thema Pflanzenschutz verlangt, muss bereit sein, dafür Transparenz herzustellen. Für die Wasserversorgungsunternehmen im Land ist das schon immer der Standard.“

Hintergrund:
Arhus-Konvention: Um die Beteiligungsrechte der Zivilgesellschaft zu stärken, haben die Staaten der europäischen Region im Juni 1998 die Aarhus-Konvention beschlossen. Zu den darin beschlossenen Rechten der Bürgerinnen und Bürger im Umweltschutz gehören das Recht auf Information, die Öffentlichkeitsbeteiligung und das Klagerecht.
Das Umweltverwaltungsgesetz (UVwG), § 24, vom 25.11.2014, ist die Umsetzung der Aarhus-Konvention in Landesrecht. Es regelt den Zugang zu Umweltinformationen. Darin heißt es: „Jede Person hat nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen, über die eine informationspflichtige Stelle im Sinne von § 23 Absatz 1 verfügt, ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen.“

 

 


<<< Meldung vom 8. September 2020 >>>


Naturschützer fordern Auskunft, wo und wieviel Pflanzenschutzmittel die Umwelt belastet

Klagen von NABU und Landeswasserversorgung stärken Bürgerrecht auf Information. Pestizidstreit: „Gerichtsurteile sind Klatsche für das Land.“

Stuttgart – Die Informationsfreiheit ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Dass diese Freiheit auch den Umgang mit Informationen zum Pestizideinsatz in der Landwirtschaft betrifft, bestätigen drei aktuelle Gerichtsurteile der Verwaltungsgerichte Karlsruhe, Stuttgart und Freiburg. Der NABU Baden-Württemberg und der Zweckverband Landeswasserversorgung (LW) hatten in insgesamt sechs unterschiedlichen Verfahren geklagt. Zu drei Verfahren liegen nun erstinstanzliche Urteile vor.

Sie alle verpflichten die Landesregierung zur Herausgabe der gewünschten Daten: Welche Pestizide wurden wann und wo, in welchen Mengen und auf welcher Kulturpflanze ausgebracht – und zwar in sämtlichen Naturschutzgebieten des Regierungspräsidiums (RP) Freiburg, im Wasserschutzgebiet Egautal und im Naturschutzgebiet Kalkofen (Enzkreis) in einem Zeitraum von drei Jahren. Die Urteile haben Signalwirkung für drei weitere Verfahren, die noch in den Regierungsbezirken Stuttgart, Tübingen und Karlsruhe anhängig sind. Sie besitzen Bedeutung für andere Bundesländer und sogar für die gesamte EU, da der Entscheidung der Gerichte Richtlinien und Verordnungen der EU zugrunde liegen.

Gerichte stärken Recht auf Transparenz beim Pestizideinsatz
Konkret hatten NABU und Landeswasserversorgung die Landwirtschaftsverwaltung des Landes aufgefordert, die nach Maßgabe des Pflanzenschutzgesetzes (§ 11 PflSchG) ohnehin erfassten Aufzeichnungen der landwirtschaftlichen Betriebe über ausgebrachte Pflanzenschutzmittel anonymisiert weiterzugeben. Bislang wiesen die Behörden jegliches Informationsrecht zurück. Die Gerichte gaben den beiden Verbänden nun in allen Punkten ihrer jeweiligen Klagen recht.
Das Informationsrecht sei ein Jedermannsrecht, die Landesverwaltung stütze sich auf einen europarechtswidrigen Paragraphen im Bundespflanzenschutzgesetz und handle damit selbst europarechtswidrig, so der Tenor der drei Gerichte.

Der NABU-Landesvorsitzende, Johannes Enssle, erklärt dazu: „Die drei Urteile sind eine Klatsche für die Juristen der Landwirtschaftsverwaltung des Landes. Die Gerichte geben uns unisono in allen Punkten recht. Sie bestätigen das Recht jeder Bürgerin und jedes Bürgers auf Information. Die Urteile stellen damit klar, dass die Landwirtschafts-verwaltung mit ihrer Verweigerungstaktik gegen EU-Recht verstößt. Mit der Geheimniskrämerei beim Thema Pestizide muss endlich Schluss sein. Die grün-schwarze Landesregierung darf EU-weit verbriefte Bürgerrechte, wie das Transparenzprinzip und den Zugang zu Umwelt-informationen, nicht mit Füßen treten.“

Prof. Dr. Frieder Haakh, Geschäftsführer des Zweckverbands Landeswasserversorgung, sagt über den gewonnenen Rechtsstreit mit der Landesregierung: „Nicht nur der Naturschutz, auch wir Wasserversorger sehen den Einsatz von Pestiziden in Natur- und Wasserschutzgebieten schon lange kritisch. Wir fordern das Land seit Jahren zu umfassender Transparenz im Umgang mit Stoffen auf, die das Trinkwasser gefährden können – bislang erfolglos. Nach diesen klaren Urteilen erwarten wir nun einen Kurswechsel und die Offenlegung der Daten. Ohne diese Informationen suchen wir quasi nach der Nadel im Heuhaufen. Liegen die Daten vor, können Wasseruntersuchungen deutlich wirtschaftlicher und effizienter gestaltet werden. Unser aller Trinkwasser kann so besser geschützt werden.“

Unterstützung im Rechtsstreit kommt vom Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI), Dr. Stefan Brink:
„Die Urteile sind ein klarer Auftrag an die Landesregierung, für mehr Transparenz im Umgang mit Pestiziden zu sorgen. Das Transparenzprinzip zählt zu den fundamentalen Verfassungsprinzipien der Europäischen Union. Deutschland hat die Aarhus-Konvention unterzeichnet und steht hier in der Pflicht. Baden-Württemberg agiert bislang zu zögerlich in Sachen Informationsfreiheit. Hier gibt es nichts zu deuteln: Die Daten zur Pestizidausbringung müssen auf den Tisch, alles andere widerspräche der europarechtlichen Transparenzpflicht.“

Auf die Entscheidung des Landes, gegen die Gerichtsurteile Berufung einzulegen, reagieren NABU-Landeschef Enssle und LW-Geschäftsführer Haakh mit Stirnrunzeln. Man frage sich schon, wie viele Gerichtsurteile es brauche, damit das Landwirtschaftsministerium das Bürgerecht auf Informationsfreiheit in dieser Angelegenheit endlich respektiere. Dabei seien die jetzigen Urteile doch eigentlich eine gute Möglichkeit, um auf dem Weg der jüngst beschlossenen Pestizid-reduktion voranzukommen und die Erfolge messbar zu machen. „Wir brauchen Transparenz und eine solide Faktengrundlage, um überprüfen zu können, ob die im Landtag beschlossenen Ziele zur Pestizidreduktion auch wirklich erreicht werden“, macht Enssle deutlich.

NABU und Landeswasserversorgung: „Zur Not ziehen wir durch alle Instanzen.“ Enssle bedauert, dass NABU und Landeswasserversorgung erst klagen müssen, um diese grundsätzlichen Bürgerechte in Baden-Württemberg durchzusetzen. „Das Insekten- und Vogelsterben ist durch zahlreiche Studien vielfach belegt und es ist klar, dass Pestizide hierbei einen Einfluss haben.“ Selbst den Wissenschaftlern der vielzitierten Krefelder Studie zum Insektenrückgang sei der Zugang zu Pestizid-Anwendungsdaten bislang verwehrt geblieben. „Das sind doch unhaltbare Zustände“, findet Enssle. Dem NABU gehe es dabei nicht darum, einzelne Landwirte oder die Landwirtschaft im Allgemeinen an den Pranger zu stellen: „Wir haben die Daten anonymisiert angefordert, denn es geht uns nicht um Personen, sondern darum, den Einfluss der landwirtschaftlichen Pestizide auf unsere Umwelt besser zu verstehen.“ An die Landwirtschaft gerichtet, sagt Enssle deshalb: „Wer einen sachlichen Umgang mit dem Thema Pflanzenschutz verlangt, muss bereit sein, dafür Transparenz herzustellen.“

Bereits 2018 forderte der NABU mit seinem ersten Pestizidbericht für Baden-Württemberg Einsicht in die Pestiziddaten der landwirtschaftlichen Betriebe. Der Wunsch wurde von Landwirtschaftsminister Peter Hauk zunächst vom Tisch gewischt mit dem Argument, es gehe die Bevölkerung nichts an, wie viele Pestizide eingesetzt würden. Wenige Tage später korrigierte er diese Aussage und sagte laut dpa-Bericht: „Selbstverständlich müssen wir die Verbraucher durch Transparenz und Aufklärung mitnehmen, um das Vertrauen in unsere Landwirtschaft und für die Arbeit unserer Bauern zu stärken.“ Aber: „Dies muss entlang exakter Fakten und objektiv nachvollziehbar erfolgen.“ NABU und LW vermissen allerdings bis heute diese Transparenz: „Wir setzen weiterhin auf das Wort des Ministers und sind zu Gesprächen über die konkrete Umsetzung bereit. Im Kern der Sache bleiben wir hartnäckig. Zur Not ziehen wir durch alle Instanzen“, kündigen Enssle und Haakh an.


Sphäre-Wissen:
Arhus-Konvention: Um die Beteiligungsrechte der Zivilgesellschaft zu stärken, haben die Staaten der europäischen Region im Juni 1998 die Aarhus-Konvention beschlossen. Zu den darin beschlossenen Rechten der Bürgerinnen und Bürger im Umweltschutz gehören das Recht auf Information, die Öffentlichkeitsbeteiligung und das Klagerecht.
Das Umweltverwaltungsgesetz (UVwG), § 24, vom 25.11.2014, ist die Umsetzung der Aarhus-Konvention in Landesrecht. Es regelt den Zugang zu Umweltinformationen. Darin heißt es: „Jede Person hat nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen, über die eine informationspflichtige Stelle im Sinne von § 23 Absatz 1 verfügt, ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen.“

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