Zukunftsmusik

Kultur: Ein Profi-Orchester geht in Klausur und plant die Musik von morgen

Wie können wir uns den Menschen und ihren Lebenswelten noch mehr öffnen und für unser orchestrales Wirken begeistern? Wie können wir umgekehrt für unsere künstlerische Tätigkeit Impulse aus der immer diverser sich entwickelnden Gesellschaft aufnehmen? Fragen dieser Art stellen sich einige professionelle Orchester. Doch die Württembergische Philharmonie Reutlingen (WPR) ist wohl das einzige professionelle Sinfonieorchester bundesweit, dass sich hierfür erstmals als Gesamtinstitution mit allen Mitarbeitenden – von den Orchestermitgliedern bis zur Buchhaltung und Personalabteilung – für zwei Tage in Klausur begab.

 

Unter Leitung der Diplompsychologin Barbara Kramer und des Organisationsentwicklers aus dem Bereich der Kulturberatung, Claus Harten, erarbeiteten sich die WPR-Angehörigen mit anerkannten Methoden Schwerpunkte und konkrete Vorhaben für ihre „Erlebniswelt Orchester“. Unter diesem Begriff firmieren bei der WPR sämtliche Musikvermittlungsangebote, von der Konzerteinführung über Kinder- und Jugendprogramme und Veranstaltungen für Neueinsteiger bis hin zu inklusiven Projekten für Menschen mit Hörbeeinträchtigung oder auch Kooperationen mit Menschen, die Diskriminierungserfahrungen mitbringen. Nun sollte überlegt werden, wohin die Reise geht: Wo stehen wir? Wo sind unsere Stärken, wo können wir uns verbessern und unser Angebot erweitern?

Am Anfang der zweitägigen Veranstaltung mit Workshops und Diskussionsrunden stand die Einführung in das Thema und das Benennen der Herausforderungen, vor denen die heutigen Orchester stehen. Hierfür war eine Expertenrunde geladen, bestehend aus Barbara Balba Weber, Leiterin Künstlerische Musikvermittlung der Hochschule der Künste in Bern und Autorin zahlreicher Fachbücher, Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchester-Vereinigung sowie Moritz Eggert, Komponist, Dirigent und Autor. Impulse kamen auch durch die Präsentation von ausgesuchten Beispielen der Musikvermittlung durch Barbara Balba Weber und Alexander von Nell, dem Geschäftsführer des Netzwerks Junge Ohren, der Fachcommunity für diesen Bereich im deutschsprachigen Raum. Nachdem auch das künstlerische Konzeptionsteam der WPR um den Intendanten Cornelius Grube bereits angedachte Aspekte der Entwicklungsstrategie vorgestellt hatte, diskutierten die Teilnehmenden anschließend in Gruppenarbeit und Fishbowl-Runden, was von dem Gehörten für die WPR-Zukunft abzuleiten und in die konkrete Praxis überführt werden kann. Die Klausur endete mit einer Ergebnis-Präsentation.

WPR-Intendant Cornelius Grube: „Mit der innerbetrieblich-partizipative Herangehensweise wollen wir möglichst viele mitnehmen auf diesen Weg eines Transformationsprozesses, der gewährleisten soll, dass unser Orchester auch in kommenden Jahrzehnten als lebendiges, bereicherndes und unverzichtbares Forum gesellschaftlichen Austauschs erhalten bleibt und wahrgenommen wird.“

Orchestermitglied Judith Pfeiffer: „Es ist schön, dass das Interesse so groß war seitens der Musikerinnen und Musiker genauso wie seitens des Managements. Toll auch, dass ein reger Austausch stattgefunden hat, bei dem dann zudem noch herauskam, dass alle in eine ähnliche Richtung denken. Es hat sich herausgestellt, dass viele Ideen auf den Flipcharts der unterschiedlichen Arbeitsgruppen gebündelt und verknüpft werden können. Auch war bemerkenswert, dass man für viele Ideen nicht ganz neue Türen aufstoßen muss, sondern viele Anknüpfungspunkte gefunden werden können an Dinge, die schon lange bei uns laufen oder die man nur wieder aufleben lassen muss, wenn auch in neuer Form.

Ich erlebe es in unserem Orchester ohnehin so, dass viele unserer Musikerinnen und Musiker nicht nur Dienst nach Vorschrift machen, sondern Input bringen, Ideen und Anregungen äußern, natürlich auch manchmal Kritik. Und es war natürlich großartig, dass dies hier so im Fokus stand: Wir haben einen reichen Schatz an super Ideen. Durch die Tatsache, dass diese hier alle sichtbar gemacht und an den verschiedenen Stellwänden visualisiert wurden, geraten sie auch nicht ins Hintertreffen. Sie sind nicht irgendwo nebenbei einmal ausgesprochen, sondern wirklich dokumentiert.“

In diesem Sinne werden die folgenden Schritte die Priorisierung der einzelnen Vorschläge und die schrittweise Umsetzung im weiteren Austausch mit den Orchestermitgliedern sein.


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