Krieg und Frieden

Fernwanderweg: E5 – Weltgeschichte ins Gebirge gemeißelt

Der Europäische Fernwanderweg (E5) durchstreift den östlichen Gebirgszug zwischen Trento und Verona. Dieser Streckenabschnitt über das Pasubio-Massiv fasziniert mit wilden Höhen. Doch führt diese Route auch in die abgrundtiefsten Kapitel der jüngeren Geschichte. Der erste Weltkrieg vor rund 100 Jahren und Napoleons Italienfeldzüge vor 200 Jahren ertränkten dieses Wunderland tausendfach in Soldatenblut.

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Italienische und österreichisch-ungarische Soldaten lieferten sich am Pasubio-Massiv ab Juni 1916 zweieinhalb Jahre lang blutige Schlachten. Noch heute ist das Gebirge von Explosionen, waghalsigen Nachschubwegen und Felsenbunkern entstellt. Das Foto zeigt die verwegene 6 Kilometer lange und 800 Höhenmeter ansteigende „Strada delle 52 Gallerie“.

Krieg und Frieden

Der Europäische Fernwanderweg (E5) durchstreift den östlichen Gebirgszug zwischen Trento und Verona. Dieser Streckenabschnitt über das Pasubio-Massiv fasziniert mit wilden Höhen. Doch führt diese Route auch in die abgrundtiefsten Kapitel der jüngeren Geschichte. Der erste Weltkrieg vor rund 100 Jahren und Napoleons Italienfeldzüge vor 200 Jahren ertränkten dieses Wunderland tausendfach in Soldatenblut.

Monte Maggio – Weitblick in 1853 Meter Höhe.

Die ersten Sonnenstrahlen blinzeln über den Col Santo hinweg direkt auf den Frühstückstisch. Feine Tröpfchen des Kaffeedampfs glühen im funkelnden Morgenlicht. Ein neuer Wandertag grüßt hellgelb bestrahlt vom verwitterten Kalkgestein am Pasubio-Massiv im italienischen Trentino. Rund um das 1825 Meter hoch gelegene „Rifugio Vincenzo Lancia“ behauptet sich das typisch matte Grün der vom Sommer gebleichten Bergwiesen. Kiefern wachsen kaum hier oben, und wenn, dann kärglich, knorrig-klein.

Während der vergangenen Tage erhellte stundenlanges Wanderglück die Stimmung. Doch heute sollte der hoch in die stahlblaue Gebirgsluft getragene Gemütszustand auf den Boden der blutroten Tatsachen hinabgezerrt werden. Denn: Krieg sucht selbst in den entlegendsten Winkeln gierig seine Opfer – auch in einsamen Gebirgshöhen. Die heutige Tagesetappe auf dem berühmten Europäischen Fernwanderweg E5 von Oberstdorf nach Verona ruft die grausamsten Gebirgskämpfe des ers­ten Weltkriegs nicht nur als blasses Bild der Erinnerung ins Bewusstsein, sondern konfrontiert den Wanderer mit der Härte der heute noch sichtbaren Realität. Alte genagelte Schuhsohlen säumen den Pfad, Munitionsreste, verrottetes Kriegsgerät. Das von Schützengräben und Felsenbunkern zerwühlte Pasubio-Massiv wirkt nicht von dieser Welt, gerade aus dem Blickwinkel einer Generation, die Kriege nicht erleben musste. Für zehntausende italienische und österreichische Soldaten aber war dies ihr kurzes Leben. Sie lagerten hier zweieinhalb Jahre, hausten in Felshöhlen, aßen, schossen, starben in einer sonst nur von Hirschen, Alpengämsen, Schneehühnern und Steinböcken befriedeten Gebirgswelt. Der Pasubio wird ab 1917 bis in ferne Zukunft „Schlachtbank“, „Menschenmühle“ oder „Berg der 10000 Toten“ heißen. Wofür das alles? Für wen?

Pasubio-Massiv: 1. Weltkrieg in Stein gemeißelt

Diese Fragen stellen sich Politiker weder heute noch vor 100 Jahren oder gar vor 200 Jahren, als Napoleon Bonaparte gegen die europäische Welt auf die Schlachtfelder zog. Schlacht kommt von abschlachten, heute heißt es in den Nachrichten „militärische Operation“. Am Ende aber steht immer der Tod. Auch an der lieblichen, damals noch von Sümpfen gerahmten Etsch östlich von Verona wurde 1796 tausendfach gestorben. Entweder pflicht- und zwangsgemäß durch Militärdienst aus dem Leben gerissen oder als Bürger und Bauer von durchziehenden Truppen ihrer Ernte und Lebensgrundlage beraubt. So wie die Bewohner des Städtchens Arcole knapp 25 Kilometer vor den Toren Veronas. Die Schlacht an ihrer kleinen Brücke (Foto und Gemälde unten) haben viele Geschichtsschreiber und Maler zum Eckpfeiler von Napoleons Ruhm stilisiert. Doch die steile Karriere vom korsischen Kleinadligen zum Kaiser Frankreichs zog nicht nur eine blutige Spur umwölkt von Pulverdampf, sondern auch Seuchen begleiteten Bonapartes Weg. So starben während Napoleons Belagerung von Mantua, nur 40 Kilometer südlich von Verona, bis 1797 etwa 18000 Mann auf österreichischer und 7000 auf französischer Seite. Der größte Teil der Opfer erlag tödlichen Seuchen, die französische Truppen eingeschleppt hatten. 20000 Stadtbewohner und Söldner starben an Malaria, Typhus und Ruhr. Die Epidemie breitete sich anschließend auch auf andere Städte aus.

Rifugio Achille Papa: An der Hütte am Porte del Pasubio (1928 m) beginnt die Strada delle 52 Gallerie nach Bocchetta di Campiglia (1216 m).

Mittlerweile hat die Sonne auch die höchsten Gipfel entlang der E5-Tour erwärmt, nicht aber die schaudernden Herzen. Dennoch: Diese 7,4 Kilometer Zeitreise sollte heute am Porte del Pasubio (Foto oben) versöhnlich enden. Wie ebenso nicht von dieser Welt taucht die Abendsonne die Tiefebene in ein goldenes Licht, als wolle sie, dass man zuversichtlich in eine bessere Zukunft schaut. Eine Welt ohne Grenzen vielleicht? Der E5-Europaweg zumindest kennt so etwas nicht. Hier gehört jedem, der sich mit eigener Kraft bewegt, alles und doch wiederum nichts.

Brücke von Arcole: Heldenverehrung statt Trauer. Napoléon Bonaparte ergriff die Fahne und führte am 15. November 1796 seine Truppen an diese heute unscheinbare Brücke des verschlafenen Örtchens Arcole, nahe Verona. Zahlreiche historische Gemälde thematisieren seinen vermeintlichen Heldenmut. Ein Obelisk und ein kleines Museum erinnern an diese Schlacht, an Napoleons Weltruhm, weniger allerdings an die rund 6000 Toten und Verwundeten in nur zwei Kriegstagen.

Giazza – ab hier fallen Täler streng nach Süden.


 

Übersichtskarte


 

Fernwanderweg: E5 von Oberstdorf bis Verona

Arena di Verona: 30 n. Chr. für Gladiatoren gebaut.

Der Europäische Fernwanderweg E5 beginnt an der Atlantikküste Frankreichs in der Bretagne, führt über die Alpen nach Verona in Italien bis nach Venedig. Seine 4120 Kilometer verbinden und einigen die kriegerischen Nationen der letzten 200 Jahre (Frankreich, Schweiz ausgenommen, Deutschland, Österreich, Italien). Als beliebtester Streckenteil gilt der alpine Abschnitt ab Oberstdorf hinauf zur Kemptener Hütte bis nach Verona (Foto oben), eine ab Gaius Julius Caesar aufblühende Stadt, deren bis heute faszinierende alte Architektur tausende Besucher anlockt.


 

Arcole: Mythos Napoleon auf Leinwand fixiert

Gemälde: Horace Vernet (1789-1863), BY-SA 3.0

Dieses Ölgemälde zeigt Napoleon 1796 auf der Brücke von Arcole – eine der entscheidenden Schlachten seiner Italienfeldzüge. Horace Vernet war nur einer der Künstler, die gemäß Bonapartes moderner Propagandastrategie den Feldherren und späteren Kaiser stets in ein günstiges Licht setzte. Napoleons Armee gab sogar eine eigene Zeitung heraus.

Frankreich / Österreich; Truppenstärke: 24000 / 48000 Mann. Verluste: 3500 / 2200 Tote und Verwundete.


 

Pasubio-Massiv: 1. Weltkrieg in Stein gemeißelt

Zwei Gipfelplateaus nur 500 Meter voneinander entfernt, dazwischen 10000 Tote. Die Österreicher besetzten den „Dente Austriaco“ (Bild 1), die Italiener den „Dente Italiano“ (Bild 2). Beide Seiten unterhöhlten gegenseitig ihre Stellung. Die Österreicher waren schneller. Sie sprengten am 13. März 1918 die italienische Gipfelplatte weg mit einer Ladung aus 40 Tonnen Dynamit und 10 Tonnen Chlorat.  

(Bild 1) Zur Festung ausgebaut: Die österreichische Platte lag nur 30 Meter von der italienischen Stellung entfernt. Beide Seiten gruben Angriffstollen. Monte Maggio – Weitblick in 1853 Meter Höhe.

(Bild 2) Gesprengt: Italienische Platte


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Printausgabe: Sphäre 1/2024, Seite 30-33

WEBcode #24133

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