4 neue Supermänner entdeckt

Neuer Winzling mit riesigen Kräften im Nationalpark Schwarzwald entdeckt

Das Bärtierchen ist Weltraum-erprobt. Das meist 0,1 bis 0,5 Millimeter winzige Geschöpf übersteht als bisher einzig bekannte Art Temperaturen über 110 Grad Celsius genauso wie minus 200 Grad Kälte. Das vier- bis achtbeinige Superwesen überlebt sowohl radioaktive Strahlung als auch das Vakuum des Weltalls. Im Nationalpark Schwarzwald wurden bereits 28 Arten dieser Superorganismen entdeckt, vier davon unbekannt. Eine der neuen Art nun wurde im September nach Ministerpräsident Winfried Kretschmann benannt: „Ramazzottius kretschmanni “, um dessen Engagement für Artenschutz zu würdigen. Bei unwirtlichen Lebensbedingungen schrumpfen die ansonsten an weiche Gummibärchen erinnernden Lebewesen zusammen, ähnlich einem zerknautschten Staubsaugerbeutel. So können sie mehr als 20 Jahre überdauern, um bei besseren Bedingungen in nur 30 Minuten neu zu erwachen.

Bärtierchen nur 0,1 bis 0,5 Millimeter klein, Foto: Eye of Science

Die neue Art ist winzig klein, hat trotzdem bärenstarke Fähigkeiten und birgt noch viele Geheimnisse: Im Nationalparkzentrum am Ruhestein konnte Ministerpräsident Winfried Kretschmann heute das Bärtierchen Ramazzottius kretschmanni kennenlernen. Es wurde weltweit erstmals im Nationalpark Schwarzwald entdeckt und wissenschaftlich beschrieben und nach Kretschmann benannt, um dessen Engagement für Artenschutz und Biodiversität zu würdigen.

„Ich freue mich sehr über diese Ehrung. Der Nationalpark liegt mir wie alle Schutzgebiete besonders am Herzen. Und der Erhalt der Artenvielfalt gehört zu den wichtigsten Aufgaben, die wir als Menschheit haben. So können wir die Zukunft unseres Planeten sichern“, sagte Kretschmann. „Für mich als Biologen ist es natürlich eine große Ehre, in der Nomenklatur biologischer Arten verewigt zu sein. Jedes Lebewesen ist wichtig für unseren Planeten – uns sei es noch so klein. Das sieht man auch daran, dass es Bärtierchen schon viel länger gibt als uns Menschen und sie extremen Umweltbedingungen standhalten. Damit sind Bärtierchen echte Wunderwesen der Natur.“

„Unter den 10 000 Arten, die wir in den ersten zehn Nationalparkjahren auf unserem Gebiet nachweisen konnten, zählt dieses Bärtierchen definitiv zu den kleinsten – biologisch betrachtet hat es aber ganz besondere Fähigkeiten und ist deshalb sehr geeignet, die Bedeutung der Artenvielfalt zu verkörpern“, bestätigte die stellvertretende Nationalparkleiterin Britta Böhr. „Damit spielt es auch für uns in der Wildnisbildung eine große Rolle“, ergänzte Charly Ebel, Fachbereichsleiter Besucherinformation. Er überreichte dem Ministerpräsidenten ein Modell des Tierchens, das mit bloßem Auge nur unter dem Mikroskop zu erkennen ist.

Weltraumerprobt ohne Schutzanzug
Die Bärtierchen sind zum Beispiel die bisher einzig bekannte Art, die einen Weltraumflug ohne Schutzanzug überlebten. „Das haben sie einer ihrer Superkräfte zu verdanken, die sie bei extremen Bedingungen zusammenschrumpfen lässt, so dass sie Temperaturen über 110 Grad Celsius genauso wie bis zu – 200 Grad problemlos überstehen“, erklärte Prof. Ralph O. Schill, Zoologe von der Universität Stuttgart und einer der führenden Bärtierchen-Experten. In diesem Zustand, in dem die ansonsten an weiche Gummibärchen erinnernden Lebewesen, einem zerknautschten Staubsaugerbeutel ähneln, können sie mehr als 20 Jahre überdauern. Um dann, bei besseren Bedingungen, innerhalb von 30 Minuten zu neuem Leben zu erwachen.

Da bei der Gründung des Nationalparks vor elf Jahren keine verwendbaren Daten über Bärtierchen aus dem Nationalparkgebiet vorlagen, unternahm Prof. Schill 2016 eine Erstuntersuchung dieser Artengruppe, die gerne auf und in feuchten Moosen und Flechten lebt. In der Umgebung des Wilden Sees, bei den Allerheiligen-Wasserfällen und auf zwei Weißtannen im Bereich des Nationalparkzentrums konnte Schill insgesamt 28 Bärtierchenarten nachweisen, darunter vier noch unbekannte. Das entspricht mehr als 30 Prozent aller bisher bekannten Arten in Deutschland.

„Klein bedeutet nicht unwichtig“, betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann, nach dem auch schon eine Kaktus- und eine Wespenart benannt ist.  „Jedes Lebewesen hat eine Funktion, und in gewissem Maße ist es sogar so: je kleiner, desto basaler für das Leben auf unserem Planeten.“ Der unsichtbare Bereich des Nationalparks sei „ohne Frage der Bereich mit der größten Artenvielfalt“, bestätigte Britta Böhr.  „Und diese Entdeckungen unterstreichen, wie wichtig der Nationalpark für seltene und bisher unbekannte Arten ist.“ Neben den Bärtierchen zählten dazu auch die Moose, Flechten und Pilze. Erlebbar wird deren wundersame verborgene Welt für die Gäste des Schutzgebiets im Nationalparkzentrum am Ruhestein.

Sphäre-Wissen

Bärtierchen, auch als „Tardigraden“ bekannt, gehören zu den außergewöhnlichsten Lebewesen der Erde. Sie besiedeln extreme Lebensräume – von heißen Wüsten über tropische Regenwälder bis hin zu Gletschern und der Tiefsee. Ihre einzigartige Fähigkeit, vollständig auszutrocknen oder einzufrieren und dennoch zu überleben, macht sie zu wahren Überlebenskünstlern. Weltweit sind bislang knapp 1.500 Arten beschrieben, doch in Deutschland ist ihre Artenvielfalt noch weitgehend unerforscht.

Die nur rund 800 Mikrometer großen Tiere der Art Ramazzottius kretschmanni besitzen eine rötlich-beige Färbung – ungewöhnlich für Bärtierchen, die meist farblos oder unscheinbar sind. Sie leben bevorzugt in Moosen. Bemerkenswert ist ihr Vorkommen in den Baumkronen: Da die Tiere nicht aktiv an Stämmen hinaufklettern können, gelangen sie mithilfe spezieller Strategien in luftige Höhen – etwa indem sie im ausgetrockneten Zustand vom Wind verdriftet oder mit Moosstücken durch Vögel in die Baumkronen transportiert werden.

In Deutschland sind nach aktuellem Stand insgesamt 99 Bärtierchenarten bekannt – 91 Arten, die im Moos leben, und 8 Arten aus der Nord- und Ostsee. Mit 80 nachgewiesenen Arten steht Baden-Württemberg bundesweit an der Spitze. Damit leben rund 88 Prozent aller in Deutschland bekannten Bärtierchenarten im Südwesten – ein Beleg für die Bedeutung der Region als Hotspot der Biodiversität.


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