Natur – die Einsamkeit

Raus in die Natur – welche Natur? Unsere Wälder sind wie die Kornfelder zur maximalen Ausbeute maschinentauglich gestutzt, begradigt und vom gefräßigen Wildgetier gesäubert und entleert. Wald ist nicht Wald und schon gar nicht als Fichtenmonokultur. Wer von uns hat schon mal einen Urwald gesehen? Die Misch­wälder auf der Alb zumindest besitzen Ur-Potential. Deren künftigen Baumriesen allerdings werden erst die Kinderaugen unserer Kinder mehr erahnen können als leibhaftig sehen.

Wild auf Wald: Immerhin – die Schwäbische Alb leidet nicht unter der Fichtenmonotonie eines Schwarzwaldes. Doch richtig alt werden die Alb-Buchen auch nicht.

Denn: Eine mächtige Buche wird stolze 300 Jahre alt und misst im Umfang bis zu unglaubliche fünf Meter. In unseren Baumplantagen aber überleben die Buchen nicht einmal den statistischen Durchschnittsmensch. Wer betagte Holzgenossen mit über 50 Zentimetern Durchmesser finden will, muss suchen – selbst im Biosphärengebiet der Schwäbischen Alb (siehe Winterfoto rechts). Denn ein Schutzgebiet, das erst seit 2009 besteht, macht noch lange keine wilde Natur. Zumal bis vor den Stichtag der UNESCO-Anerkennung die eine oder andere Gemeinde aus ihrer künftigen Urwald-Kernzonen noch schnell Holz machte, dass die Erntemaschinen glühten.

Das war nicht immer so. Noch vor 500 Jahren verbarrikadierte dichter Urwald die Gebiete zwischen den wenigen Siedlungen auf der Alb. Das Nachbardorf kannte man nur vom Hörensagen, Wege gab´s kaum. Arm waren die Älbler, denn das kostbare Wasser zerrann im porösen Karstgestein. Zisternen und Hülen sammelten in den Dörfern das kostbare Nass.

Das heute charakteristische Bild dieses Karstgebirges – ein Mosaik aus Wald und Grasländern – geht auf die jüngere Tradition der Schafhaltung und Waldbeweidung zurück.

Die lichten Hutewälder mit ihren charakteristischen vielstämmigen Baumriesen – auch Weidbuchen genannt – prägen noch heute das urige Landschaftsbild des ehemaligen Truppenübungsplatzes Münsingen (sehenswert). Ab dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert diente der Wald als Weide für Kühe und Schafe das ganze Jahr. Selbst Schweine trieben die Bauern in den Forst, seinerzeit zur Eichelmast. Weil die Tiere die nachwachsenden Bäume fraßen, entstanden lichte Wälder, die bisweilen ganz verschwanden. Einen kulturhistorisch wertvollen Anschauungsbeitrag leistet sich die Albgemeinde Deggingen im Oberen Filstal (Nordalb). Seit Ende 2007 ist auf 16 Hektar des Gemeindewaldes die historische Nutzungsform wieder erlaubt. Ein lichtdurchfluteter Hutewald gibt seltenen Käfern und Insekten wieder wertvollen Lebensraum. Zu diesem Zweck beweidet ein Degginger Schäfer regelmäßig diesen Hutewald mit seiner Herde. Eine historische Schweinehut dagegen können Interessierte auf der Südalb bestaunen – im Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck bei Tuttlingen.

Den Schafherden verdankt die Alb auch seine lieblichen Wacholderheiden wie beispielsweise die Eichhalde bei Buttenhausen im Lautertal. Sie sind allerdings selten geworden in dem Maße, wie die Schäferei sich nicht mehr rentiert. Aus den Heideflächen entstand intensives Grünland oder gar Ackerflächen. Die Silberdistel als Wahrzeichen des Biosphärengbietes soll den ökologischen Wert dieser Heiden ins Bewusstsein rücken.

Heute bedecken 211000 Hektar Wald die Alb, wobei der Nadelbaumanteil laut Forstliche Forschungsanstalt Baden-Württemberg zwischen 1978 und 1998 von 49 Prozent auf 38 zurückging. Der Laubbaumanteil beträgt 47 Prozent, darunter die Buche mit 39 Prozent. Viele der unwirtschaftlichen Hangschluchtwälder wurden gemäß UNESCO-Forderungen als geschützte Kernzonen ausgewiesen.

Printausgabe: Sphäre 1/2013, Seite 16

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