Naturportrait Süd-Cevennen

Naturportrait: Von den Süd-Cevennen ans Mittelmeer – so schnell wandelt Landschaft ihr Gesicht

Wenn weder eine Autostraße noch ein Wanderweg im Tal Platz finden, hat sich die Natur selbst ein Reservat geschaffen. Der französische Fluss Hérault bricht sich einsam eine Schlucht durch die Cevennen. Am jähen Übergang vom Gebirge in die Ebene zum Mittelmeer streifen seine Wasser viele Merkwürdigkeiten. Da kann man nur staunen.

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Gorges d’Hérault, einsame Schlucht in Südfrankreich nur Paddlern und Wanderern vorbehalten.

Kurzer Weg ins Meer

Wenn weder eine Autostraße noch ein Wanderweg im Tal Platz finden, hat sich die Natur selbst ein Reservat geschaffen. Der französische Fluss Hérault bricht sich einsam eine Schlucht durch die Cevennen. Am jähen Übergang vom Gebirge in die Ebene zum Mittelmeer streifen seine Wasser viele Merkwürdigkeiten. Da kann man nur staunen.

Wer Südfrankreich hört, denkt an Nizza, St. Tropez oder Marseille. Dass die Grande Nation im Süden nicht nur mit salziger Meerluft punkten kann, entdecken zu allererst Wanderer. Genauer Jakobsweg-Pilgerer, die hier am Kloster von Saint-Guilhem-le-Désert pausieren (Foto unten).

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Fromm – Kloster von Saint-Guilhem-le-Désert.

257 Menschen bewohnen diese mittelalterliche Häuserkulisse, die Frankreich zum „schönsten Dorf des Landes“ kürte. Im Sommer wandeln kulturbelesene Feiengäste durch die engen, steil ins Tal Verdus (Foto unten) hinaufstrebenden Gassen. Sie haben die Besichtigung der dramatisch schönen Klosteranlage als Ziel. Das Juwel romanischer Kunst – könnte man meinen – gehört den Franzosen. Doch mancher glaubt, er könne alles kaufen. So wurde Ende des 19. Jahrhunderts mit Geldern von John D. Rockefeller II. ein großer Teil des Kreuzgangs demontiert, um ihn später im New Yorker Museum The Cloisters mit Originalen anderer europäischer Kloster vermischt wieder aufzubauen.

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Wild – Karrenweg vom Kloster ins Tal Verdus.

Auch private Sammler haben sich an diesem 1200 Jahre alten Kulturgut reichlich bedient – ebenso wie das Archäologische Museum in Montpellier. Diese Stadt am Mittelmeer übrigens ist einen ausgedehnten Ausflug wert. Nicht die austauschbare Sandstrandkulisse sollte man ansteuern, sondern die Innenstadt. Zwischen monumental und weit sowie bürgerlich und eng pendelt die architektonische Bandbreite an historischen Gebäuden (siehe Kasten unten). Deutsche Innenstädte können davon nur träumen.

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Mondän – Promenade de Peyrou in Montpellier.

Wer das Wasser liebt, muss in Südfrankreich nicht unbedingt seinen Sonnenschirm am Mittelmeer aufspannen. Badefreuden gibt’s hier auch in mystisch anmutender Natur. Wahlweise in der Gorges d’Hérault, einer Schlucht, deren einsame Wildheit nur Paddlern und Wanderern vorbehalten bleibt (Foto ganz oben). Das Wasser schürfte sich zu Füßen des Klosterdorfes Guilhem-le-Désert bisweilen 200 bis 300 Meter tief seinen Weg durchs Cevennen-Gebirge, um sich direkt unter der Pont du Diable in ein natürliches Becken zu ergießen. Die Teufelsbrücke gehört zum Welterbe der UNESCO. Mönche aus dem Klosterdorf Guilhem-le-Désert haben sie zwischen 1028 und 1301 gebaut, um aus den Bergen in die weite Ebene Richtung Mittelmeer zu gelangen. Diese, eine der ältesten Brücken Frankreichs, widersteht seit hunderten Jahren dem reißenden Hochwasser, das sich hier durch dieses Nadelöhr zwängt.

Jede dieser außergewöhnlichen Badestellen hat eines gemein. Es herrscht eine Ruhe, die kein Ort an der Mittelmeerküste auch nur ansatzweise kennt. Am stillen Wasser des Lac du Salagou herrscht sogar eine Art Totenstille – verwaiste Häuser, an deren Subs­tanz Wind und Regen nagen, stehen gottverlassen am Ufer. Ein Straßenschild zeigt den Weg ins Nichts. 4,5 Kilometer sollen es bis zum Örtchen Salasc sein. Der Asphalt dorthin aber verschwindet seit 1960 in der Tiefe des Stausees. Ein geplantes, später aber verworfenes Bewässerungsprojekt machte das Örtchen Celles, das zu dieser Straße gehört, zum Geisterdorf. Eigentlich hätten auch die Häuser unterm Wasserspiegel verschwinden sollen. Doch aus Sorge, dass der Staudamm bricht, reduzierten die Behörden den Pegelstand.

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Verlassen – Autostraße verschwindet im See.

Der Eingriff der Menschen verwandelte das 28 Kilometer lange Ufer in ein optisch vielfältiges Wunderland. Von ziegelrot bis braunschwarz rahmen eisenoxidhaltige Tonsedimente und Basalt vulkanischen Ursprungs den künstlichen See. Kleinste Fjorde und eigentümliche Kegel haben  Wind und Regen geformt.

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Seltsam – Marslandschaft am Lac du Salagou.

In diesem erstaunlichen Naturschauplatz Vallée du Salagou et Cirque de Mourèze ist Bebauung verboten, das Gebiet unterliegt den Natura-2000-Schutz­statuten. Was nicht heißt, dass baden, surfen, wandern oder Rad fahren verboten wäre. Regeln benötigt das Musterbeispiel an naturverträglichem Tourismus kaum. Denn wo kein Klettergarten rockt, kein Baumwipfelpfad lockt oder gar pädagogisch nachhaltige Naturerklärungszentren mit teuren Info-­Ani­mationen schockt, hat der Naturgenießer seine Ruhe.

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Einsam – von Puéchabon aus lässt sich zu Fuß die wilde Schlucht des Flusses Hérault erkunden.

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Ungebetener Einwanderer aus Mississippi: Der Rote Amerikanische Sumpfkrebs liebt den aufgeheizten Lac du Salagou. Doch dezimiert er einheimische Arten. Der Nordamerikaner verbreitet die für ihn ungefährliche Krebspest.

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Übersichtskarte

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Montpellier: Zum verlieben, schön und lebendig

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Die vom Mittelmeer nur zehn Kilometer entfernte Metropole schaffte den Spagat zwischen Tradition und Moderne. In dieser Kultstadt hat sich jeder vierte der 278000 Einwohner als Student eingeschrieben. So treffen nicht nur Generationen aufeinander, sondern auch Kulturen, was die Stadt liebenswert macht, vergleichbar mit dem jugendlich-fröhlichen Flair der Studentenstädte Tübingen oder Freiburg. In Montpellier zudem weiß man, dass man der Einwanderungswelle der französischen Algerier seit 1960 das rasante Wachstum verdankt. Heute spielt die Mittelmeerstadt auf dem Niveau von internationalen Metropolen. Die New York Times gar wählte Montpellier 2010 in die Top 45 der sehenswertesten Städte der Welt: Einfache mediterrane Lebensart trifft auf großartige Kultur, historische Prachtbauten kontrastieren modernste Architektur. Auf dem höchsten Punkt der Stadt entstand 1688 die Promenade de Peyrou (Foto oben), ein von Bäumen flankierter, lang gezogener Platz, den das barocke Wasserschlösschen des Château d’Eau schmückt. Es erhielt sein Wasser aus dem Äquadukt St-Clemens (Foto oben) und verteilte es von hier auf die drei Brunnen der Stadt.

City Card: 13,50 Euro – freien Eintritt für zahlreiche kulturelle und touristische Aktivitäten, Altstadtrundgang sowie kostenloser Nahverkehr.

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Autofrei: Boutiquen und traditionelle Geschäfte beleben die Gassen und Plätze der Altstadt.

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Printausgabe: Sphäre 2/2018, Seite 24-27

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