Aufs Pferd gesetzt

Tradition & Handwerk: Auf der Suche nach den Wurzeln der Leidenschaft

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Das Pferd gehört zum Biosphärengebiet wie der Tropfstein zur Höhle. Familie Thumm-Wurster ergründet die historischen Tiefen dieser Tradition, um sie neu zu (er)leben.

Warum soll ein Super-Biobauer nicht die Früchte seiner Arbeit dadurch veredeln, dass ein Pferdepflug die Furchen in den Albboden gräbt und dass zu Pferd geerntet wird? Eine gewagte Vision? Nein, vielmehr sieht das pferdebegeisterte Duo aus Sonnenbühl-Willmandingen sogar die Möglichkeit, in Zukunft mit ihren Pferden im Dienst der Gemeinde zu arbeiten, etwa zum Holzrücken, Mähen oder Roden. So, wie es früher gang und gäbe war.

Heute, ganz real und vielseitig wirtschaftet die Familie als „Sonnenalb-Kutscher“ auf ihrem Hof in der Ortsmitte Willmandingens. Nebenberuflich stemmen die beiden Mittvierziger eine Wanderreitstation mit Übernachtungsmöglichkeit für sechs Personen und halten einen Pensionsstall für 12 Pferde bereit. Seit zwei Jahren erweitern sie mit Naturerlebnisfahrten im Planwagen ihr touristisches Angebot. Mit dem Haflinger-Zweiergespann unternehmen die Pferdekenner (im Foto links unten) mit ihren Gästen ganztägige oder stundenweise Erkundungstouren zu den Perlen der Alb: Burgruinen, Höhlen und Wacholderheiden. „Von Mai bis August waren wir fast jedes Wochenende ausgebucht“, belegt Uschi Wurster den Erfolg der durchorganisierten Kutschfahrten inklusive Verköstigung und naturkundlicher Führung für Geburtstagsgesellschaften oder Betriebsausflüg­ler. „Wenn sich ein breites, wohliges Grinsen auf den Gesichtern unserer Kunden zeigt, weiß ich, wir haben´s richtig gemacht“, freut sich Partner Uli Thumm jedes Mal über die stumme Rückmeldung als „Lohn“ für den professionellen Einsatz.

Die beiden Wahl-Willmandinger haben den Nerv der Zeit getroffen. „Wanderreiten über mehrere Tage von Hof zu Hof oder mit der Kutsche die Alblandschaft entdecken, entschleunigt ungemein“, beschreibt die Teilzeit-Unternehmerin die positive Wirkung der Pferde auf sich selbst und ihre Gäste. Das spricht sich herum. Immer mehr Menschen entdecken die Schwäbische Alb als attraktive Reitregion. Darin liegt eine große Chance, die die Familie Wurster-Thumm längst ergriffen hat. Gast­häuser und landwirtschaftliche Betriebe spüren die Begeisterung der Pferdefans und bieten auf ihren Höfen vermehrt Platz als auch Service für Alb-Wanderreiter.

Die Anfänge des „Pferdelands Schwäbische Alb“ liegen in dem von Herzog Ludwig von Württemberg 1573 gegründeten, ältesten deutschen Staatsgestüt. Das Haupt- und Landgestüt Marbach mit seinen Gestütshöfen sowie dem Reit- und Zuchtbetrieb lockt heute jährlich eine halbe Million Pferdebegeisterte zu Reitpferdeauktionen, Hengstparaden oder Turnieren. Es ist Ausbildungsbetrieb für den Beruf Pferdewirt und Sitz der Landesreit- und Fahrschule. Diese lange Tradition hat Spuren hinterlassen. Der jahrhundertelange Futter- und Weidebetrieb prägte und bestimmt immer noch das typische Landschaftsbild der St. Johanner Alb. Weitläufige Wirtschaftswiesen und saftig grüne Weiden liegen idyllisch zwischen den Albgemeinden, dichte Buchenwälder bilden ihren markanten Abschluss. Doch verleiht die Pferdehaltung diesem Teil der Alb nicht nur sein unverwechselbares Gesicht, sondern greift auch ein ins wirtschaftliche Gefüge. Drei bis vier Pferde finanzieren einen Arbeitsplatz, hat das Kompetenzzentrum Pferdezucht und Pferdehaltung Baden-Württemberg ermittelt. Bei geschätzten 100000 bis 120000 Pferden im Ländle beschäftigten sich 30000 bis 40000 Menschen beruflich direkt oder indirekt mit der Pferdehaltung. Etwa als Züchter, im Pferdepensionsbetrieb, in der Futtermittelherstellung, als Ausrüster, Reitlehrer, Tierarzt, in der Tier­arzneimittelindustrie, als Heilpraktiker oder im Touris­mus. Diesen florierenden Wirtschaftszweig hat auch die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen erkannt. Seit dem Wintersemester 2009 können dort junge Menschen den Studiengang Pferdewirtschaft belegen.

Jahrhundertelang rackerte das vierbeinige Kraftpaket fast ausschließlich als Zugtier in der Landwirtschaft. 1912 zählte Baden-Württemberg knapp 200000 Pferde – Höchststand. Dampfmaschine und Dieselmotor setzten dieser Entwicklung ein jähes Ende. So schrumpfte bis 1970 der Bestand auf magere 29000. Als sich dann das Arbeitstier zum Freizeitgefährten wandelte, ging es wieder bergauf. Die Faszination an den vielseitigen Tieren ging dabei nie verloren. „Bei der Arbeit mit den Pferden entwickelt sich ein blindes Verständnis und tiefes Vertrauen“, beschreiben die Sonnenalb-Kutscher unisono ihre Passion. „Täglich fordern sie uns mit viel Charme heraus“, lacht die zupackende Verwalterin. Mit ihren empfindsamen Wesen als gehegtes Kapital sowie vielen Ideen steuern die Willmandinger vielleicht schon bald auf einen Vollerwerbs-Pferdehof zu.

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Printausgabe: Sphäre 1/2011, Seite 6-7

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