Verborgenes aufgedeckt

Sonderausstellung 2022/23: Spuren in der Landschaft Pfullingen und Eningen unter Achalm

Landschaft als Spiegel der Gesellschaft: Wo Landschaft, einer der zentralen Begriffe der Geographie, im sichtbaren Maße durch Menschen, Gesellschaften und Kulturen aktiv gestaltet und genutzt wurde, spricht man von Kulturlandschaft. Im Umkehrschluss erlaubt die Ausgestaltung der Kulturlandschaft die Rekonstruktion (früherer) gesellschaftlicher und sozial-ökonomischer Dynamik: Landschaft wird zum Spiegel der Gesellschaft, regionale Besonderheiten und örtliche Eigenheiten sind ablesbar.

Historische Kulturlandschaftsforschung beschäftigt sich mit der Landschaft und sieht die darin enthaltenen Relikte als Quellen, gleichermaßen als originäres Geschichtsbuch. Die Besonderheit und Schwierigkeit dieses ‚Landschaftsbuches‘ besteht aber darin, dass viele Geschichten auf nur einer Seite, der Landschaft eben, über- und nebeneinander geschrieben sind. In der Urkundenforschung wird für ein antikes oder mittelalterliches Schriftstück, das wiederholt verändert und neu beschrieben worden ist, der Begriff Palimpsest verwendet. Unter den zuletzt aufgetragenen Zeilen schimmern hier frühere Einträge noch durch. Diese älteren „Einträge“ (Nutzungen) gilt es in der historischen Kulturlandschaftsforschung zu finden: seien es durch andauernde Bewirtschaftung überformte Ackerspuren, verflachte Weinbergstufen, verfüllte Steingruben und sogar Bohnerzgruben, komplexe Wässerwiesensysteme, Überreste intensivster Beweidungsflächen in Feldflur und Wald, historischer Streuobstanbau auf vormaligen Weinbergen, einstige Arten des Waldbaus, kaum noch erkennbare Anlage von Alleen und, allem voran, die ehemaligen oft extrem mühsam zu erklimmenden Wirtschaftswege am Albtrauf.

Verborgene Spuren aufgedeckt
Die aktuelle Ausstellung des Geschichtsvereins Pfullingen nimmt genau diese verborgenen Spuren unter die Lupe und deckt sie mithilfe der Wissenschaftler Prof. Dr. Hans-Joachim Rosner und Dr. Christoph Morrissey am Geographischen Institut der Universität Tübingen auf. Es handelt sich um die verbliebenen, noch sichtbaren Elemente historischer, teilweise über Jahrhunderte von unseren Vorfahren angewandter Landnutzungen. Nach einem ausgeklügelten System von Luftbildauswertung, Auswertung von Fernerkundungsdaten, insbesondere Laserscanning-Daten (LIDAR), digitaler Erfassung im geographischen Informationssystem (GIS) und schließlich persönlicher Überprüfung vor Ort, Klassifizierung und Dokumentation per Foto, wurde über die Jahre 2019 bis 2021 ein umfassendes Werk zusammengetragen. Die Ergebnisse dieser Arbeit, beauftragt und unterstützt vom Geschichtsverein, gefördert vom Biosphärengebiet Schwäbische Alb, werden nun im nächsten Schritt der Öffentlichkeit verständlich zur Verfügung gestellt. Begonnen wird mit dieser Ausstellung mit Begleitprogramm, eine Veröffentlichung als Beitrag zur Pfullinger Geschichte soll unmittelbar folgen. Konzipiert als Wanderausstellung soll sie auch in Schule und Studium einsetzbar sein.
Die Arbeit hat den Anspruch, einen möglichst vollständigen Überblick zu geben. Etliche dieser Spuren und Relikte in der Landschaft hat man möglicherweise schon einmal gesehen, vielleicht, oder wahrscheinlich sogar übersehen. „Man sieht nur, was man weiß“, bemerkte Johann Wolfgang von Goethe. Um hier die Augen zu öffnen, Verständnis und Hintergrundwissen zu schaffen, werden für die Dauer der Ausstellung regelmäßig „verborgene Spuren aufgedeckt“ und in den lokalen und sozialen Medien, der Homepage des Geschichtsvereins und auf kostenlosen Loseblättern in der Ausstellung als Themen genauer präsentiert. Geplant sind zusätzliche Gesprächsrunden mit „Zeitzeugen“, soweit noch möglich, Führungen, Veranstaltungen. Der Geschichtsverein freut sich natürlich über alle Hinweise zu verborgenen Elementen, die sogar dieser Arbeit verborgen blieben. Das ist ein Aufruf: Alle sind aufgefordert, uns Hinweise und Entdeckungen mitzuteilen.

Wandel der Landnutzungen
Und noch etwas ist sehr spannend: Das Thema Landnutzungswandel. Für das Projektgebiet wurden flächendeckende, verlässliche Daten zur Veränderung der Landnutzung über den Zeitraum von etwa 200 Jahren erhoben. Als Quellen hierfür kamen ausschließlich Kartenwerke in Betracht. Sie stellen die wichtigste historisch-geographische Quellengruppe dar. Ausgewertet wurden die Flurkarten ab etwa 1820 im Maßstab 1 : 2.500 und die ab etwa 1908 vorliegenden, auf der württembergischen topographischen Landesaufnahme beruhenden Topographischen Karten im Maßstab 1 : 25.000. Für das Projekt wurden drei Zeitschnitte erhoben: um 1830, um 1908 und um 2020. Die Veränderungen sind sehr beeindruckend. Parallel werden Informationen zur Geschichte, zur Kartographie und modernsten Analyse-Methoden gegeben.
Neben den wissenschaftlichen Auswertungen werden in Ergänzung zur kürzlich erschienenen Neuauflage des Pfullinger Flurnamenbuches von Dipl.-Geograph Oliver Meiser auch die Flur- bzw. Gewannnamen auf Pfullinger und Eninger Gemarkung kartographisch präsentiert.

Schutzgebiete
Die Bedeutung dieser historischen Nutzungsarten dokumentiert sich in dem ausgeprägten Schutzgebietssystem das Pfullingen und Eningen unter Achalm umgibt. Die Ausstellung gibt einen aktuellen Überblick aller Schutzgebiete und stellt den Zusammenhang zur Landnutzung her. Die Thematik der Biologischen Vielfalt geht einher mit der Vielfalt der Kulturlandschaft, originäre Themen des Biosphärengebiets Schwäbische Alb.

Prof. Waltraud Pustal
Vorsitzende Geschichtsverein Pfullingen e. V.


 

Ort und Öffnungszeiten

In der Stadtbücherei Pfullingen vom 21. September 2022 bis 28. Januar 2023
Ausstellung „Verborgenes aufgedeckt“ Spuren in der Landschaft Pfullingen und Eningen unter Achalm

Das Begleitprogramm umfasst Führungen und Veranstaltungen, die rechtzeitig bekannt gegeben werden. Führungen für Schulklassen und Gruppen sind möglich.

Stadtbücherei Pfullingen, Passy-Platz 1, 72793 Pfullingen, Tel. (07121) 70304200. Dienstag und Donnerstag von 14:00 – 18:30 Uhr, Mittwoch und Freitag von 9:00 – 12:00 und 14:00 bis 17:30 Uhr, Samstag von 10:00 – 12:00 Uhr. Der Eintritt ist frei.


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