Naturpark Pyrenäen

 Biosphärenportrait: Naturpark Cadí-Moixeró, Spanien

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Wo Menschen Zäune errichten, kommen Tiere und Pflanzen zum Zug. So dämpfte der Pyrenäen-Grenzvertrag 1659 zwischen Spanien, Frankreich und Andorra – anders als in den Alpen – den Besiedlungsdruck. Dörfer blieben autark, für den Bau der Häuser verarbeiteten die Katalanen Holz und Stein. Der Charme dieser Architektur und der ursprünglichen Landschaft blieb bis heute erhalten.

Grenzenlos

Wo Menschen Zäune errichten, kommen Tiere und Pflanzen zum Zug. So dämpfte der Pyrenäen-Grenzvertrag 1659 zwischen Spanien, Frankreich und Andorra – anders als in den Alpen – den Besiedlungsdruck. Dörfer blieben autark, für den Bau der Häuser verarbeiteten die Katalanen Holz und Stein. Der Charme dieser Architektur und der ursprünglichen Landschaft blieb bis heute erhalten.

Tock, Tock – leise aber ausdauernd wie das Ticken einer Uhr schlägt das Holzschild gegen den graubraunen Putz der Hausfassade. Ein Bellen hier, ein Hahnenschrei dort, selten unterbricht das Hämmern eines Diesels die Stille unter der im Mai noch kühlen Pyrenäensonne. Es gibt wenig Autoverkehr, es gibt wenig Menschen.

Arbeitslos: In Josa de Cadí, einem auf einem Hügel errichteten Dorf, leben in den Natursteinhäusern nur noch 42 Menschen.

Arbeitslos: In Josa de Cadí, einem auf einem Hügel errichteten Dorf, leben in den Natursteinhäusern nur noch 42 Menschen.

Immer wieder verdunkelt der pendelnde Schatten des hölzernen Restaurant-Schilds den im Gegenlicht glitzernden Dampf des „Café cortado“ – ein Espresso mit Schuss heißer, aufgeschäumter Milch. Die Sonnen­terrasse liegt an der hier im Städtchen Gósol zu einem Marktplatz verbreiterten Hauptstraße. Über den Dächern thront die schneebedeckte Doppelspitze des Pedraforca (Foto rechts unten). Aber nicht dieser kamelhöckerartige Gipfel setzt mit seinen 2497 Metern dem Naturpark die Krone auf. Sondern: die Könige der Greifvögel, die Adler und Geier, deren Flügelspannweiten bis zu 2,9 Meter messen. Mit rund 200 Brutpaaren zählt der Bartgeier zu den seltensten Greifvögeln in Europa und hier in den Pyrenäen ist dieser Räuber zu Hause. Wer seinen Blick mit den auf der Alb verbreiteten Roten Mi­lanen eicht, verschätzt sich in den Pyrenäen schnell. Sinnestäuschung: Die mehr als doppelt so großen Vögel fliegen höher, als man denkt.

Mit messerscharfem Blick scannt der König der Lüfte die Grenzen dieses Parks. Im Nordwesten von Gósol bildet die mächtige Gebirgskette Serra del Cadí einen schmalen Wall, der sich nach Osten, nördlich der Stadt Bagà, zum Gebirge Serra de Moixeró absenkt. Das Tal des Rio Segre trennt das Schutzgebiet vom eigentlichen Pyrenäenhaupt- und Grenzgebirge ab. Schon 1983 hatte die Administration Catalunyas den Status Naturpark für dieses Gebiet festgelegt, 413,42 Quadratkilometer mächtig, die Topografie erstreckt sich zwischen 900 und 2648 Metern. Im September 2010 erklärte die Europäische Union diesen Park gar zu einem Vogelschutzgebiet.

Ein Hund schleicht um die sonnenüberfluteten Tische der hölzernen Terasse. Geduckt schielt er herüber, seinen Schwanz tief gesenkt. Herrenlose Streuner gehören zum Bild der lieblichen, teils verlassenen Bergdörfer. Sie wären verfallen, wenn nicht die Spanier aus den wirtschaftsstarken Ballungsgebieten, wie das rund 100 Kilometer entfernte Barcelona, ihre Liebe zu dieser Idylle entdeckt hätten. Viele dieser eng ineinander geduckten Häuser geben liebevoll restauriert zumindest optisch eine Retrospektive in vergangene Zeiten (Foto links unten). Im Mai steht die Sonne zwar hoch, doch die Fensterläden der zu Wochenendhäusern umfunktionierten Domizile bleiben fest verschlossen. Von den weißen Kuppen der Pyrenäengipfel fällt immer noch kühler Wind – tock, tock, der „Café cortado“ wird hier auf 1000 Metern schnell kalt.

Aber genau dies ist der Reiz. Die wirklich wenigen Wanderer marschieren im Mai bisweilen mit hochgeschlagenem Kragen durch das urige Tal des Riu de Josa oder auf Pfaden hoch über der Schlucht des wilden Riu de Saldes. Der harzig würzige Duft der Kiefern schmeichelt der Nase. Das frische Gelb des Ginsters erhellt das Gemüt. Noch taucht der Frühling alles in satte Farben. Doch die verkohlten Kiefernstämme an den Südhängen verraten: Im August wird es verdammt heiß. Im Unterschied zur französischen Nordseite des Grenzgebirges geht es hier im spanischen Gebirgsteil schweißtreibend her. Schilder mahnen zur Vorsicht mit Feuer.

Doch noch ist die Atlantikluft feucht und sie kondensiert über dem Serra del Cadí zu mächtigen Wolken. Gerade noch wärmte im Tal die Sonne. Etwas höher, nur fünf Kilometer weiter, regnen die Wolken ab. Wasser, das auch die einheimische Pflanze, der sogenannte Pyrenäen-Felsenteller, begierig in seiner Blütezeit saugt. Dessen zartes Violett sprießt im Mai und Juni aus schattigen Spalten zwischen den Kalkfelsen. Diese Art kommt nur in den Pyrenäen vor (Foto oben). Botaniker sprechen von „endemisch“, wenn Populationen in sehr eng abgegrenzten Räumen auftreten – so wie die Darwinfinken nur auf den Galápagos-Inseln leben.

Rund 4500 Pflanzenarten beleben den mächtigen Felsenwall vor der iberischen Halbinsel.  Auch der Braunbär fand in dieser Wildnis Schutz vor Zivilisation und Jägern. Zumindest auf der französischen Pyrenäenseite wurde er öfters gesichtet. Weniger furchteinflößend als dieses Raubtier bevölkert die Pyrenäengemse dieses Gebirge. Dieser flinke Kletterer nebst den zugewanderten Murmeltieren lassen optisch wie akustisch Alpen-Feeling aufkommen. Wenn da nicht die unglaubliche Ruhe wäre, kilometerweite Einsamkeit auf Schritt und Tritt. Fast 300 Schmetterlingsarten frischen den Pyrenäensommer auf. Wohltuend: Das kleinkarierte rot-weiß der typischen Sommerfrische der Alpen bleibt samt Kniebundhose zu Haus.

Auch wenn nur 1000 Kilometer zwischen Daheim und den Pyrenäen liegen, gefühlt sind es 3000. Anderes Essen, andere Sprache. Wer hier entschleunigt, entdeckt das Schritttempo als Autobahn der Emotionen. Über den Jakobsweg sind schon viele gepilgert. Der Pyrenäenabschnitt bis nach Santiago de Compostella soll dabei der schönste sein. Und wieder schlägt das Holzschild im aufrischenden Wind – tock, tock – der „Café cortado“ ist nun endgültig kalt.

Doppelspitze: Der Pedraforca blickt weit ins Land

Die markante Doppelspitze des Pedraforca erhebt sich 2497 Meter über den Meeresspiegel. Vom Ort Bagá aus können Wanderer Richtung Westen das Gebirge und die wilden Täler des Serra de Cadí erkunden, östlich dieses kleinen Städtchens erstreckt sich das Gebirge Serra Moixeró. Eine der schönsten Etappenrouten verläuft direkt auf dem Kamm dieser beiden Gebirge. Der über 50 Kilometer lange Trail pendelt zwischen 2000 und 2600 Metern überm Meer – ein echtes Abenteuer. Bei der hier beschriebenen Region handelt es sich um einen Naturpark, dessen Schutzstatus weniger stark ausgeprägt ist als bei Nationalparks. Dennoch oder gerade deswegen blieb das ursprüngliche Landschaftsbild erhalten. Die Besucherströme sind schwächer ausgeprägt als in den übrigen drei Nationalparken der Pyrenäen. Die Region wirkt authentisch.

Im Vergleich dazu lockt der 300 Straßenkilometer entfernte Nationalpark Ordesa jährlich 600000 Touristen an. Dieser bereits 1918 gegründete Nationalpark begeistert mit seinen bizarren Felsformationen. So finden sich hier die tiefsten Schluchten des Kontinents. Den 3355 Meter hohe Monte Perdido hat die UNESCO 1997 mit dem Titel Welterbe geadelt. Dieses Schutzgebiet schließt an Frankreichs „Parc National des Pyrénées“ an, der sich fast 100 Kilometer entlang der Grenze erstreckt.

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Printausgabe: Sphäre 1/2011, Seite 28-31

Naturpark Cadí-Moixeró in den Pyrenäen

Insel-Dasein: Der Pyrenäen-Fel­senteller flüchtete während der Eiszeit aus dem Norden in die südlichen Täler. Später aber schaffte er den Weg über die Pyrenäen nicht mehr zurück.

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