Blick-Richtung

Kunst & Naturlandschaft

Der Kunst- und Aktionspfad der Jugendhilfeeinrichtung Ziegelhütte in Ochsenwang verbindet Natur und Kunst. Er führt Menschen zusammen, bietet Theater und Konzerte. Nicht zuletzt demonstriert er das schillernde Ergebnis erfolgreicher Jugendarbeit.

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Eine geistige Preview sollen wir heute erleben – der Blick des Redaktionsteams richtet sich auf Besonderes, ja Außerordentliches, das derzeit unter geschickten Händen wächst. Die Jugendhilfeeinrichtung Ziegelhütte lenkt unsere Aufmerksamkeit auf Kunstwerke, die im Sommer mit der Landschaft eins werden oder sich monumental in den Albhimmel recken werden. Heute beim Recherchetermin, an einem sonnigen Februarmorgen am Albtrauf in Ochsenwang glitzert die Luft vor Kälte. Gleißendes Licht und aufblitzende Eiskristalle rund ums Randecker Maar regen die Fantasie an, helfen den Kunst- und Aktionspfad, der sich im Juni 2012 über sechs Wochen in einer großen Schleife an den Rand des imposanten Vulkankraters schmiegen wird, vor dem geis­tigen Auge entstehen zu lassen.

Die Macher selbst schicken uns auf die virtuelle Vorabreise. Eigens dazu hat der Leiter der Einrichtung, Hendrik van Woudenberg, an diesem Morgen ein kreatives Team zusam­menge­trom­melt. Drei Jungs aus der Wohngruppe, Patrick, Mattheo, Tim, Werkstattleiter Jens Peter Wagler und der Künstler Rudolf Mrazek präsentieren stolz ihre Planungen.

Der Funke springt über – sofort und trotz der Kälte. 30 Stationen entlang des Kunst- und Aktionspfades werden im Juni vor herrlicher Albkulisse auf fünf Kilometern zu bestaunen sein. Eine davon ist – mit Hilfe unserer Fantasie – schon zu erkennen: Da ist er, der wutschnaubende, gefährliche Drache, von dem an diesem Mor­gen zumindest der Schwanz zu sehen ist (Foto unten). In mehreren Teilstücken schlängelt sich das tonnenschwere Eichenmonstrum durch den Schnee und gibt eine Anmutung von seiner späteren Größe. „Im Sommer wird er sich zu mächtigen 4,5 Meter aufrichten“, freut sich der Künstler und pensionier­te Pädagoge Mrazek. Eiserne Zacken am Nacken und große Flügel werden ihn noch gewaltiger aussehen lassen. „Das bleibt für ewig, da sind wir stolz drauf“, murmelt Patrick andächtig. Fürs Foto legen die drei Jungs nochmals Hand an. Kurz nur, denn es ist bitterkalt. Selbst der Akku im Fotoapparat streikt, der Finger des Fotografen am Auslöser funktioniert auch nicht wie er soll. „Heute müssen wir improvisieren“, lacht der Chef der Ziegelhütte auf dem Weg zur nächsten Station gut gelaunt. Atemwölkchen steigen auf, selbst hier in der Theaterscheune, wo uns Corbin und Timur eine Kostprobe ihres Theaterstücks zeigen (Bild 1). „Ich liebe das Leben“, ruft Corbin dem Sensenmann freudig entgegen. Das Lächeln des 18-Jährigen gefriert – kein Wunder bei acht Grad minus, doch es ist echt. „Ich bin froh, wenn ich das Stück ohne Fehler schaffe“, freut sich der junge Mann. „Diese Selbstwirksamkeitserfahrungen sind wichtig für unsere 14 bis 21-jährigen jungen Menschen“, erklärt van Woudenberg, der als Lehrer und Waldorfpädagoge 1980 aus den Niederlanden nach Deutschland kam. So sollen die Theateraufführungen als Aktionspunkte entlang des Kunstpfads den Blick lenken auf Jugendliche, die am Rand der Gesellschaft stehen. „Die will keiner sehen, sie werden immer nur fortgeschickt“, berichtet der Heilpädagoge vom Dilemma seiner Schütz­linge. Hier jedoch werden die „Jugendlichen mit sozialem und emotionalem Förderbedarf“ mitten ins Leben geholt, können zei­gen, was sie gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Und das ist enorm: Landart, wie beispielswei­se Mandalas aus Zweigen und Steinen oder Traumfänger in den Wipfeln der Bäume verweben die kreativen jungen Leute mit der Alblandschaft, als wären sie natürlicher Teil. Sie errichten Stelen aus buntem Glas, die jäh he­rausragen aus sanften Magerrasen.

Da fällt die Entscheidung schwer. Denn die Jugendlichen dürfen selbst wählen, was sie tun möchten. Sie sollen wollen, nicht müssen. Sollen ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Besonders der Kunst- und Aktionspfad will diese Ambitionen fördern. Künstler aus der Umgebung sowie die Betreuer der Ziegelhütte bilden den führenden Rahmen. Ein spannender Prozess, aus dem der Kunstpfad erwächst. Nach van Woudenbergs Idee verbindet er vier Elemente, die Kunst, die Natur, die Jugendlichen und die Bevölkerung zu einer inspirierenden Mischung, Mitmachen ist erwünscht. Durch die gemeinsame Arbeit „können die jungen Menschen ihre Krisen und Erlebnisse am besten verarbeiten und ihren Weg ins Leben finden“, sagt van Woudenberg. Finden Sie den Weg dorthin, werden im Juni statt tanzender Eiskristalle die Lichtspiegelungen der Glasobjekte den Ort verzaubern.

 

Ziegelhütte: Jugendhilfeeinrichtung in Ochsenwang

Leben, lernen, arbeiten – alles unter einem Dach bietet die Ziegelhütte Jugendlichen mit sozialem und emotionalem Förderbedarf. 55 Mitarbeiter begleiten und leiten derzeit 37 14- bis 21-jährige junge Leute in ihrem Alltag. Und der ist bestens strukturiert. Die morgendliche Gesprächsrunde aus Gesang und Informationsaustausch bis hin zu einem Tagesmotto stimmt die Jugendlichen auf den Tag ein. Sie besuchen anschließend schulischen Unterricht, gestalten in der Kreativwerkstatt und arbeiten in der hofeigenen Schreinerei, Käserei, Backhaus oder Küche. Die Waldorf- und Heilpädagogik bilden die Grundsäulen der Heimerziehung und des betreuten Jugendwohnen, die die Jugendlichen zwei Jahre durchlaufen. Die enge Verknüpfung aller Bereiche gibt Halt und Sicherheit für eine positive Persönlichkeitsentwicklung. Die Schule der Ziegelhütte bietet den Haupt-, Förder- oder Werkealschulabschluss an. Hendrik van Wouden­berg ist Leiter und Geschäftsführer der Ziegelhütte seit 2004.

Schulterklopfen: Tagelang geschuftet haben Patrick und Tim, nur um den gewaltigen Eichenstamm zu entrinden. Stolz sind sie schon jetzt allein auf den Schweif (im Bild) des Drachens, dessen Körper sich im Juni 2012 auf 4,5 Meter aufrichten wird.

Präsentieren: Wir können was! Die Theaterbühne als Plattform für die Jugendlichen ist ein Programmpunkt des Kunst- und Aktionspfads.

Verstehen: „Sie müssen nicht schön sein“, zeigt sich Mrazek hochzufrieden mit den beiden „Sprechenden“ (Bild 2) . Der Künstler hat die von Jugendlichen begonnenen Skulpturen fertiggestellt. „Wir bringen was zustande, halten durch.“ Das ist, was für die Jugendlichen zählt, weiß Mrazek.

 Weggefährte: Den finden junge Menschen in der Ziegelhütte. Winfried Tränkner und Anja Ritzmann halfen Jugendli­chen den „Mann mit Hut“ aus Styropor und Gips zu modellieren.

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Events ums Event

Programmpunkte 16. 6. – 29. 7. / Infos: www.mh-zh.de

  • Kunstpfad, Landart, Skulpturen, Glasobjekte auf fünf Kilometer Länge rund um die Ziegelhütte
  • Theateraufführungen, Minidramen in der Theaterscheune am 16. 06./30. 06. u. 14. 07. jeweils um 19 Uhr
  • Konzerte, Jugendorchester, u.a. der Bissinger Musikverein spielt auf am 16.06. (weitere Termine: mh-zh.de)
  • Ausstellung, Bildende Künstler wie Kirchner, Mrazek, Vogt, Willems stellen in der Schule aus
  • Attraktionen für kids, Erlebnisspielplatz: Hoch- und Niedrigseilgarten, Kletterwand, Kisten stapeln, Trampolin springen
  • Open air Kino (22. 06. – 01. 07., abends)
  • Naturkundliche Führungen

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Printausgabe: Sphäre 1/2012, Seite 22-24

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