Absturz

Geschichte & Orte: Drama von Seeburg

Am Uhenfels, oberhalb von Seeburg fand man den Flugzeugrumpf. Das leidvolle Schicksal der Bomberbesatzung anno 1944 stiftet heute Frieden, mahnt und knüpft tiefe Völkerfreundschaften.

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  Flugzeugfoto: Bundesarchiv, Bild 141-2716 – CC-BY-SA

Während des entfesselten Wahnsinns des Zweiten Weltkrieges starben die Metropolen Deutschlands im Feuersturm. Auch dünn besiedelte Gebiete wie die Schwäbische Alb blieben nicht von den Traumata des Bombenkrieges verschont.

Spätere Generationen finden Trost und Mahnung im Wirken von Menschen, wie dem (leider verstorbenen) Gächinger Fritz Groß und dem pensionierten Münsinger Volkshochschulleiter Otmar Gott­erbarm, die mit menschlichen Ges­ten und unermüdlichem Nachforschen Erinnerungen bewahren und wertvolle Beiträge zur Völkerverständigung liefern.

Man schrieb den 26. Februar 1944, als die Stadt Augsburg ins Visier der Royal Air Force geriet. Etwa 800 Menschen fanden den Tod, 90000 verloren ihre Heimstatt, unersetzliche Kulturdenkmäler der Fuggerstadt zerfielen. Auch über der Schwäbischen Alb war in jener kristallklaren Nacht stundenlang Proppellerdröhnen zu hören. Eine Mischung aus Staunen und Furcht hatte den zwölfjährigen Fritz Groß in Gächingen ins Freie getrieben. Plötzlich schmerzte ein raumfüllendes Sausen seine Ohren. Fritz sah bunte Feuerschlangen wie von einer Silvesterrakete am Himmel. Es folgte ein schrecklicher Knall, dann herrschte Totenstille. Der Junge ahnte, dass er eine Tragödie erlebt hatte. Was genau geschehen war, erfuhr er erst Jahre später.

Der vierstrahlige Lancester Bomber D791 der Alliierten wurde von deutschen Nachtjägern angegriffen. Das Flugzeug mit sieben Mann Besatzung war Teil des 594 Maschinen starken Bomber­schwarms, der gegen Augsburg flog. Die Lancester versuchte die Flucht in Richtung der heutigen Biosphären-Alb. Ein Treffer hatte die Tragfläche in Brand gesetzt. Durch Sturzflug von 6000 auf 4000 Meter versuchte der Pilot, die Flammen zu ersticken. So erklärt sich das sausende Geräusch, das Fritz Groß gehört hatte. Es war zu spät, die Lancester explodierte am Himmel. Am Ortsrand von Riet­heim prasselten erste Trümmer zu Boden. Am Uhenfels oberhalb von Seeburg fand man große Teile des Rumpfes. Fünf Tote lagen in der Nähe des Wracks, der Sechste, so erzählte man sich auf der Alb, soll unter dem Uhenfels sterbend seinen Namen in die Rinde eines Baumes geritzt und sich damit ein eigenes Grabmal geschaffen haben. Nur einer der Männer konnte sich mit dem Fallschirm retten und wurde am Morgen bei Riet­heim von Dorfwachen gefangen genommen.

Vierzehn Jahre waren vergangen, das Wirtschaftswunder belebte die junge Bundesrepublik, als Fritz Groß, inzwischen Mitarbeiter einer Uracher Baufirma, Renovierungsarbeiten im „Schlössle“ am Uhenfels durchzuführen hatte. Er erzählte seinem Kollegen vom brennenden Flugzeug, das er als Junge am Himmel gesehen hatte. In der Mittagspause durchstöberten sie die Unglücksstelle. Tatsächlich fand Fritz Groß einen Ring im Laub. „Alius alia via ad astra ascendit“ (lat. „jeder findet seinen eigenen Weg zu den Sternen“) stand darauf. Bis 2006, also ganze 48 Jahre lang, blieb der Ring bei Fritz Groß. Verschiedene Anfragen, etwa beim Roten Kreuz, halfen ihm nicht, seinen wahren Besitzer zu finden.

Ein gemeinsamer Bekannter machte schließlich Otmar Gott­erbarm auf Fritz Groß aufmerksam. Gotterbarm, Realschullehrer, Volkshochschulleiter und weit gereister Sprachenlehrer, hatte, angeregt durch ein Absturzereignis im heimischen Lautertal, das Forschen über den Luftkrieg zu seiner Passion gemacht. Neben Vorträgen und Zeitungsartikeln entstand die inzwischen vergriffene Publikation „Als die Feinde vom Himmel fielen“ (für 2013 plant Gott­erbarm eine Neuveröffentlichung).

Groß zeigte Gotterbarm den Ring. Dieser bat seinen Sohn im Internet zu recherchieren. Die lateinische Inschrift des Ringes, die den Lehrer Gotterbarm an eine Bildungseinrichtung denken ließ, und die Gravur „Westdale“ führten auf die richtige Spur: Es war ein Schulring der Westdale Secondary School in Hamilton/Kanada. Der folgende E-Mail-Austausch Gotterbarms mit den Rektoren der Schule brachte vollends Klarheit: Der Ring hatte Cyril F. Ridgers gehört, dem 27-jährig gefallenen Navigator von Flugzeug D791, einstmals Absolvent der Westdale Secondary School.

Die Aktion, die Otmar Gotterbarm nun einfädelte, wird vielen unvergesslich bleiben. Eine geplante Europareise der Westdale Secondary School im Sommer 2006 wurde um die Stationen Bad Urach und Seeburg erweitert. Junge Kanadier saßen Seite an Seite mit Schülern des Uracher Graf-Eberhardt-Gymnasiums, als Fritz Groß dem Neffen von Cyril F. Ridgers feierlich den Schulring seines Onkels übergab. Im Gästebuch, das heute in der Ortsverwaltung Seeburg bei Ortsvorsteherin Uthe Scheckel einzusehen ist, gaben Kanadier und Deutsche ihrer Ergriffenheit Ausdruck. Sie hatten sich vergegenwärtigt, dass Freiheit und Frieden nicht selbstverständlich sind, sondern ein seltenes Gut, das immer wieder neu erarbeitet werden muss. Daneben beeindruckt auch der Eintrag von Fritz Groß: „Ich bin dankbar, dass ich bei dieser ergreifenden Feierstunde mit der Ringübergabe auch einen Teil zur Völkerverständigung beitragen konnte.“ Nachträglich korrigierte er: Aus „einen Teil zur Völkerverständigung“ wurde „einen kleinen Teil zur Völkerverständigung“. Nichts adelt Fritz Groß so sehr, wie diese Verbesserung. Menschen, die so ihr Ego zurückstellen, um bescheiden einer Sache zu dienen, sind sehr selten geworden.

Die Geste der Völkerverständigung schlug hohe mediale Wellen, vor allem im fernen Kanada. Der Hamilton Spectator berichtete ausführlichst in Printausgaben und Internet. Ein Kamerateam des großen TV-Senders CBC kam über den Atlantik, berichtete über die Feierstunde und filmte auch, wie Otmar Gotterbarm die kanadischen Schüler über das Unglücksgebiet führte. Durch seine unermüdliche Recherche erfuhren auch die Angehörigen der fünf anderen Toten, wo diese verschollen waren. Bislang hatte die dünne offizielle Auskunft geheißen: „Missed over enemies country“ („vermisst über Feindesland“).

Die Gemeinde Rietheim enthüllte 2010 eine Gedenktafel zur Mahnung und Erinnerung an die menschliche Tragödie, die den Fliegern das Leben kostete und den Ort an den Rand einer Katastrophe gebracht hatte. Sie steht im Gewann „Schwede“ mit Blick über das komplette Unfallgebiet. 2011 folgte die Gedenktafel der Gemeinde Seeburg mit den Namen der sechs verunglückten Soldaten am frequentierten Wan­derweg zum Ermsursprung, direkt unter dem Fundort des Wracks (GPS-Tour: QR-Code unten).

Der Schulring von Cyril F. Ridgers ist heute in einer Vitrine der Westdale Secondary School in Hamilton/Ontario ausgestellt.

Von Marco Heinz

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Seeburg: Dieses Albdörflein ist einen Ausflug wert

Die Seeburger Johanneskirche war erstmals 770 nach Christus erwähnt.

Die 300 Seelengemeinde lag einst tatsächlich an einem Natursee – vor 1800. Man hatte einfach einen Ablauf gegraben. Der sogenannte Schick­hardt-Stollen kann heute noch besichtigt werden. Das Dorf duckt sich malerisch zwischen den steilen Hangflanken von insgesamt vier Talausläufern. Weitläufig wie ein Spinnennetz verankert sich der Ort in allen Himmelsrichtungen. Mehr Infos siehe QR-Code.

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Printausgabe: Sphäre 3/2012, Seite 32

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