Liebe zum Detail

Das St. Johanner Rathaus ist eine Hommage an das echte Handwerk und ein Kniefall an die Schaffenskraft vergangener Generationen.

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Das Rathaus der Gemeinde St. Johann in Würtingen war schon bis zu seiner Sanierung im Jahr 2007 eines der stattlichsten in der Region. Wenn es auch im Inneren mit seinen niederen Decken, den engen Fluren, den von Leitungen und vielerlei durchbrochenen und geflickten Vertäfelungen und Anstrichen aus den verschiedensten Umbauphasen immer etwas düster, beklemmend und abgewohnt wirkte.

Text und Zeichnung: Hans Christoph Lindemann

Jetzt, nach der seit Herbst 2008 abgeschlossenen Sanierung, ist es wohl tatsächlich eines der schönsten und in der Verbindung von Ehrwürde des Alters, modernem Interieur und zeitgemäßer Funktionalität eines der bemerkenswertesten. Dabei ist es beileibe nicht immer ein Rathaus gewesen.

Im Februar 1774 bricht in dem Vorgängerbau, einem Gasthaus mit großer Landwirtschaft, ein Feuer aus, dem insgesamt 14 Gebäude hier und in der Nachbarschaft zum Opfer fallen.

Das kinderlose Ehepaar Kuhder entschließt sich im gleichen Jahr zu einem großen Neubau, wieder als Gasthaus und landwirtschaftliche Hofstelle. Dass das keine ganz reine Freude war, verrät eine in einer Steintafel auf der Straßenseite des Gebäudes verewigte Inschrift mit dem Wortlaut: „Bauen ist ein schöner Lust, hat fil gekost’, habs nicht gewusst“. Der Leid erfahrene Verfasser dieser Inschrift wird wohl nicht der erste und auch nicht der letzte „Baulustige“ dieser Art gewesen sein.

1829, also rund 50 Jahre später wird das Gebäude an die Gemeinde Würtingen verkauft und wird von nun an als Schulhaus mit Lehrerwohnungen genutzt. Erst ab 1911, nach Errichtung eines neuen Schulhauses an anderer Stelle, wird es dann zum Rathaus, danach von Zeit zu Zeit umgebaut, ergänzt, renoviert.

Wer einmal an der Sanierung eines solch großen und baugeschichtlich wichtigen Gebäudes als Bauherr oder sonst Baubeteiligter mitgemacht hat, weiß, was ein solches Unterfangen bedeutet: Zu Anfang sind meistens noch nicht mal vernünftige Bestandspläne da und letztendlich muss das alte Gemäuer vollständig aufgemessen werden. Es folgen Unmengen von Besprechungen mit Denkmalamt, Behörden, Ingenieuren, viele Sitzungen mit den Gremien der Gemeinde.

Die Phase des Bauens ist anfangs mehr eine Phase des Abreißens als der Neuerrichtung. Wo Baggerschaufel, Stemmeisen und Hebgeschirr eindringen, treten fehlende Fundamente, mürbe Mauern, verfaulte Fachwerkhölzer oder Tragwerke zutage, die förmlich „in der Luft hängen“. In diesem Fall kam noch eine fast um einen halben Meter abgesunkene Westpartie dazu, die fast auf ganzer Breite hochgehoben und neu unterfangen werden musste. Dazu eine teilweise verdorbene südliche Langseite, die dann bereichsweise samt Fundamenten, Fachwerk und Ausfachungen erneuert wurde. Außerdem wurde dem ganzen Gebäude im Inneren ein Korsett aus Stahlträgern und -stützen eingezogen. Das Ganze wie immer begleitet von meterweise aktenfüllendem Schriftkram und dem stets gegenwärtigen bangen Gefühl, wie es wohl am Schluss mit den Kosten aussähe.

Nun, es sah trotz allem wohl nicht so schlecht aus und so konnten am 18. Oktober 2008 die Gemeinderäte und die St. Johanner Bürger das auf diese Weise neu entstandene Haus mit Befriedigung in Besitz nehmen, und die Hausherren konnten von ihrem Exil wieder in das Haus einziehen.

Und was ist neu und dazu gekommen? Es gibt jetzt einen großen Sitzungssaal im Dachgeschoss, es gibt einen Fahrstuhl, es gibt ein ganz neues Treppenhaus und es gibt viel mehr Platz für alle, die darin arbeiten, und für die Bürger gibt es zusätzlich im Erdgeschoss nahe dem Eingang ein „Bürgerbüro“ als direkte Anlaufstelle und dort auch eine neue kleine Poststelle.

Das Bau-Team:

  • Architekt: Walter Holder, St. Johann
  • Statik: Karl-Heinz Gekeler, St. Johann
  • geol. Beratung: Dr. Lang, St. Johann
  • Restaurator: Rüdiger Widmann, Tüb.
  • Elektroplanung: Robert Kuhn, Pfullingen
  • Heizung: Walter Kehm, Engstingen

 

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Gelebte Tradition: Bürgermeister Eberhard Wolf residiert in Würtingen in einem der beeindruckendsten Rat­häuser des Biosphärengebietes Schwäbische Alb. Der St. Johanner Architekt Walter Holder vollbrachte hier ein planerisches und gestalterisches Meisterstück.

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Printausgabe: Sphäre 1/2009, Seite 26-27


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