Nationalpark Schwarzwald

 Nationalparkportrait: Schwarzwald – Baden-Württemberg entdeckt seine grüne Seele

Gibt es ein Leben nach dem Tod? Im Nationalpark Schwarzwald ja. Denn hier hat anders als in einem Biosphärengebiet die Natur absoluten Vorrang. Seit 2014 besteht das Schutzgebiet. In den Kernzonen, etwa ein Drittel der 10 000 Hektar großen Flächen, sind die natürlichen Prozesse ab sofort sich selbst überlassen. 4500 Hektar Entwicklungszonen dürfen in den nächsten 30 Jahren ebenfalls zu lenkungsfreier Urnatur werden.

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Leben nach dem Tod

Gibt es ein Leben nach dem Tod? Im Nationalpark Schwarzwald ja. Denn hier hat anders als in einem Biosphärengebiet die Natur absoluten Vorrang. Seit 2014 besteht das Schutzgebiet. In den Kernzonen, etwa ein Drittel der 10 000 Hektar großen Flächen, sind die natürlichen Prozesse ab sofort sich selbst überlassen. 4500 Hektar Entwicklungszonen dürfen in den nächsten 30 Jahren ebenfalls zu lenkungsfreier Urnatur werden.

Die Schwäbische Alb und der Schwarzwald haben vieles gemein. Nicht nur, dass die unwirtliche Höhenlage der beiden Gebirge bis ins zehnte Jahrhundert Siedler abschreckte, sich in den dunklen Wäldern niederzulassen. Nein, der raue Charakter verwandelte später beide Male die Ablehnung in Neugierde, was sich um 1800 herum sogar noch zu literarischen Inspirationen steigerte. „Das kalte Herz“, eines der bekanntesten Märchen rund um seltsame Schwarzwaldgeister hatte kein geringerer verfasst als der Haus- und Hofdichter der Schwäbischen Alb, Wilhelm Hauff, den die Schwaben wegen seines Romans Lichtenstein huldigen.

Fotos & Text Sphäre-Verlag

Doch nicht nur Dichter Hauff knüpfte 1827 zwischen den beiden Mittelgebirgen ein unsichtbares Band, auch Naturschutzorganisatoren und Landespolitiker denken Schwarzwald, wenn sie von der Alb reden und umgekehrt. Seit das Schwabengebirge ein UNESCO-Label besitzt, trachteten die Schwarzwälder ebenfalls nach solch einer Image-steigernden Auszeichnung: So darf sich nun der Schwarzwald seit 2014 sogar Nationalpark nennen ­– genauer 10000 Hektar des Bergrückens nördlich Freudenstadts entlang der berühmten B500, der Schwarzwaldhochstraße.

Doch so wie die Suche nach dem Glück in Hauffs romantisch verklärtem Schwarzwaldmärchen dramatische Wendungen erfuhr, durchschritt auch der politische Reifeprozess des Nationalparks gewaltige Höhen und Tiefen.

Obwohl für das geplante Schutzgebiet kein Privatforst, sondern nur Staatswald aus der Nutzung genommen werden sollte, regte sich Widerstand. Jäger, Holzmacher und Sägewerker fürchteten um Pfründe. Die Angst vor Borkenkäfern ging um. Sorgen, dass Wanderer nur noch Zaungäste sind, brachte renommierte Gastwirte auf den Plan. Schilder wie einst bei Stuttgart 21 signalisierten den Dissens.

Doch schon zwei Jahre nach der offiziellen Ausweisung zum Nationalpark fühlt man sich als Gast auf den angelegten Pfaden keineswegs ausgeschlossen, sondern als Teil des Naturexperiments. Ehrfurcht keimt vor dem Leben nach dem Tod. Themenwege wie der Luchspfad, der Wildnis- oder der Lotharpfad nahe des Nationalparkzentrums Ruhestein befeuern dieses Gefühl. Sie haben sich innerhalb nur zwei Jahren als Besuchermagnet entwickelt, vergleichbar mit dem ehemaligen Truppenübungsplatz Münsingen auf der Alb. Im Schwarzwald allerdings sorgt eine professionelle Informationsstruktur für dauerhaft hohes Interesse, während das Sendungsbewusstsein auf der Alb, was das Kleinod altes Militärgelände betrifft, etwas ermüdet zu sein scheint.

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 Höhenflug– Ellbachseeblick auf 921 Metern.

Ein Leben nach dem Tod des Luchses oder besser gesagt nach seiner Ausrottung vor 200 Jahren erhofft sich der Nationalpark. Den Luchs verstehen, heißt tief verankerte Ängste nehmen. Aktionsstationen, wie „Springen wie ein Luchs“, „Spähen wie ein Luchs“, „Hören wie ein Luchs“ lassen dieses für Menschen ungefährliche Raubtier auferstehen. Luchse wiegen fast zehnmal mehr als Hauskatzen, sie bringen rund 38 Kilogramm auf die Waage. Mit 75 Zentimeter Schulterhöhe überragen sie Schnurri und Co. um das Doppelte.

Wie Hauff knüpft auch diese Wildkatze ein virtuelles Band zwischen Baden-Württembergs eindrucksvollen Gebirgen. Seit 2015 nämlich streift Luchs Friedl durchs Land: Im April zuerst im Mittleren Schwarzwald, also ganz in der Nähe des Luchspfades. Dort blieb er bis Mitte August, bevor er sich wieder auf Wanderschaft begab quer durch das Unterland bis an den Trauf der Schwäbischen Alb. Das besenderte Tier streifte an der Hangkante des Gebirges entlang bis vor die Tore Ulms, um dann das Donautal zu erkunden.

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 Froststarre – Schnee im Nationalpark ist garantiert.

Erkunden sollen auch die Besucher des Nationalparks. Das Leben nach dem Tod eines Baumes, eines Waldes soll der Wildnis- und Lotharpfad veranschaulichen. Nur wenige 100 Meter vom virtuellen Luchsrevier entfernt liegt der Wildnispfad ebenfalls an der Schwarzwaldhochstraße gelegen, die mit ihren rund 60 Kilometern Länge zu den bekanntesten Touristenstraßen zählt. Sie wurde 1930 gebaut, um Höhenzüge von 600 bis 1000 Metern zu überwinden.

Nach dem Sturm „Lothar“ 1999 wurde entlang des Wildnispfads nicht aufgeräumt: Die Tour schlängelt sich 4,5 Kilometer über umgeworfene Bäume hinweg – und darunter hindurch. Hier können Wanderer schon heute die Kraft der Urwälder von morgen spüren.

Innerhalb der nächsten 30 Jahre soll hier am Info-Portal Plättig ein Großteil des Schutzgebiets sich selbst überlassen bleiben. „Eine Spur wilder“, wie der Nationalpark-Slogan verspricht. Auf dem Wildnispfad hat der Forst bereits seit dem Jahr 2000 die Waldbewirtschaftung eingestellt.

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 Hausbesetzer – Schutzhütten laden zur Rast ein.

Für die einen bedeuten rund 7500 Hektar Kernzone ein Minimalrespekt vor der Restnatur. Andere fühlen sich von dem Leben-nach-dem-Tod-Experi­ment bedroht. Zitat: „Grob fahrlässig gegenüber unseren Kindern.“ Nationalparkgegner beklagen volkswirtschaftliche Verluste, genährt vom Selbstverständnis, ihnen gehöre alles Wasser, alle Luft und alles Land. Den Holzvorrat in Kernzonen beziffern sie auf 200 Millionen Euro. Doch die auf Profit durch Ausbeutung verengte Sicht hinterlässt unüberwindbar tiefe Gräben.

Bei allen Parallelen zum Schwarzwald – die Entwicklung der Biosphäre auf der Alb verlief harmonischer. Zwar durchschritt auch sie Höhen und Tiefen, allerdings nicht im kantigen Profil der Schwarzwaldtäler, vielmehr auf dem Niveau sanft wogender Hügel unserer Kuppenalb.

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Übersichtskarte

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Wandern, wo einst der Luchs zu Hause war

Höhenflug– Ellbachseeblick auf 921 Metern.

Höhenflug– Ellbachseeblick auf 921 Metern.

Nationalpark Schwarzwald: Seit dem 1. Januar 2014 besteht der Nationalpark Schwarzwald – als erster und bisher einziger Nationalpark Baden-Württembergs. Vorausgegangen war ein rund zweijähriger Diskussionsprozess, in dem auch die Region umfassend beteiligt wurde.

Ein Nationalpark ist natürlich ein langfristiges Projekt – die Natur kennt keine Eile. In den ehemaligen Bannwäldern, zum Beispiel dem am Wilden See, wo sich die Natur schon seit 100 Jahren frei entwickelt, lässt sich bereits heute gut erleben, wie es aussehen kann, wenn der Wald wieder wilder wird.

Der Nationalpark ist seit 2015 eingeteilt in drei verschiedene Zonen, die unterschiedlich stark geschützt sind. In den Kernzonen, etwa ein Drittel der 10000 Hektar großen Flächen, sind die natürlichen Prozesse ab sofort sich selbst überlassen. In den Entwicklungszonen, die in den kommenden 30 Jahren nach und nach ebenfalls zu Kernzonen werden, darf der Mensch noch an einigen Stellen lenkend eingreifen, zum Beispiel beim Artenschutz.

Bis zu 25 Prozent der Fläche wird dauerhaft zur sogenannten Managementzone gehören. Hierzu gehören unter anderem der Puffergürtel fürs Borkenkäfermanagement. Besonderheit: Das Schutzgebiet besteht aus zwei etwa 3,5 Kilometer voneinander getrennten Einzelbereichen um Ruhestein (7615 Hektar) und Hoher Ochsenkopf/Plättig (2447 Hektar). Die Idee eines Nationalparks im Nordschwarzwald war bereits Anfang der 1990er-Jahre vom NABU-Institut in Bühl diskutiert worden.

Nationalpark Schwarzwald: 10062 Hektar / Höhe: 500 bis 1150 m (Dreifürstenstein). Vergleich: Biosphärengebiet Schwäbische Alb 85300 Hektar, Ehemaliger Truppenübungsplatz Münsingen 3700 Hektar.

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 Braun aber klar – Folge des moorigen Untergrunds. 

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Printausgabe: Sphäre 2/2016, Seite 24-27

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