Nationalpark: Val Grande, Verbania

Nationalparkporträt: Val Grande oberhalb Verbania am Lago Maggiore feiert Italiens Herbst in goldenen Farben

Das Gebirge des Nationalparks Val Grande thront in seiner zeitlosen Schönheit hoch über der lieblichen Küstenlinie des Lago Maggiore. Dass dieses Schutzgebiet gerade im Herbst, Anfang November mit einem Feuerwerk an Farben betört, wissen nur die Italiener selbst. Denn der typische Wander- und Lago-Tourist derweil rüstet sich nach sommerhitziger Reisetätigkeit vornehmlich wie die violette Herbstzeitlose für den nächsten Winter.

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Von den Höhen des Nationalparks Val Grande herab scheinen die milden Täler Richtung Verbania am Lago Maggiore zum Greifen nahe.

Herbst-Zeitlos

Das Gebirge des Nationalparks Val Grande thront in seiner zeitlosen Schönheit hoch über der lieblichen Küstenlinie des Lago Maggiore. Dass dieses Schutzgebiet gerade im Herbst, Anfang November mit einem Feuerwerk an Farben betört, wissen nur die Italiener selbst. Denn der typische Wander- und Lago-Tourist derweil rüstet sich nach sommerhitziger Reisetätigkeit vornehmlich wie die violette Herbstzeitlose für den nächsten Winter.

Monte Bavarione – der östliche Zugang des Nationalparks wird im Herbst vom Lago erwärmt.

Man muss es erlebt haben. Die Sonne steigt flach dem Mittag entgegen. Nur langsam verwandelt das kalte Licht den Nebel über dem Lago und seinen Tälern in feuchtfrisches Himmelsblau. Endlich – der Herbst vergoldet den von Sommertouristen gefluteten Lago Maggiore nun mit Stille und Langsamkeit. In der hartnäckigen Kühle des Dauerschattens hingegen tropft unablässig Tau von den handgroßen Blättern der Esskastanie.

„Castagnate“, als Marone bekannt, übersäen den Waldboden der riesigen Kastanienwälder. Sie ziehen sich als flauschig-bunter Teppich vom Hafenstädtchen Verbania hinauf bis zur Baumgrenze der kahlen Gipfel des Parco Nazionale della Val Grande. Unser Foto oben zeigt den 1505 Meter hohen Monte Bavarione, quasi der östliche Zugang in Italiens geschützte Bergnatur.

Diese köstliche, unter spitzen Stacheln versteckte, rehbraune Frucht zählte einst zu den Hauptnahrungsmitteln der Einheimischen, das „Brot der Armen“. Heute spielt sie die kulinarische Hauptrolle in der Region. Kastanien rösten und bei einem Glas Wein genießen, gehört zu den Herbsttraditionen des Piemont: Kastanien-Gnocchi, Kastanien-Eintopf, Ente oder Gans mit Kastanienfüllung und Granatapfelsauce. Vor allem im bergigen Hinterland feiern Einheimische kulinarische Volksfeste, bei denen weitere Saisonprodukte wie Kürbisse, Kartoffeln oder Pilze im Mittelpunkt stehen. Für kleines Geld kann man sich diese Köstlichkeiten an langen Tischen unter freiem Himmel auf der Zunge zergehen lassen.

Prunkvolle Architektur – Italiener sind Ästheten.

Während der vom Sommer aufgeheizte Lago seine Küste Anfang November noch mit bis zu 20 Grad Celsius umschmeichelt, fällt auf dem Monte Togano bereits der erste Schnee. Die Kälte vom mit 2301 Metern höchsten Gipfel des Nationalparks kriecht nachts in die Täler. Wer um diese Zeit eines der letzten Wander­abenteuer des überzivilisierten Mitteleuropas plant, muss sich Ende Oktober mit allen Wettern befassen: Sonne, Regen, Schnee. Der Rucksack gehört mit Sachverstand gepackt. Deshalb sei hier die 35 Kilometer lange Querung durch diese faszinierende Wildheit Italiens als Zweitagestour nur im Sommer angeraten, es sei denn man gehört zur Spezies Reinhold Messner.

Das beeindruckende Wander­abenteuer beginnt im malerischen Gebirgsstädtchen Malesco. Von Verbania aus ist der Startort mit der bei Touristen beliebten Centovalli-Bahn zu erreichen – eine historische Schmalspurtrasse rund um den Parco Nazionale.

Die Turmuhr über der Piazza schlägt zwölf, Zeit für eine schnelle Pizza. Es ist viel los hier im Sommer – Selfie-Touristen drängeln aus zu vielen Reisebussen, um sich mit von der Hitze erschlafften Mienen durch die verwinkelten Altstadtgassen zu zwängen. Nichts wie weg – Italiens letzte Wildnis wartet. Der Weg: Zuerst nach Fondi Li Gabbi (alternativ per Auto), dann schmale Pfade, teils zugewachsen. Die Nacht: auf einer der gepflegten, aber unbewirtschafteten Hütten. Die Ausstattung: ein Holzofen, Pritschen, solide Bänke und Tische. Schlafsack und Isomatte braucht es schon. Das Ziel: 15 Wanderstunden später soll die 2000-Seelen-Gemeinde Premosello-Chiovenda erreicht sein. Das lässt sich in zwei Tagen bewältigen. Von dort dauert die Zugfahrt per Schiene ins 15 Kilometer entfernte Lago-Städtchen Verbania vergleichsweise schlappe 20 Minuten. Wie ein Open- Air-Museum präsentiert die Tour die vergangene Alpinzivilisation. Auch zeigt sie die schiere Schaffenskraft einer von Menschen befreiten Natur. Zwischen Monte Rosa und dem Lago Maggiore haben die Bewohner viele Almhütten verlassen. Teilweise blinzelt nur noch der Giebel durchs Dornröschen-Gestrüpp. Dächer stürzen ein, Weideflächen verbuschen. Der Wald holt sich alle Gebiete zurück, die er vormals an Ziegenhirten und Waldbauern abtreten musste, bis wieder einmal mehr ein Krieg diese Bergmenschen vertrieb.

Verbanias sinnliche Einsamkeit: Ab November gehört das Bilderbuchstädtchen am Lago Maggiore wieder den Einheimischen. Die typischen Sommertouristen machen sich rar.


 

Übersichtskarte

 


 

Verbania: Nationalpark begrenzt den Horizont

Das am anderen Seeufer gelegene Städtchen Verbania liegt zu Füßen des Parco Nazionale (Foto oben). Golden schiebt sich die Spätherbstsonne zwischen die ockerfarbenen Fassaden (Foto oben). Eine traumhafte Stimmung und Ruhe macht sich ab November am Lago Maggiore breit, dessen 30000 Einwohner sich entlang der Küste und über zahlreiche Bergdörfer verteilen (Foto unten). Sehenswert: Der botanische Garten der Villa Taranto. Er liegt mitten in Verbania fast am Ufer des Lago Maggiore ebenso wie der kleine öffentliche Park der Villa Giulia nahe der Altstadt direkt am Ufer (Foto unten).
Botanische Gärten – Villa Taranto und Giulia.

 

Nationalpark Val Grande: Ein Totalreservat

Das Val Grande ist von mächtigen Felsbergen umgeben. 1967 erklärte Italien das Gebiet ums Felsmassiv Pedum (2111 m) zum Totalreservat. In den Achtzigern beförderten dann die lokalen Behörden die Nationalparkidee. Er wurde 1992 gegründet. Hoch hinter den idyllischen Bergdörfen oberhalb Verbanias beginnt das Schutzgebiet (Foto oben).
Reste von Schützengräben und Militärstraßen befinden sich entlang der Pfade, die zum Parco Nazionale della Val Grande führen. 1944 wüteten Kämpfe in diesem armseligen Gebirge. Die sogenannte Cadorna-Linie hatten die Italiener schon 1916 gebaut, aus Furcht vor einer deutsch-österreichischen Invasion über die neutrale Schweiz. Die Bauern sind nun weg – zurück kommen Pflanzen und Tiere: Gämsen, Hirsche und Rehe – Füchse, Dachse und Marder stehen naturgemäß wieder an der Spitze der natürlichen Nahrungskette. Das Geschrei des Goldadlers erhellt wieder die reine Nationalparkluft, Forellen springen unbehelligt von Anglerslust in den glasklaren Bächen dieses Parks.

Nationalpark Val Grande: 150 km2 (Vergleich: Biosphärengebiet Schwäbische Alb: 853 km2) / Höchster Gipfel: 2301 m (Mt. Togano).

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Printausgabe: Sphäre 3/2022, Seite 24-27

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