Zeitalter des Mammutelfenbeins

Größtes altsteinzeitliches Werkzeug in Alb-Höhle gefunden

24,7 Zentimeter lang, Umfang 10,4 Zentimetern, 168 Gramm schwer – dies sind die Maße des bislang größten formbearbeiteten Elfenbeingeräts, geborgen aus der Albhöhle Hohle Fels, nahe Schelklingen. Forscher sprechen nun vom „Zeitalter des Mammutelfenbeins“. Das Team um Professor Nicholas Conard von der Universität Tübingen präsentierte diesen Meißel als „Fund des Jahres“ im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren. Der Fund ist auf 39000 Jahren vor heute datiert.

Foto: Vier Ansichten des Elfenbein-Meißels / A. Blanco-Lapaz, SHEP Tübingen

Große Epochen der Menschheitsgeschichte tragen ihre Namen aufgrund in dieser Zeit vorherrschender Materialien: Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit. Jetzt sprechen Tübinger Archäologinnen und Archäologen vom „Zeitalter des Mammutelfenbeins“ und meinen damit jene Zeit, als vor 40.000 Jahren die ersten anatomisch modernen Menschen auf der Schwäbischen Alb ankamen. Anlass sind große Gerätschaften, die im UNESCO-Welterbegebiet „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb“ geborgen wurden. Mit einer Länge von 24,7 Zentimetern, einem Maximalumfang von 10,4 Zentimetern und einem Gewicht von 168 Gramm haben sie nun das bislang größte rundum formbearbeitete Elfenbeingerät aus dem Hohle Fels, nahe Schelklingen, geborgen. Das Team um Professor Nicholas Conard vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (SHEP) an der Universität Tübingen deutet das Objekt als ein großes Werkzeug unbekannter Funktion, das in einen Meißel umgearbeitet worden war. „Der Fund ist datiert auf 39.000 Jahren vor heute und entspricht einem bedeutenden Beleg für die ungewöhnlich häufige und vielfältige Nutzung von Mammutelfenbein bei den ersten modernen Menschen im Oberen Donauraum“, sagte Professor Conard bei der Präsentation des Stücks als „Fund des Jahres“ am Donnerstag im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren (urmu).

„Die Frauenfigurine vom Hohle Fels, die Mammutelfenbeinflöte aus dem Geißenklösterle, die kleine Mammutfigur aus dem Vogelherd – sie sind berühmt, weil sie zu den ältesten Kunstwerken und Musikinstrumenten zählen. Am Anfang der Jüngeren Altsteinzeit war Mammutelfenbein das bevorzugte Material für praktische Werkzeuge und Kunst“, sagt Conard.

Schon bei Grabungen im Jahr 2019 waren drei Elfenbeinmeißel mit einer Länge zwischen 14 und 22 Zentimetern aus dem Hohle Fels geborgen worden. Der Frage, wie und wozu die Meißel gefertigt und genutzt wurden, ist Dr. Sibylle Wolf, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am SHEP, gemeinsam mit einem Archäologieteam experimentell und analytisch nachgegangen: Vor dem Schnitzen von Kunst- oder Schmuckobjekten mussten die Menschen kleinere Elfenbeinstücke aus dem Stoßzahn eines Mammuts gewinnen und häufig auch spalten – das ist mit keilförmigen Elfenbeinwerkzeugen sehr gut möglich. „Dieser Werkstoff ist hart und flexibel genug“, erklärt Wolf. Solche Elfenbeinmeißel nutzten sich jedoch im handwerklichen Gebrauch rasch ab. Die Werkzeuge waren wahrscheinlich nicht über lange Zeiträume in Gebrauch, sie wurden aber aufwendig gefertigt oder nach Bedarf umgearbeitet, erläutert Wolf weiter, „das zeichnet die Menschen auf der Schwäbischen Alb zu dieser Zeit aus: Sie verfügten hier über eine immense Menge an Elfenbein, sie hatten eine klare Vorstellung davon, was sie daraus herstellen wollten, sie hatten die manuellen Fähigkeiten dazu − und sie haben das geradezu exzessiv genutzt für Werkzeuge und Waffen, für figurative Kunst und Musikinstrumente sowie für persönliche Schmuckstücke.“

Zu sehen ist das Elfenbeinobjekt von nun an als Fund des Jahres in einer Kabinettausstellung bis 9. November 2025 im Blaubeurer urmu.

„Der Fund fügt sich perfekt in unsere Präsentation des Anbeginns menschlichen Kulturschaffens ein“, meint Dr. Stefanie Kölbl, geschäftsführende Direktorin im urmu, „wir staunen hier etwa darüber, dass die Menschen damals gut hundert Stunden in die Fertigung einer Mammutelfenbeinflöte investiert haben müssen. Der diesjährige Fund des Jahres macht diese geistige und handwerkliche Leistung aber noch beeindruckender: Denn er führt uns vor Augen, dass vorab für die Herstellung oder Aufbereitung der dafür notwendigen Werkzeuge sicher mindestens ebenfalls so viel Arbeit aufgewendet werden musste.“

Sphäre-Wissen

Das urmu liegt inmitten der Steinzeithöhlen, die von der UNESCO 2017 zum Welterbe „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb“ ernannt wurden. Das Museum für altsteinzeitliche Kunst und Musik in Baden-Württemberg und Forschungsmuseum der Universität Tübingen erklärt das eiszeitliche Leben der Jäger und Sammler am Rand der Schwäbischen Alb vor 40.000 Jahren. Höhepunkte sind die älteste Kunst und die ältesten Musikinstrumente der Menschheit mit
Originalfunden aus der Region. Prominenteste Exponate sind die Originale der „Venus vom Hohle Fels“ und des „Mammuts vom Vogelherd“.


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