Tradition & Handwerk: Scholderbeck – eine 100-prozentige Biobäckerei
Lebensgeist braucht Lebenskraft. Die nötige Vitalität aber steckt nicht in belasteten Äckern, sondern in reiner Natur. Davon ist Scholderbeck-Chef Bernd Sigel überzeugt.
Überzeugungen muss man leben. Bäckermeister Bernd Sigel und seine Frau Eve leben ihre Gesinnung besonders intensiv. „100 % Bio, 100 % regional, 100 % Vollkorn“, zu 100 Prozent will das Power-Duo seine hohen Ziele umsetzen. Der Scholderbeck will, dass die Weilheimer gesünder frühstücken, gehaltvoller vespern, damit sie vitaler durch ihre immer noch schöne Albheimat wandern am Fuße der Limburg unter dem mächtigen Vulkankrater Randecker Maar.
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„Nachfrage gestaltet unsere Landschaft“, sinniert Bernd Sigel. Aber auch mutige Entscheidungen gestalten die Nachfrage. Hätte der Scholderbeck nicht vor 20 Jahren sein erstes Biovollkornbrot gebacken, kämen Kunden nie auf den Geschmack von wirklich ehrlichen Backwaren. Hätte Sigel 1993 nicht allen Unkereien einiger Kollegen zum Trotz den „grünen Spinnereien“, wie seine Kritiker frotzelten, Lebensgeister eingehaucht, würde heute kein Getreide auf 900 Fußballfelder großen Äckern um Weilheim herum vollbiologisch gedeihen. Genauso viel Alblandschaft prägen die Sigels. Sie veredeln jährlich rund 700 Tonnen Biogetreide zu leckeren Spezialitäten. Einen Teil der Ernte verarbeitet der Scholderbeck in seiner eigenen Mühle für hochwertige Vollkornprodukte (Foto). Denn frisch gemahlen besitze das Korn noch seinen Lebensgeist, ist Sigel überzeugt.
Der Biopionier fuhr anfangs zweigleisig, als er die konventionelle Backstube mit nur einer Verkaufsstelle von seinem Vater übernahm. Doch die Bioschiene, die seine Innungskollegen belächelten, war in Wirklichkeit eine Überholspur. Schnell war die tiefe Überzeugung der Familie Sigel überall auf dem Frühstückstisch. Erst in Ohmden. „Ich war echt überrascht vom Ansturm auf unser Biovollkornbrot, als wir im zweiten Schritt mal in Kirchheim verköstigten“, erinnert sich der 47-jährige Lebens- und Backkünstler. Doch wo es eine Überholspur gibt, planen Straßenbauer stets eine Standspur. Je mehr der Scholderbeck mit Biokraft in Fahrt kam, desto häufiger blieben die Konventionellen auf der Standspur liegen. Die Nörgler unter den Bäckerkollegen waren verstummt. Den einen oder anderen Betrieb übernahm er sogar ans Abschleppseil. Sein Biozug wuchs auf sieben eigene Läden an. Im Windschatten seiner Überzeugung reihen sich heute weitere 60 Wiederverkäufer zwischen Stuttgart, Tübingen, Geislingen und Ulm ein sowie eine Belegschaft, die von einst 6 auf 110 Mitarbeiter wuchs.
2005 dann verließen die Sigels die Autobahn. Statt auf zweispurige, flexible Fahrstreifen mit konventionellen und Bio-Backwaren zu setzen, stellten sie das Unternehmen auf ein einzelnes Gleis – eine Art Intercity-Trasse mit Zielbahnhof: eine bessere Welt. „Der Erfolg ist dabei ein Nebenprodukt“, philosophiert der Bäckermeister. „Meine drei Schnitzel für mich und die Familie hätte ich auch ohne Bio verdient.“ Seine Frau Eve schiebt nach: „Wir müssen Spuren in der Gesellschaft hinterlassen und nicht auf dem Konto unserer Bank.“
Spuren hatte Bernd Sigel schon immer hinterlassen. 36 Atomraketen, Mutlangen, vor 20 Jahren: Er war dabei, als Tausende mit Sitzblockaden Weltpolitik machten und Frieden schafften. In seinen Sturm- und Drang-Tagen leitete er als Vorstand das örtliche Jugendhaus und engagierte sich im geschäftsführenden Ausschuss des Kreisjugendrings. Skilehrer, Sommerlager, Fußball-Nachwuchs – das Ehrenamt sei die beste Schule, grinst Sigel.
Doch nicht nur sozialer und ökologischer Eifer bereichern sein Lebenskonto, ein wenig auch macht ihn seine Denkart zum Landschaftsarchitekten der schönen Schwäbischen Alb. „Wir wollen keine Golfplätze oder Maismonokulturen sehen, wenn wir mit dem Rad Sonntagsausflüge starten, sondern viele Getreidearten und kleinteilige Felder gerahmt von lieblichen Streuobstwiesen“, schwärmt Sigel. Die Artenvielfalt ließe sich noch steigern, weshalb er sich bereits seit zehn Jahren um die Rekultivierung des ältesten Getreides bemüht – den Emmer. Schon die Kelten wussten: bei dieser Sorte haben Pilze wenig Chancen. „Allergiker schätzen die Verträglichkeit dieses Urkorns“, ergänzt Eve Sigel.
Gern gibt sie ihr Wissen weiter, wie auf den über 50 Führungen jährlich durch Scholderbecks Gläserene Produktion. Schulklassen und Vereine erfahren dann auch vom Trugschluss eines nur auf billig getrimmten Markts. Denn es gibt höhere Geschäftsziele wie beispielsweise Sigels Motto: „100 % regional“. Deshalb zahlt der Weilheimer Bäcker seinen Landwirtspartnern für einen Doppelzentner Biodinkel 100 Euro, obwohl Billigweizen für schlappe18 Euro rechnerisch mehr Rendite bringt. „Wenn ich günstigen Öko-Weizen aus Tschechien importieren würde, exportierte ich auch unseren ökologischen Nutzen. Doch radle ich hier und nicht in Tschechien“, entlarvt Sigel die verzwickte Logik und gibt so dem Bäckerhandwerk einen tieferen Sinn.
- Mehr Information: Artikel „Echtes Back-Handwerk“
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Printausgabe: Sphäre 3/2013, Seite 06-07