Ortsportrait Ulm

Nachtschwärmer

Ulm kennt Superlative. Der welthöchste Kirchturm kratzt am Himmel, die Löhne sind rekordverdächtig hoch – und nachts? Da bietet die Donaustadt viel Farbe.

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Nachts sind alle Katzen grau“, sagt der Volksmund und spricht mancher Spaßbremser-Kommune aus der Seele. Grund: Selbst die hochgeklapptesten Bürgersteige kaschiert dieses Sprichwort geschickt. Dabei zeigt gerade die Nacht, ob eine Stadt auch abends Farbe bekennt: Lebensfreude nach einem Arbeitstag oder doch nur Après-Job im düsteren Grau? Dort wohnen, wo andere sich im Kurzurlaub hinsehnen, dürfen die Bewohner Ulms als beneidenswertes Privileg empfinden.
Potentielle Nachtschwärmer zumindest können sich im Donau­städtchen in einem der 4000 Gästebetten bestens erholen, nach einem von Superlativen angereicherten Tag oder einer Tour am Abend. Sie haben die Wahl. Fischerviertel sonnendurchflutet erleben oder im dezenten Lampenschein? Die Dämmerung bietet für beide Geschmacksrichtungen einen guten Kompromiss.
Tagsüber wird das fast 700 Jahre alte „Schiefe Haus“ hundertfach fotografiert. Es wird posiert, man grinst für Selfies immerfort. Internationales Stimmengewirr – immer öfter Chinesisch oder Russisch.
Abends dann, wenn die Feuchte des Tages in die dunklen Gassen herabsinkt, hört man aber fast die Stecknadel fallen oder zumindest den leisen Hall der eigenen Schritte. Ulms Puls beruhigt sich auf angenehme Weise. Wie verzaubert hängt plötzlich das wundersam schräg gestellte Fachwerk nicht mehr über dem kanalisierten Flüsschen namens Blau, sondern der Giebel verschwindet im schwarzen Nichts (Foto unten). So hing die Fachwerkfassade schon 1853 beängstigend weit kopfüber, als damals nur 120 Rübenöl-Laternen die Kopfsteinpflaster Ulms spärlich erhellten. Solch ein historisches Stimmungsbild gibt ein Nachtspaziergang heute nur im Ansatz wieder – aber immerhin schenkt eine Tour am Abend ein nicht ganz alltägliches Bild.

Schiefes Haus: Laut Guiness-Buch der Rekorde ist es das schiefste Hotel der Welt.

Ein kontrastreiches Porträt beispielsweise bietet der Müns­terplatz, quasi ein Ort des grellen Dunkels. Scheinwerfer entreißen Ulms Rekordgebäude der Nacht. Der mit 161,53 Metern höchste Kirchturm der Welt fängt nur einen Bruchteil der Kunstlichtstrahlen ein, der Rest verschwindet im Nichts.
Ebenso wie der Wellenschlag der Donau im Winter nach 18 Uhr im Schatten der Ufer verklingt. Superlativ Platz zwei: Der Europafluss erstreckt sich 2850 Kilometer entlang der Alb bis ins Schwarze Meer. Nur die Wolga ist mit 3530 Kilometern länger.

Die Stadt hält auch auf anderen Gebieten Rekorde. Ranglisten-Champ Nummer drei: „In Ulm, um Ulm und um Ulm herum.“ Dieses knifflige Wortspiel steht im Ranking der Zungenbrecher unter den Top Ten.
Platz 61 unter 700 Groß- und Mittelstädten Deutschlands nimmt Ulm mit seinen 126329 Einwohnern ein. Rang acht ergatterte sich die Donaustadt beim Vergleichstest 2017 der „Wirtschaftswoche“, weil: Ulm profitiere von seiner exzellenten Lage in einer starken Mittelstandsregion an der Grenze Baden-Württembergs zu Bayern, so das Magazin. Dank dem viertbesten Gehaltsindex aller deutschen Städte verdienen Ulmer erneut rekordverdächtig viel, nämlich rund 11 Prozent mehr als der Bundesbürger im Schnitt (Quelle: Statista 2019).

Liegt es an Ulms Nachtschwärmerei, dass in Albert Einsteins Geburtsstadt das Tagesgeschäft so brummt oder sind in der Ulmer Nacht einfach nur nicht alle Katzen grau?


Astronomische Uhr: Ein Wunderwerk der Technik tickt am Giebel des Ulmer Rathauses. Mit fünf beweglichen Elementen gilt sie als die komplexeste in Süddeutschland. Stunden, Minuten, Kalenderring, Sonnenzeiger, Tierkreisring, Mondphasenzeiger – als eine um die Achse drehbare Kugel.
Gastronomie-Meile: Rund um das Ulmer Münster reihen sich gemütliche Cafés, Bars und zünftige Wirtshäuser. So international wie das Publikum in Ulm verkehrt, lesen sich auch die Speisekarten: Von Japanisch über Indisch, Mexikanisch, Italienisch ist alles dabei.
Ulmer Stadthaus: Die begehbare Skulptur, geplant vom New Yorker Architekten Richard Meier, kontrastiert das 161,53 Meter hohe Kirchenmonument.

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Printausgabe: Sphäre 3/2019, Seite 22-23


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