Nie mehr Krieg (Sonderdruck)

Rückblick: Sonderveröffentlichung 2014: anlässlich 100 Jahre Erster Weltkrieg

Die Zockermentalität der Staatsoberhäupter und vor allem deren Kleingeist riss den Globus vor exakt 100 Jahren in ein Massensterben. Der erste Weltkrieg entbrannte im Sommer 1914, ein heißer Sommer, man ging baden, Kinder genossen die Ferien – auch auf der Alb.


Die Alb ein Ort, wo Säbel rasselten

Um des Himmels willen, warum besitzen Menschen nicht einen Funken mehr Verstand – vor allem jene, die Kraft ihrer Ämter mit dem Wohl von Bürgen, Dörfern, Städten, Nationen, des gesamten Planeten spielen. Die Zockermentalität der Staatsoberhäupter und vor allem deren Kleingeist riss den Globus vor exakt 100 Jahren in ein Massensterben. Der erste Weltkrieg entbrannte im Sommer 1914, ein heißer Sommer, man ging baden, Kinder genossen die Ferien – auch auf der Alb.

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Auch Kaiser Wilhlem II brach mit seiner Jacht Hohenzollern zur alljährlichen Nordlandurlaubsfahrt auf, obwohl die hohen Herren in Europa mit den Säbel rasselten. Die Er­mor­dung des ös­ter­rei­chi­schen Thron­fol­gers Franz Fer­di­nand in Sa­ra­je­vo be­en­de­te jäh die Sommerfreuden des Mo­narchen. Er und die gesamte Welt­politik verspielten in nur vier Jahren das Leben von 17 Millionen Menschen. Es folgte 1939 der 2. Weltkrieg mit unvorstellbaren 55,5 Millionen Opfern.

Pazifismus machte sich in Deutschland breit: „Frieden schaffen, ohne Waffen.“ Doch je weiter das Blut der Eltern in der Erinnerung verblasst, umso mutiger schlagen Politiker wieder militante Töne an. Aber wie schon in der Monarchie: Den Kopf halten sie nie für ihre Entscheidungen hin, für die Folgen von Lieferungen an Waffen, für das Leid, das ein Einsatzbefehl bringt. Nein – bluten müssen immer die Bürger, Dörfer, Nationen, der einfache Mensch.

Gegen das Vergessen anschreiben will die Redaktion mit diesem Spezial. Es soll erinnern, wie sich Krieg anfühlt, wie Häuser der Owener zerschossen wurden, Lenningen aber dank des mutigen Papierfabrikanten Karl-Erhard Scheufelen verschont blieb.
So hört sich Krieg an: Sphäre hat einen Podcast des WDR aufgestöbert: Ist es eine Verherrlichung des Krieges? Oder am Ende in seiner Wirkung ein Antikriegsbuch? Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ ist inzwischen vor allem eines: ein Mythos. Dieser akustische Beitrag sei allen Politikern ans Herz gelegt, die ihr Ego am Hindukusch verteidigen (siehe Linksammlung hier >>).

Dann gibt es noch die vielen Albbewohner rund um die alten Truppenübungsplätze, die über 100 Jahre Kriegstraining hautnah erlebten. An das ritualisierte Donnergrollen und Explosionsgewitter auch nachts gewöhnte man sich, nicht aber an brandgeschossene Schulen und Rathäuser. Engstingen gar befand sich ein Jahrzehnt im Brennpunkt: Das Albstädtchen war in den 1980er-Jahren Ziel friedensbewegter Demonstranten. Und auch die Sowjets hatte die Alb im Visier. Denn: Die Amerikaner deponierten hier Atomwaffen.


 

Geschichte: Der 2. Weltkrieg wütete auch auf der Schwäbischen Alb

Kriegsende 1945

Papierfabrikant Karl-Erhard Scheufelen bewahrte das Lenninger Tal vor einer Katastrophe. Hochgiftige Chlorgastanks drohten zu explodieren. (Foto: ehem. Truppenübungsplatz Münsingen; TRAD.Gem.TrÜbPl.)

Kein stilles Tal mehr war das Oberlenninger Tal in den Apriltagen des Jahres 1945. Von Karlsruhe und vom Schwarzwald her zog kämpfend eine französische Armee heran, aus der Richtung Crailsheim und Heilbronn waren amerikanische Panzerverbände gemeldet. Am Albrand zwischen Geislingen und Reutlingen hofften die deutschen Truppen eine Auffangstellung errichten zu können, einen letzten Sperrwall zum Schutz Oberschwabens und des südlichen Bayerns. Tag und Nacht dröhnten die Motoren der amerikanischen Jagdbomber und Tiefflieger über den stillen Tälern, auf deren Straßen schließlich die Tragödie einer Massenpanik sich abspielte. In allen Dörfern lagen Kampfeinheiten, deren Kommandanten, zumeist blutjunge Offiziere, Befehl hatten jedes Haus zu verteidigen und durch Panzersperren und Sprengungen die Straßen und Steigen nach den Höhen unpassierbar zu machen. Das war zwar Wahnsinn angesichts der militärischen Gesamtlage, aber mit Methode.
Oberlenningen war besonders gefährdet. Hier war der Kopfbahnhof der Kirchheimer Bahn. Hierher waren in der Nacht zum 20. April, jenem Freitag, an dem Kirchheim von den Amerikanern besetzt wurde, die Züge mit dem Bahnpersonal und vielen anderen Beamten geflüchtet, die dann im Fußmarsch weitergehen durften; die Züge ließen sie einfach stehen. Dutzende von Lokomotiven, Schnellzugwagen, Verpflegungswagen, vollbeladenen Güterwagen blockierten die Geleise. Dieser Sammelhaufen rollenden Materials, begehrtes Ziel für Bomber, stand in unmittelbarer Nähe der Papierfabrik. Der ganze Fabrikkomplex mit seinen massiven Gebäuden konnte einen fanatischen Kampfkommandanten als Festung, als Igelstellung schon reizen. Die Amerikaner waren, wie sie hinterher versicherten, darauf auch gefasst und hätten durch einen Bombenteppich Fabrik und Dorf rasch aus der Welt geschafft. Am nächsten Tag wurde das nur vier Kilometer entfernte Städtchen Owen im Kampf genommen und infolge des sinnlosen Wi­derstands teilweise zerstört. Von Nabern, Bissingen, vom Hohen Bol, aber auch schon von Schopf­loch aus, wohin die Amerikaner durchgebrochen waren, kam Artilleriebeschuss, auch gegen Ober­lenningen. Es konnte nur noch Stunden dauern, bis der Kampf um Fabrik und Dorf, dessen Ausgang kein vernünftiger Mensch bezweifeln konnte, begann, bis die Exekution – denn das wäre es gewesen – vollzogen wurde.

In jener Samstagnacht zum 22. April, da das Schicksal mit harten, krachenden Schlägen an das Dorf im stillen Tal pochte, machte Karl-Erhard Scheufelen kurz nach Mitternacht einen Gang durch die Fabrik. Zu kontrollieren war ja nicht mehr viel, denn der Betrieb lag seit Wochen schon still. Aber der feindliche Beschuss hatte viele Zivil­personen veranlasst in der Fabrik Schutz zu suchen. Bei dem Gedanken an Bomben, an etwas so Grauenvolles wie einen Bombenteppich, war er sich in plötzlicher Hellsicht klar darüber, dass das niemals, niemals geschehen dürfe. Nicht nur wegen der Fabrik und der darin stehenden großartigen Maschinen. Das alles war schlimmstenfalls ersetzlich. Aber wegen der Menschen in der Fabrik. Er stand vor den Kesseln mit Chlorgas, das zum Bleichen der Faserstoffe benötigt wird. Hier lagerten, gegen Gewalteinwirkungen von außen völlig ungesichert, 15000 Kilogramm dieses grünlichgelben Gases. Er wusste, dass bei Beschädigung der Kessel, das giftige Gas ausströmen und im Nu alles Lebende grausam vernichten würde, Freund und Feind, Deutsche wie Amerikaner in kilometerweitem Umkreis. Eine Stunde später war Karl-Erhard Scheufelen, begleitet von Willi Streich und Eberhard Wiedersheim, in dem Dorf Brucken, wo der örtliche Kampfkommandant seinen Gefechtsstand hatte. Der Hinweis auf das in der Oberlenninger Fabrik lagernde Chlorgas und die damit verbundenen Gefahren imponierte ihm nicht; er habe Befehl, die im Tal liegenden Ortschaften, koste es, was es wolle, zu verteidigen. Der Divisionsstab, der allein den Befehl widerrufen könne, liege in Grabenstetten. Die Funkverbindung dorthin sei gestört; ein Melder brauche hin und zurück vier Stunden. Die Herren möchten sich selbst nach Grabenstetten bemühen.

Museum Altes Lager

Zurück nach Oberlenningen, und mit dem Wagen hinauf auf die Hochalb. Als Sachverständiger ging diesmal auch Betriebsleiter Karl Keim mit, am Steuer saß Gottlieb Huber. Aber die Steige war nicht mehr befahrbar: Panzersperren und Sprengungen. Also weiter zu Fuß. Es war stockdunkel. Taschenlampen zu benützen, war nicht ratsam, die Amerikaner nahmen von Schopfloch herab bei jedem Lichtschein die Steige unter Feuer, dass der Dreck nur so spritzte, und die ganze Höhenstraße wurde von Nabern her mit Granaten bestrichen. In Grabenstetten, das nachts um vier Uhr erreicht wurde, lagen mehrere Divisionsstäbe. Hier war Sammelstelle für alle Truppenteile, die sich vom Feind abgesetzt hatten. In einem abseits gelegenen Bauernhaus wurde nach viel Fragerei der für das Lenninger Tal zuständige Stab der 47. Division ausfindig gemacht. Der IA, Major im Generalstab Wetzky, erkannte sofort, was auf dem Spiel stand: Giftgas in diesem Endstadium des Krieges konnte die schlimmsten internationalen Folgen haben. Da der kommandierende General nicht erreichbar war, verfügte er in eigener Verantwortung, dass Oberlenningen im Umkreis von 500 Metern nicht verteidigt werden dürfe. Aber die Amerikaner? Auch sie mussten von der Gefahr raschestens unterrichtet werden. Also warnender Funkspruch an die hier kämpfende X. amerikanische Panzerdivision und an das aus dem Uracher Tal nachrückende II. französische Korps: Chlorgas für industrielle Zwecke in der Oberlenninger Papierfabrik! Keine Kämpfe! Wir verteidigen nicht. Sollte der Funkspruch nicht ankommen, würde ein Parlamentär mit Dolmetscher die Warnung überbringen. Aber der Funkspruch wurde gehört und begriffen. Den wichtigen und gefahrvollen Auftrag, den Kampfkommandanten in Brucken zu verständigen, übernahm Eberhard Wiedersheim. Es war höchs­te Zeit. Während er frühmorgens in der Krone dem Hauptmann den Divisionsbefehl erläuterte, begann auch schon der Kampf um Brucken. Panzergranaten und schwere MGs säuberten den Ortsrand. Während der Heimfahrt mit dem Fahrrad bot sich ihm das pittoresk grausige Schauspiel, wie Leuchtspurmunition niedrig über die Häuser hinweg und hinauf zum Brucker Felsen ihre farbigen Bahnen in den dämmernden Himmel zeichnete: ein böser Feuerzauber. Mittlerweile waren in Oberlenningen, wie der Major geraten hatte, weiße Fahnen mit eilig da­rauf gespritzten grünen Kreuzen als Hinweis auf Giftgas auf dem Fabrikturm und am Lagergebäude ausgehängt worden. Dann wurden, sehr zur Beruhigung der ganzen Bevölkerung, die mitten im Ort errichteten Panzersperren entfernt. Der Geschützdonner rückte näher. Owen brannte noch, und jetzt stiegen auch in Brucken Rauchsäulen hoch. Dort hatte die Panzersperre am Ortseingang bewirkt, dass von den Häusern in der Nachbarschaft kein Stein auf dem andern blieb. Auch nach Oberlenningen verirrten sich mehrere Panzergranaten, die an der Nordseite der Fabrik die Gleisbrücke mit dem Laufkran zerschmetterten und in die Schlosserei einschlugen. Karl-Erhard Scheufelen hatte schon am frühen Vormittag zusammen mit Dr. Hans Blied und Max Fischer in der Portierloge Posten bezogen. Gegen elf Uhr marschierte die deutsche Truppe, die Brucken verteidigt hatte – etwa 160 Mann mit Panzerfäusten und Karabinern – durch Oberlenningen. Dabei stellte sich heraus, dass der Hauptmann die Spinnerei der Firma C. A. Leuze am Ortseingang von Unterlenningen mit der Oberlenninger Papierfabrik verwechselt und daher auch Unterlenningen glücklicherweise nicht verteidigt hatte. Als er das Oberlenninger Werk in seiner ganzen Größe bemerkte, rief er grimmig: „Nun muss ich also kampflos – leider kampflos – Ihre Fabrik unbeschädigt übergeben. Aber sagen Sie den Herren (gemeint waren die Amerikaner), dass wir wiederkommen werden und wenn es zwei Jahre dauert.“ In Unterlenningen wurde mittlerweile noch gekämpft. Einzelne versprengte Grenadiere mit Panzerfäusten hatten von dem Rückzugsbefehl nichts erfahren, ein amerikanischer Panzer war beschädigt worden, die Amerikaner säuberten die Straßen und Gärten. Dabei gingen etliche Häuser in Flammen auf. Aber noch war eine Panzersperre geschlossen. Ob sie innerhalb der für Kämpfe verbotenen Zone von 500 Metern lag, war zweifelhaft. Karl-Erhard Scheufelen nahm es in eigener Verantwortung auf sich, dem in Unterlenningen befehligenden Offizier, der sich telefonisch erkundigte, zu erklären, dass Unterlenningen nicht verteidigt werden dürfe. So wurde die verhängnisvolle Sperre im allerletzten Augenblick beseitigt. Unterlenningen blieb dadurch von weiteren schlimmen Zerstörungen verschont. Kurz nach dreizehn Uhr von Unterlenningen her rasselnder Motorenlärm. Flankiert von einigen sichernden Infanteristen näherte sich langsam und vorsichtig der erste amerikanische Panzerwagen. Ein Leutnant fragte, ob hier jemand Englisch spreche? Karl-Erhard Scheufelen trat vor. Ob deutsche Truppen im Ort seien, ob der Ort verteidigt werde? Nein, es sei Befehl, dass hier nicht gekämpft werde. Ob er garantieren könne, dass in den Straßen nicht geschossen werde? Garantieren könne er nicht. Dann die Drohung: „Wenn nur ein Schuss fällt, wird der ganze Ort zerstört. Und Sie vier (Scheufelen, Dr. Blied, Fischer und Streich) bleiben hier stehen als Geiseln!“ Zwei Mann, das Gewehr im Anschlag, blieben als Wache zurück. Es fiel gottlob kein Schuss. Dutzende von Panzern rollten vorbei. Die Spitze mus­ste das Dorf längst wieder verlassen haben. Es begann zu regnen. Die Geiseln schie­nen vergessen. Der eine Wach­mann hatte sich verzogen, der zweite gestattete schließlich, dass die vier Männer sich ins Pfört­nerhaus setzten. Nach fünfeinhalb Stunden ging auch er seines Wegs.

Oberlenningen und die Fabrik waren gerettet. An der Grabenstettener Steige hatte der Bruckener Kampfkommandant sich mit seinen Leuten wieder festgesetzt. Die Übermacht verjagte ihn rasch. Von Schopfloch und vom Harpprechtshaus aus wurden die letzten Positionen in Grabenstetten und Erkenbrechtsweiler immer heftiger unter Feuer genommen. Der Kampf donnerte über die hinterste Schlucht des jetzt wieder friedlichen Tals hoch hinweg. Langsam wich die lähmende Furcht von den Menschen. Sie atmeten auf, sie lebten noch, ihre Häuser, die Bäume in den Gärten, ihr Hab und Gut waren ihnen erhalten geblieben, die Heimat war unversehrt und auch die Arbeitsstätte, in der schon der Vater, der Großvater sein Brot verdient hatte, stand wie durch ein Wunder unbeschädigt da. Sie waren dankbar, und sie wussten auch, wem ihr Dank gebührte. Was in diesen bösen 24 Stunden geschehen war, da sie selbst ohnmächtig vor einer höheren Gewalt sich hatten ducken müssen, das hatte sich rasch im Dorf und in der ganzen Nachbarschaft herumgesprochen. Einer der Herren Scheufelen war es, der stille, immer freundliche Karl-Erhard, der das Grauenhafte abzuwenden vermocht hatte, durch Besonnenheit und Zivilcourage, in der allerletzten, verworrendsten Etappe des Kriegs der erste, der mit kühlem Kopf für den Frieden etwas leistete. Er hatte es gewiss am wenigsten erwartet, dass man ihn darob rühmen werde. Aber rührend mag es für ihn dann doch gewesen sein, als Leute auf der Straße, wo sie ihn zufällig trafen, Mütter, Väter, Kinder mit holprigen, verlegenen Worten, wie das so schwäbische Art ist, ihm dankten.

Auszug aus: „Hundert Jahre Scheufelen in Oberlenningen“; Festschrift 1955


 

Truppenübungsplatz Münsingen: Militär prägte die Alb

Kriegsspiele

Rüstungswettlauf: Kaiser Wilhelm II legte viel Wert auf internationales Prestige. Diesen Anspruch untermauerte er mit militärischer Aufrüstung. Der Truppenübungsplatz Münsingen entstand. Bauernhöfe, ja ein ganzes Dorf verschwand – am Ende stand der Krieg.

Ehemaliger Truppenübungsplatz Münsingen: Das Dörflein Gruorn müsste den Kriegsspielen weichen.

Beide Herrscher besiegelten Schicksale: Die Regentschaft von Kaiser Wilhelm II mündete im Desaster des 1. Weltkriegs. Unter dem Württembergischen König gleichen Namens verschwanden Hof und Dorf auf der Alb: Im Münsinger Hardt entstand ein Soldaten-Trainingsplatz. Schon im Juni 1895 radierte man die vier Bauernhöfe Ludwigsburg, Bäumlersburg, Achenbuch und Heroldstatt von der Landkarte. 4,9 Millionen Mark war König Wilhelm II die Fläche von 36 Quadratkilometern wert. Zum Vergleich: Güns­tiger verkaufte Russland im Jahre 1867 das 1,5 Millionen Quadratkilometer große Alaska an die USA für nur 7 Millionen Dollar.

Den schauerlichsten Klageruf stießen 1941 die Bewohner der Gemeinde Gruorn hinaus in die klare, kühle Luft der Schwäbischen Alb. Der Truppenübungsplatz sollte im Bereich dieser Gemeinde vergrößert werden. Ihr geliebtes Dorf stand als Bauernopfer für große politische und militärische Winkelzüge zur Disposition. Schach matt – bereits zwei Jahre später mussten Bauern und Vieh weichen. 665 Einwohner verloren Haus und Hof. Kein Geld der Welt ersetzt ihnen Heimat und verlorene Wurzeln.

Soldaten schossen nun durch die gemütlichen Stuben der 235 Häuser. Sie setzten die Dachstühle in Brand (Foto). Selbst die Stephanus-Kirche hatte der Munitionshagel nicht verschont. Das Gotteshaus und Schulgebäude aber durfte der Gruorner Verein wieder aufbauen. Seit 1950 hob sich der lichte und gleichzeitig unüberwindlich dichte Vorhang um das Münsinger Hardt jährlich für nur einen Tag. Erinnerungen erwachen beim traditionellen Treffen am Pfingstsonntag in Gruorn.

Um das Militärgelände rankten sich Mythen wie Rosenhecken um Grimms Dornröschen. Doch hier handelte es sich nicht um ein Märchen, sondern für die Bewohner am Rande des Truppenübungsplatzes um bittere Realität. Denn: Wie die spitzen Dornen in Grimms Märchen hielten die Verbote und Schilder die Älbler über 100 lange Jahre auf Distanz.

Die Zeit blieb stehen für das Münsinger Hardt. Zainingens alte Straße quer über den Platz Richtung Münsingen verschwand nur wenige hundert Meter nach dessen Ortsausgangsschild im Niemandsland. Wie aus einer fernen Welt drang die grollende Drohkulisse in die umliegenden Dörfer. Kanonengebrüll, Leuchtraketen, Flugzeugkreischen – in der heißen Zeit des Kalten Krieges der 60er-Jahre hatten die Menschen an dieser Bedrohung zu knabbern.

Bisweilen gar mussten sich die Anrainer auch fürchten. Denn vor dem unsichtbaren Vorhang zwischen schwarzgelben Pfosten der Warnschilder machten die Menschen zwar halt, doch nicht immer die Geschosse. So krachte in den 50er-Jahren eine Granate in Zainingens Schulhaus hinein, erinnert sich ein Zeitzeuge. Auch berichtet er von Geschossdetonationen am Ortsrand dieser Albgemeinde jenseits der Bundesstraße B28. Den Seeburgern steckt heute noch der Schreck in den Gliedern, als 1978 ein ungestümer Kampfflieger über das Ziel hinaus schoss, hinab ins Fischburgtal ins Dachgebälk des Rathauses.


 

Muna Haid

Muna heißt Munitionsanstalt. Haid heißt heute ein Ortsteil Engstingens. Auf der „Muna Haid“ lastet explosive Albgeschichte. Denn: Die Amerikaner versteckten hier ihre Atomsprengköpfe.

Die „Muna“ war perfekt getarnt, dank ihrer Lage im Wald. Erst Anfang 1945, als die Front der Alb schon nahe war, kam ihr die alliierte Luftaufklärung auf die Schliche. Jetzt entfaltete der Bombenkrieg auch auf der mittleren Alb seine unvorstellbare Schockwirkung. Bombergeschwader der US- Airforce steuerten die „Muna“ mehrmals an, den mächtigsten Angriff mit 250 Fluzeugen in mehreren Wellen traf die Anlage am 8. April, einen Monat vor Kriegsende.
Während der achtziger Jahre dann überzog der Kalte Krieg auch die mittlere Alb. Ein Artikel im „Stern“ enthüllte 1981, dass direkt neben der „Muna“, im von den Amerikanern 1969 eingerichteten „Sonderlager Golf“, Atomsprengköpfe lagerten. Jetzt war es mit der Ruhe endgültig vorbei. Die Friedensbewegung war auf den Plan gerufen. Gewaltfrei, aber heiß ging es her, zehn Jahre lang. Zehntausende Pazifisten demonstrierten im kleinen Engstingen.

Foto: Atombombentest „Romeo“ (Sprengkraft 11 Megatonnen); Nevada Site Office Photo Library under number XX-33


Weiterführende Linksammlung des Sphäre-Spezials „Sonderveröffentlichung: 100 Jahre Erster Weltkrieg 1914 – 2014“ (Heft 3/2014, Seite 23)


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