3 x Steinzeit

Nationalparkporträt: Polens und Tschechiens Gebirgsträume

Das Ende der Steinzeit wird in Mitteleuropa auf 2200 vor der neuen Zeitrechnung datiert. In der kleinen tschechischen Gemeinde Adersbach aber dreht sich weiter bis heute alles um Gestein. Denn die Zeit modelliert dort mit ihm nicht als Werkzeug, sondern als Werkstoff eine der unglaublichsten Fabellandschaften Europas (Foto). Wie ein Märchen fühlt sich auch Rübezahls Wohnzimmer an: Das Riesengebirge – mächtige Felsquader türmen sich zu wundersamen Säulen. Nur zwei Autostunden weiter erstaunt das dritte Steinmonument – das Heuscheuergebirge.

PDF-Download: Print-Artikel runterladenPrint runterladen

Viele haben schon einmal vom Riesengebirge gehört, ein Nationalpark, dessen Grenzkamm Tschechien und Polen mehr verbindet als trennt. Doch kaum einer kennt den Mini-Nationalpark Heuscheuergebirge oder die skurrilen 2000 Steintürme der Adersbacher Felsenstadt (siehe Foto) – alle jeweils nur zwei Autostunden voneinander entfernt.


 

3 x Steinzeit

Das Ende der Steinzeit wird in Mitteleuropa auf 2200 vor der neuen Zeitrechnung datiert. In der kleinen tschechischen Gemeinde Adersbach aber dreht sich weiter bis heute alles um Gestein. Denn die Zeit modelliert dort mit ihm nicht als Werkzeug, sondern als Werkstoff eine der unglaublichsten Fabellandschaften Europas (Foto). Wie ein Märchen fühlt sich auch Rübezahls Wohnzimmer an: Das Riesengebirge – mächtige Felsquader türmen sich zu wundersamen Säulen. Nur zwei Autostunden weiter erstaunt das dritte Steinmonument – das Heuscheuergebirge. 

Zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs: Tschechien besitzt ein in Europa ambitioniertes, von Touristen hochgeschätztes Radwegenetz. Sogar Singletrails, extra für E- und Mountain-Biker angelegt, erschließen die Nationalparklandschaften wie hier auf der polnischen Seite des Riesengebirges bei Szklarska Poreba.

Tschechien dreht am Rad der Zeit. Und dies im doppelten Sinne des Wor­tes. Denn erstens kurbeln hier die Menschen mit Begeisterung über tausende Kilometer ihres vorbildlichen Radwegenetzes. Und zweitens stützt das Verkehrsministerium diesen Bewegungsdrang seit 1997 mit stetem Ausbau und Beschilderung von attraktiven Routen. Diese erschließen nicht nur Bilderbuchstädte wie Prag, Pilsen oder Brünn. Auch außerordentliche Landschaften und Schutzgebiete haben die Mobilitätsdenker aufgerüstet zum Naturerlebnis auf zwei Reifen und leisen Sohlen. So präsentieren sich alle vier Nationalparke Tschechiens trotz gebirgiger Lage oder gerade deswegen als Rad- und Wanderparadies.

Dieses kleine Land hat für seine nur 10,9 Millionen Bürger 1,51 Prozent Landesfläche der Natur als Nationalpark zurückgegeben. Zum Vergleich: Das mit 84,5 Millionen Menschen bevölkerungsreiche Deutschland besitzt zwar 14 Nationalparke, opfert allerdings dafür nur 0,6 Prozent seiner Ländereien.

Während bei uns Drahtesel und Wanderschuhe im Keller verstauben, machen unsere Nachbarn das Draußensein zum Volkssport. Nicht flach, sondern steil. Nicht anstrengungsfrei, sondern fordernd drehen die Tschechen am Wochenende und im Urlaub aktiv ihre Runden.

Rübezahl auf Schritt und Tritt: Im Riesengebirge ist er zu Hause, der Berggeist und Held unzähliger Kinderbücher. Er posiert in Souvenirläden, auf Marktplätzen oder an Radwegen.

Beispielsweise um die Adersbacher Felsenstadt. Bei uns kaum bekannt, avancierte diese kleinräumige, aber spektakuläre Steinkulisse trotz einsamer Gegend zu den Top Ten der Reiseziele (Foto Seite 30). Schon Johann Wolfgang von Goethe wandelte durch das Skulpturen-Labyrinth, das mit Schluchten und Felstürmen anmutet wie von Wolkenkratzern gesäumte Straßen. Die Säulenformationen dieses Naturschutzgebietes entstanden aus einer gewaltigen Sandsteinplatte. Wasser, Frost und Wind zergliederten sie in über 2000 Felstürme, teils 100 Meter hoch (Foto ganz oben), und begehbare Spalten, die schmalste 50 Zentimeter breit (Foto unten).

Felsenstadt Adersbach: Felssplalte ist nur 50 Zentimeter schmal.

Während die Felsenstadt im beschaulichen Spazierschritt auf vorgegebenen Rundwegen ähnlich wie ein Miniaturmuseum auf kleinstem Raum immerfort staunen lässt, fasziniert das Riesengebirge auf andere Art – es fordert alle Sinne und die Kondition. Tourenplanung, Wetterkenntnis, gute Kleidung und gesunde Selbsteinschätzung sind gefragt: Denn der tschechisch-polnische Nationalpark reicht auf gigantischen 426 Quadratkilometern bis zur Schneekoppe auf 1603 Meter über dem Meeresspiegel hinauf. Die Felsen in Adersbach ragen maximal 681 Meter in den Himmel. Keine Wetterstürze sind dort zu erwarten und auch keine Gewaltmärsche. Das 17,7 Quadratkilometer große Steinlabyrinth lässt sich gemütlich an einem Tag mit dem Rad umrunden. Um auf Goethes Spuren die Felsenstadt im Innern zu erwandern, sollten Sie zu Ferienzeiten die Eintrittskarten reservieren.

Das Riesengebirge dagegen bietet kostenlos einen endlosen Natur- und Erlebnishorizont für viele abwechslungsreiche Tage – ob einsam auf Berghütten oder im touristisch erschlossenen Tal. Der Ort Špindleruv Mlyn (Spindlermühle) bietet für Feriengebiete typische Freizeitangebote, allerdings gediegen, nicht opulent wie oft in Hotspots der Alpen.

Nationalpark Riesengebirge: Im Schutzgebiet holt sich die Natur verlorenes Terrain zurück.

Wem dies trotzdem zu turbulent erscheint, kann auf die polnische Seite dieses Grenzgebirges wechseln Richtung Jelenia Gora oder erkundet den zwei Autostunden entfernten, 63 Quadratkilometer kleinen polnischen Nationalpark Heuscheuergebirge. Das topografische Zentrum bildet der auf 919 Meter ausladende Tafelberg. Er heißt Große Heuscheuer, weil seine Gestalt diesem landwirtschaftlichen Lagergebäude ähnelt. Wie in Adersbach hatte auch hier die Erosion das Gipfelplateau aus weichem Sandstein kunstvoll zu Klüften, Schluchten und Türmen drapiert, ganz im Gegensatz zur Granitharten Steinsubstanz, die das Riesengebirge zu massigen Quadern schichtet.

Jelinia Gora: polnische Kleinstadtidylle.


 

Übersichtskarte


 

Viel besucht: Nationalpark Riesengebirge

Junge Elbe: noch rund 1091 Kilometer bis Hamburg.

Der Gipfel der Schneekoppe thront mit 1603 Metern über dem polnisch-tschechischen Nationalpark. Als idealer Ausgangspunkt für Radtouren und Wanderungen hat sich der Ort Špindleruv Mlyn (Spindlermühle) etabliert. Die junge Elbe rauscht gemütlich durch diesen Ort. Sie entspringt in 1400 Meter Höhe. Das ungewöhnlich junge und sportive Sommerpublikum genießt augenscheinlich besonders anstrengende Freizeitaktivitäten.

Nationalpark Riesengebirge: (CZ/PL) 370/56 km2 / Höhe: 1603 m
Zum Vergleich: Biosphärengebiet Schwäbische Alb: 853 km2


 

Kaum bekannt: Nationalpark Heuscheuergebirge

Szczeliniec Wielki: erhabenes Gebirgsplateau auf 919 Metern über Meereshöhe.

Das Gebirge des kleinen polnischen Parks Narodowy Gór Stotowych erstaunt mit einer in Europa seltenen Tafelstruktur und Felsenlabyrinthen wie am Tafelberg Szczeliniec Wielki oberhalb des Örtchens Karlóv. Durch diese Felslandschaft führt ein Rundweg vorbei an bizarren Sandsteinformationen mit anschaulichen Namen wie das Entchen, Kamel oder Rübezahls Thron. Manche Schluchten sind bis zu 12 Meter tief.

Nationalpark Heuscheuergebirge: 63 km2 / Höhe: 400 bis 919 m (Szczeliniec Wielki).


 

Oft bestaunt: Adersbacher Felsenstadt

Aderbacher Felsenstadt: hier kommt man aus dem Staunen kaum heraus.

Das märchenhafte Felsenland lockte sogar Johann Wolfgang von Goethe 1790 nach Adersbach. Damals waren die überwucherten Klüfte und Täler des 17,7 Quadratkilometer großen Gebirges schwer zugänglich. 1824 lichtete ein großer Waldbrand die Vegetation, danach wurden Wege angelegt. www.adrspasskeskaly.cz


PDF-Download: Print-Artikel runterladenPDF-Download: Print-Artikel runterladen


Printausgabe: Sphäre 1/2025, Seite 30-33

WEBcode #25133

Die Kommentare sind geschlossen.