Urlaubsportrait: Pilsen und Brünn

Urlaubsporträt: Pilsen und Brünn, Tschechiens Städte lieben und leben hautnah wilde Natur

Hinter dem Bayerischen Wald befindet sich für viele Schwaben das Niemandsland: Tschechien. Der Eiserne Vorhang rückte unsere direkten Nachbarn lange Zeit in unerreichbare Ferne, die rund zehn Millionen Einwohner samt ihrer urigen Landschaft, die verträumten Dörfer, die prunkvoll strahlenden Städte. Der Kalte Krieg ist vorüber, doch der Blick vieler Urlauber bleibt auf klassische Reiseziele fixiert. Warum Massentourismus, warum Flugreisen, wenn das Schöne, das Andere liegt so nah? Sphäre ging mit dem Fahrrad auf Entdeckungsreise in zwei Städten in einem unbekannten Land kaum größer als Bayern, aber vielleicht doppelt so schön?

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Foto: So sehen städtische Flusslandschaften aus: Die Svratka fließt gemächlich durch Brünn.

Stadt, Land, Fluss

Hinter dem Bayerischen Wald befindet sich für viele Schwaben das Niemandsland: Tschechien. Der Eiserne Vorhang rückte unsere direkten Nachbarn lange Zeit in unerreichbare Ferne, die rund zehn Millionen Einwohner samt ihrer urigen Landschaft, die verträumten Dörfer, die prunkvoll strahlenden Städte. Der Kalte Krieg ist vorüber, doch der Blick vieler Urlauber bleibt auf klassische Reiseziele fixiert. Warum Massentourismus, warum Flugreisen, wenn das Schöne, das Andere liegt so nah? Sphäre ging mit dem Fahrrad auf Entdeckungsreise in zwei Städten in einem unbekannten Land kaum größer als Bayern, aber vielleicht doppelt so schön?

Die Seele baumeln lassen – im Liegestuhl die Sonnenseite des Brünner Stadtlebens genießen.

Wegwerfen, verschrotten, abreißen – verliert Deutschland, das Land der Abwrackprämie, im Rausch der ewigen Erneuerung seine Wurzeln? Das Liebgewonnene, das Heimelige wird erst dann vermisst, wenn man in der Fremde neidisch schmachtend in ach so schönen Städten flaniert. Meran, Bozen, Straßburg, heile Welt, aber Ausflügler an jeder Ecke. Viele Touristen-Hotspots im Südwesten haben wir schon gesehen. Aber wo liegt Brünn, was ist Pilsen?

Biertrinker nicken wissend: Pils, ein untergäriges Bier nach der böhmischen Stadt Pilsen in Tschechien benannt, mit im Vergleich zu anderen Sorten erhöhtem Hopfengehalt. Doch Pilsen ist mehr. Wie geschmackvoll haben Architekten die Pastelltöne für den Neuanstrich historisch-mondäner Schmuckfassaden gewählt. Zu Hause verrußen vergleichbare Gebäude im Dieseldunst, falls überhaupt noch vorhanden. Wie fröhlich und zufrieden genießen und schätzen die Tschechen ihre malerischen Stadtzentren. Im Westen vertreiben Beton, Glas, hoch, höher und teuer die Ästhetik und letzte Gemütlichkeit aus den Städten. Sogar vor heimeligen Dorfplätzen macht das viele Geld und die damit einhergehenden architektonischen Verwirrungen nicht Halt. Ein Ortsbild wie aus einem Guss, gerahmt vom geschäftstüchtigen Einzelhandel gibt´s immer weniger hier, aber noch dort.

Pilsen – entschleunigt und wunderschön: Autofreie Promenaden, ausladend luftige, aber wenig befahrene Zufahrtsstraßen stehen im Kontrast zum Stress und der lärmenden Hektik deutscher Stadtverkehrsverhältnisse. Wer in Pilsen oder Brünn flaniert, fühlt, dass ihm daheim etwas fehlt, nämlich Ruhe und Muße.

Dort, wo unsere alten Opels aufpoliert noch viele Kilometer stolz chauffieren. Dort, wo eine linke und rechte Hand gekonnt improvisiert und repariert. Dort sind auch Radfahrer und Fußgänger willkommen – im Land, wo ausdauernd gesportelt wird. Mountain-Bike, Wandern oder Langlaufski stehen in Tschechien höher im Kurs als der millionenschwere Fußball-TV-Sesselsport.

Tschechien, kaum größer als Bayern, grenzt mit dem 1300 Meter hohen Böhmerwald-Gebirge gen Westen. Dahinter senkt sich still das einsame, verträumte Hügelland hinab bis zu den von größeren Flüssen geschürften Tälern. Städte, schöne Städte säumen die oft wild bewachsenen Ufer. Prag, touristisch perfekt vermarktet, bleibt an dieser Stelle unerwähnt. Stattdessen rückt Pilsen und Brünn in den Fokus. Pilsen gar residiert wie eine Spinne in ihrem Netz von sechs zu- und abfließenden Armen. Für Entdeckungsradler mausern sich beide Orte zum lohnenden Ziel, weil die Natur und der entschleunigte Rhythmus des Landlebens sofort hinter den letzten Wohnhäu­sern beginnt. Kein Speckgürtel, keine verstädterten Dörfer drum herum. Im Stadtzentrum sind Wohnungen noch bezahlbar.

Inspirieren lassen – auf traditionellen Märkten.

Stadt, Land, Fluss, wer mit einer spielerischen Neugier seinen Horizont erweitern will, sollte den Blick Richtung Osten wenden. Ist es „aus Not eine Tugend machen“, was Pilsen und Brünn als Bilderbuchstadt bewahrt? Oder herrscht die tiefe Einsicht, dass „Lebensraum“ tatsächlich als Raum zum Leben verstanden wird und nicht als Ort verschandelt im Rausch der ewigen Erneuerung?

Blicke schweifen lassen – auf der Fassadenpracht …..

….. oder einfach treiben lassen – mitten durch Brünn.


 

Übersichtskarte


Stadtrundfahrt: Mehr sehen unterwegs mit dem Rad

Der eiserne Vorhang trennte bis 1989 unüberwindlich den Ostblock vom Westen. Insofern genossen diese beiden Staaten eine völlig verschiedene Entwicklung, was Stadt und Land betrifft. Tschechien erfreut sich an einer wohltuend geringen Bevölkerungsdichte. Radtourismus und Naturschutz wird groß geschrieben. Das kleine Land besitzt schon lange beschilderte Radwege und vier Nationalparks mit deutlich ambitionierteren Schutzzielen als in Deutschland. So kehrte der Luchs zurück in den Na­tionalpark Šumava, Böhmerwald. Bei uns hat es diese Katze schwer: Sie wird überfahren oder erschossen wie Ende Mai im Hochschwarzwald. Das machen millionenschwere Infozentren oder Baumwipfelpfade nicht wett.

Tschechien: 78870 km2 / Einw. 10,5 Mio. / 128-1603 m (Schneekoppe). Baden-Württemberg: 35750 km2 / Einw. 11,1 Mio. / 85-1493 m (Feldberg)

Landpartie: Kein Speckgürtel, sondern sofort Natur

Tschechiens zweitgrößte Stadt Brünn (nach der Millionenhauptstadt Prag) rangiert mit nur 370000 Einwohnern unter Kennern als Geheimtipp. Nicht so überlaufen, feinste Knödelküche und Habsburger Geschichte in jedem Straßenzug der historischen Innenstadt. Ebenso begeistert Pilsen im Kleinen mit seinen 170000 Einwohnern. Es fehlt die für Westeuropa typische Enge, überfüllte Straßen, uniforme Agrarkultur. Tipp: Bei der Anreise den Nationalpark Šumava besuchen, wir berichteten (Sphäre-Nationalpark-Portrait >>).

 


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Printausgabe: Sphäre 2/2021, Seite 18-21

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