Hülben

Vom Mutes-Heer

 

Vom Mutes-Heer

Wenn der Sturm über das Land bauste, die Äste der Bäume bog und brach, um die Häuser heulte, an den Türen und Fensterläden rüttelte oder gar Ziegel vom Dach riss, dann verkrochen sich die Menschen und flüsterten scheu: „Das Mutesheer ist unterwegs.“ Wotans wilde Jagd, so glaubten sie, reite durch die Lüfte. Und wirklich konnte man meinen, in dem Lärm das Stampfen und Wiehern der Rosse, das Gebell der Meute und das Rufen der Jäger zu hören.

Als eines- Abends ein Schäfer seine Herde auf der Weide beim Rauber zusammengetrieben hatte, an seinem Karren lehnte und ein lustiges Liedlein auf seiner Klarinette spielte, hörte er plötzlich in der Ferne ein dumpfes Brausen, das rasch naher kam und lauter und lauter wurde. Erschrocken schaute er sich um und sah vom Reußenstein das Wotansheer heranziehen. Im Schein der untergehenden Sonne blitzten die Waffen und Rüstungen. Ängstlich duckte sich der Bursche hinter seinem Karren, denn die wilde Jagd kam genau auf ihn zu. Da spürte e, auch schon einen heftigen Luftzug, wurde hochgehoben und weit, weit durch die Lüfte getragen.

Endlich – die Nacht war schon hereingebrochen – spürte er wieder Boden unter den Füßen. Wilde, verwegene Gestalten erwärmten sich an einem rasch entfachten Feuer und befahlen ihm, sein Spiel fortzusetzen. Zum Glück hatte er seine Klarinette nicht verloren. Er begann ein Lied zu blasen, zaghaft zuerst, dann immer mutiger, eine Tanzweise schließlich, und siehe da, die Kriegsleute begannen sich zu drehen und zu wenden, zu hüpfen und zu springen.

Der Schäferbursche spielte und spielte, bis ihm vor Erschöpfung die Klarinette entglitt und er zu Boden sank und einschlief. Als ihn am anderen Morgen die ersten Sonnenstrahlen weckten, blickte er verwundert um sich. Da merkte er erschrocken, dass er auf dem Galgenberg bei Esslingen saß. Das Wotansheer aber war verschwunden.

Ein uraltes Großmütterchen aus Hülben hatte mit seinem Enkelkind einen Besuch bei Verwandten in Neuffen gemacht. Es war spät geworden, und als sie den Heimweg antraten, waren sie allein. Guten Muts stiegen sie trotzdem die Steige hinauf. Im Wald angekommen, hörten sie plötzlich Schritte hinter sich. Sie wandten sich um und erblickten zwei verdächtige Burschen, die ihnen folgten. Hatten sie es auf den Geldbeutel abgesehen, den die Frau in ihrer Schürzentasche trug, oder gar auf ihr Leben‘,‘ Vielleicht waren es aber auch nur zwei harmlose Wanderer, die den gleichen Weg gingen.

Die Frau setzte sich auf einen Stein und wollte die beiden vorbeilassen, aber auch die zwei zerlumpten Gestalten hielten inne und flüsterten miteinander. Es schien, als beratschlagten sie, wie sie die beiden Wehrlosen überfallen könnten.

Da erhob sich plötzlich ein Sturm. Das wilde Wotansheer kam über den Berg gefegt und riss die Burschen mit sich, dass sie wild schreiend und in rasender Eile den Berg hinunterliefen.

So rasch der Sturm gekommen, so schnell war er verschwunden. Stille kehrte ein. Die Großmutter erhob sich, nahm ihr Enkelkind bei der Hand, und erleichtert machten sich die beiden auf das letzte Stück ihres Heimwegs.

 

Zur Verfügung gestellt vom Albengel am Schopflocher Moor, besser als Otto-Hoffmeisterhaus bekannt

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