Feldstetten

Der Schatz im Höllenloch

 

Der Schatz im Höllenloch

Vor langer, langer Zeit begegneten Leute aus Feldstetten einem Fremden, dessen Verhalten ihnen recht seltsam erschien. Der Mann war gekleidet wie ein Gelehrter und lief Tag und Nacht auf den Feldern umher, seine Wünschelrute in der Hand, als ob er etwas suchen wollte. Auch murmelte er immerfort sonderbare Gebete und machte eigenartige Zeichen dazu. Schließlich kam er an jene Stelle, wo sich heute das Höllenloch befindet. Da warf er plötzlich die Wünschelrute beiseite und begann wie wild zu graben. Und wirklich, bald stieß er auf eine eiserne Truhe voller Gold. Die Bauern meinten, der Schatz gehöre dem Teufel. Der fremde aber kümmerte sich nicht um das Gerede, lud die Truhe auf seinen Wagen und fuhr davon.

Erst nach vielen Jahren kehrte der Mann wieder zurück zu der Stelle, wo er einst den Schatz gefunden hatte. Sein Anblick erschreckte die Leute zutiefst: Der Fremde war alt und gebrechlich geworden, voller Unruhe und Angst. Aus hohlen Augen blickte er scheu und furchtsam um sich, ging den Menschen aus dem Weg und strich nur immer um das Loch, das er einst gegraben hatte. In der Nacht zu einem Freitag, als es im nahen Feldstetten zwölf Uhr schlug, hörte ein Schäfer, der in der Nähe jenes Platzes seine Herde hütete, plötzlich ein herzzerreißendes Jammergeschrei und sah aus dem Loche Flammen schlagen, als ob Blitze gen Himmel fahren würden. Er wagte es nicht, in der Finsternis die Stelle aufzusuchen und erst, als der Tag anbrach, versah er sich mit heiligen Dingen, einem Kreuz und einem Weihwasserkesselchen, und schaute nach dem Loch. Da entdeckte er, dass der Boden sich tief gesenkt hatte. Schaudernd blickte er in den dunklen Schlund und als er einen Stein hinabwarf, hörte er ihn wohl von Fels zu Fels springen, konnte aber nicht wahrnehmen, ob er am Grunde der Höhle aufschlug. Die Leute vernahmen mit Grauen die Schilderung des Schäfers und glaubten, jener Fremde habe dem Teufel einst seine Seele verschrieben, um den Schatz zu erlangen und sein nun von ihm geholt worden. Fortan nannte man den Erdspalt das „Höllenloch“.

Später hüteten einmal Buben aus Feldstetten ihre Rosse auf dem Weideplatz beim Höllenloch. Aus Kurzweil warfen sie Steine in den Schlund und lauschten dem Aufprall. Da war ihnen, als ob die Steine auf Eisen träfen. Der Frieder erinnerte sich, vom krummen Hannes die Geschichte der Schatzsuche vernommen zu haben und meinte, da unten warte die Goldtruhe nur darauf, geborgen zu werden. Den Buben schwindelte bei dem Gedanken an den Reichtum, den man erlangen konnte und schließlich erbot sich der kecke Frieder, in das Loch zu steigen. Sie banden die Zäume der Pferde aneinander und ließen an diesen den Buben in die Höhle hinab. Der Frieder glitt in das Dunkel und schon fürchteten sie, er bliebe für immer verschwunden, da rüttelte er am Strick und sie zogen ihn wieder ans Tageslicht. Der Schatz sei da, man brauche ihn nur zu holen, sagte er, als die andern ihn aufgeregt umringten und begann zu erzählen: Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er auf dem Grunde des Loches eine große Eisenkiste stehen, auf der saß ein schwarzer Pudel mit feurigen Augen. Er aber zeigte keine Furcht und ließ sich weiter hinab. Als er dem Tier nahe kam, wich dieses knurrend zurück und sprang von der Truhe herab. Fast konnte er den Schatz berühren, aber da war der Strick zu Ende.

Die Buben verabredeten, über alles zu schweigen und anderntags mit einem längeren Strick das Wagnis zu wiederholen. Als sie aber an den Ort kamen, hatte sich über Nacht das Loch geschlossen. Da sprach der Frieder: „Tu dich auf in Gottes Namen!“ Aber die Felsen blieben beieinander. „Tu dich auf in keines Namen!“ sagte daraufhin der Bub. Wieder blieb alles still. Erst als er zum Entsetzen der anderen rief: „Tu dich auf in Teufels Namen!“, wichen die Felswände auseinander. Wieder wurde der Frieder in die Tiefe hinabgelassen. Die Buben oben warteten lange Zeit auf das verabredete Zeichen, aber sie hörten nur ein dumpfes Geräusch im Erdinneren, wie wenn es in weiter Ferne donnert. Plötzlich flog eine Schar Raben wild krächzend über ihre Köpfe hinweg. Da erschraken sie, warteten nicht länger und zogen am Strick. Doch der war ganz leicht und als sein Ende aus dem Dunkel tauchte, da war gewiss, was sie befürchtet hatten: Der Frieder blieb verschwunden.

Seither meiden Menschen und Tiere den Unglücksort und man erzählt, des Nachts könne man zuweilen ein dumpfes Rollen und klägliches Heulen aus dem Höllenloch heraufdringen hören. Dann quäle der Böse seine beiden Opfer.

Aus: Der Schatz im Berg. Sagen aus den Kreisen Reutlingen und Tübingen (2007)

Zusammengestellt von: Steffen Dirschka, Stadtarchivar Münsingen

 

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