Ikarus vom Lautertal

Ikarus vom Lautertal

Ikarus vom Lautertal

Gustav Mesmer, Flugradbauer, Ausnahmemensch und Lebenskünstler fand in den Hängen des Lautertals auf der Alb sein spätes Glück. Seine Flugfahrräder sind anerkannte Kleinkunst und tragen den Namen Buttenhausen in die ganze Welt.

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Oberschwaben – die geschwungenen Zwiebeltürme grüßen zwischen sanft grünen Moränenhügeln. Leise segnet ehrwürdiger Glockenklang die leuchtenden Flure, die Dörfer und Seen. An klaren Tagen sieht man weiße Wolken jagen bis an den bizarren Horizont der fernen Alpen. In dieser Idylle im oberschwäbischen Altshausen erblickte Gustav Mesmer am 16. Januar 1903 das farbenfrohe Licht dieser Welt. Schnell lernte er von den Wolken das Träumen. Mesmer fühlte als Querdenker die Anmut der Schwerelosigkeit und gleichzeitig erlebte er die bleierne Bürde einer Gesellschaft, die Anderssein gnadenlos bestraft.

Mesmer verbrachte zwangsweise 35 Jahre seines Lebens in einer psychiatrischen Anstalt, bevor seine Kreativität in Freiheit Weltruhm erlangt. Seine kühns­ten Flugradkonstruktionen wurden 1992 in Sevilla bei der Weltausstellung von einem Millionenpublikum bestaunt.

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Er zeichnete und konstruierte die waghalsigsten Flugmaschinen erst in stattlichem Alter. Das Landheim Buttenhausen für Senioren, sein neues Zuhause nach der Gefangenschaft in der Psychiatrie, hatte Mesmer eine kleine Werkstatt zur Verfügung gestellt. Anders als die sanften Auen seiner Geburtsheimat beeindruckt hier die herbe Kraft der Alb. Auf gewaltigen Hängen verlieren sich Schafe als kleine helle Punkte in herrlichen Wacholderheiden. In diesem Buttenhausen sollte Gustav Mesmer nach 91 Jahren die Welt wieder verlassen. Im Jahre 1994 ging er wohl in Frieden. Denn hier erfüllte sich Mesmer seinen Lebenstraum. Seine sonntäglichen Flugversuche erweckten Aufsehen. Spaziergänger staunten, als sie den fröhlichen Erfinder mit seinen Apparaturen die Hänge hinunterpoltern sahen.

Von Altshausen nach Buttenhausen hat Mesmer seinen Lebensbogen gespannt – dazwischen abgrundtiefe Täler. Gustav, das fünfte von insgesamt zehn Kindern seiner Eltern, wuchs in die Notzeiten des Ersten Weltkrieges hinein. Lehrer standen an der Front, somit war dem im Musizieren, Dichten, Handwerken so begabten Jungen der Schlüssel zum wahren Intellekt und Erfolg früh verbaut. Die Not zwang ihn, ein „Verdingbub“ zu werden, was ein unstetes Leben als Hilfsarbeiter bedeutete. Gustav kam mit Schwestern des Klosters Obermarchtal in Kontakt, die ihn überredeten: „Sie gebten doch so ein schönes Päterchen“. Sechs Jahre folgte er den strengen Ritualen der berühmten Abtei Beu­ron an der Donau. Vor dem heiligen Gelübde aber lief der weitschweifende Träumer davon.

Vom Klosterleben frustriert, rebellierte er im Heimatdorf bei einer Konfirmation: Das sei nicht Christi Blut, „alles nur Schwindel“, soll er gerufen haben. Folge seines Ausbruchs: Man attestierte Mesmer Schizophrenie, er kam in eine geschlossene Anstalt.

35 Jahre verbrachte er in den Psychiatrien von Bad Schussenried und Weißenau, 16 mal bricht er aus und läuft nach Hause. Gustavs Hilferufe per Post fing die Anstaltsleitung ab. So fügte er sich und ließ seiner Begabung als Handwerker in den Anstaltswerkstätten freien Lauf. Seine Fertigkeiten bewahrten ihn vor den Gaskammern der Nazis. In der Gefangenschaft entwickelte er seine größte Leidenschaft. Er wollte ein Fluggerät konstruieren, dass mit Muskelkraft der Erd­anziehung entflieht.

Endlich, im Jahre 1964, geschah was fast schon nicht mehr möglich schien: Mesmers Schwester erzwang die Entlassung aus der Psychiatrie. Allerdings schien nach den Jahrzehnten in der Anstalt ein Leben in „Freiheit“ nicht mehr möglich. So zog er in das Landheim Buttenhausen ein. Dort mochten sie den Gustav, der so schön träumen konnte und durch sein optimistisches Wesen so viele reicher machte, die ihm begegneten. Gustavs Gedanken wurden nicht mehr als „Wahn“ diagnostiziert. Man ließ ihn einfach machen. Bald war er als „Ikarus vom Lautertal“ bekannt. Auch die Medien horchten auf. Es entstanden Ton- und Filmaufnahmen, die noch heute beeindrucken. Der Erfinder selbst schrieb unter dem Titel „Biographie – Unbekannt“ in ungeschulter Orthografie, aber sprachlich durchaus beeindruckend sein Leben auf.

Gustav Mesmer hob nie wirklich ab, wenn er auch mit Schalkesmiene behauptete, einmal fünfzig Meter weit geflogen zu sein. Das habe nur keiner gesehen. Vielleicht war Mesmer gerade deshalb glücklicher als der wahre Ikarus aus der griechischen Mythologie, der als Flieger übermütig der Sonne zu nahe kam und in den Tod stürzte.

Lesetipp: Bücher und CDs über Gustav Mesmer

Gustav Mesmer bereichert die Menschen noch heute, 15 Jahre nach seinem Tod. Sein Andenken hegt und pflegt seit 1996 die Gustav Mesmerstiftung. Sie archiviert seine Hinterlassenschaft und organisiert Ausstellungen in Nah und Fern. Ein Flugrad Mesmers fand sogar Platz in der Weltausstellung zu Sevilla. Auch Bücher und CDs hat die Stiftung herausgebracht (siehe Lesetipp unten), sie alle sind ausschließlich erhältlich über: www.gustavmesmer.de.

  • Buch Gustav Mesmer, Flugradbauer – Ikarus vom Lautertal genannt
  • Buch mit Texten aus Gustav Mesmers Tagebuch, Skizzen und Bildern. Einleitender Text: Martin Mangold, Fotos: Stefan Hartmaier, 16 Euro.
  • CD Gustav Mesmer – Ikarus vom Lautertal genannt
  • Hörspiel auf CD von Holger Reile über das Leben und Wirken von Gustav Mesmer. Mit Originaltexten. Musik: Alexander Köberlein. 16 Euro.
  • DVD So frei wie die Vögel
  • 32-minütiger Film auf DVD von Holger Reile. Mesmers tragischer Weg in bewegende Bilder umgesetzt. 16 Euro.
  • Katalog zur Ausstellung
  • Fotografien: Gustav Mesmer, Franco Zehnder, Stefan Hartmaier, Elmar Hugger und Nicole Becker. Biografie geschrieben: Holger Reile. 16 Euro.
  • Fotoedition
  • Zwei limitierte Fotografien in einer Mappe mit Buch. 180 Euro.

Text von Marco Heinz / Fotos: Stefan Hartmaier, Quelle: gustavmesmer.de

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